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Zurückweisung einer Verfassungsbeschwerde im internationalen Sorgerechtskonflikt

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Zurückweisung einer Verfassungsbeschwerde im internationalen Sorgerechtskonflikt

Bundesverfassungsgericht

Beschluss vom 9. April 2025 – 1 BvR 1618/24

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2025 im Verfahren 1 BvR 1618/24

Am 9. April 2025 hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts beschlossen, die Verfassungsbeschwerde einer Mutter gegen mehrere gerichtliche Entscheidungen in einem grenzüberschreitenden Sorgerechtsstreit nicht zur Entscheidung anzunehmen. Dieser Fall bietet einen prägnanten Einblick in die komplexe Schnittstelle zwischen nationalem Familienrecht, internationalem Privatrecht und verfassungsrechtlichem Schutz elterlicher Rechte.

Hintergrund des Verfahrens

Die Beschwerdeführerin ist Mutter von vier Kindern, die aus einer geschiedenen Ehe stammen. Zwei der Kinder standen im Zentrum des Rechtsstreits. Nachdem diese ursprünglich in Deutschland bei der Mutter lebten, verweigerte der Vater im Jahr 2021 im Rahmen eines vereinbarten Umgangswochenendes in Dänemark die Rückführung der Kinder. Er berief sich auf eine behauptete Kindeswohlgefährdung durch die Mutter. Es folgten Verfahren in Deutschland und Dänemark – insbesondere zur Rückführung der Kinder sowie zur Klärung der elterlichen Sorge.

Die deutsche Justiz hatte zunächst die alleinige Aufenthaltsbestimmung der Mutter bestätigt. Dänemark verweigerte jedoch die Vollstreckung dieser Entscheidung. In späteren Verfahren stellte das dänische Gericht fest, dass die Kinder widerrechtlich nach Dänemark verbracht wurden, sah jedoch von einer Rückführung gemäß Art. 13 HKÜ ab – mit Verweis auf den Kindeswillen und mutmaßliche Gefährdung.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Die Verfassungsbeschwerde richtete sich unter anderem gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts Hamburg und des Hanseatischen Oberlandesgerichts, mit denen das internationale Zuständigkeitsrecht dahin ausgelegt wurde, dass deutsche Gerichte nicht mehr für die elterliche Sorge zuständig seien.

Wesentliche Punkte der Zurückweisung

  1. Keine Verletzung des Elterngrundrechts (Art. 6 Abs. 2 GG):
    Das BVerfG sah die Annahme des gewöhnlichen Aufenthalts der Kinder in Dänemark durch das Oberlandesgericht als vertretbar an. Die Maßstäbe des Kinderschutzübereinkommens (KSÜ), insbesondere Art. 7, seien ordnungsgemäß angewandt worden. Das Gericht betonte, dass bei einer Aufenthaltsdauer von mehr als zwei Jahren und bei nachweislicher sozialer Integration ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt in Dänemark vorlag.

  2. Keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG):
    Zwar seien die Kinder nicht erneut angehört worden, jedoch sei dies unter Bezug auf frühere kindgerechte Anhörungen in beiden Ländern und die hinreichende Sachverhaltskenntnis der Gerichte nicht zwingend erforderlich gewesen. Eine grundrechtlich relevante Gehörsverletzung lag daher nicht vor.

  3. Unzulässigkeit wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses:
    Für mehrere der angegriffenen Beschlüsse, darunter einstweilige Anordnungen zur Herausgabe der Kinder, bestand nach Auffassung des BVerfG kein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse, da diese Entscheidungen durch zwischenzeitliche Entwicklungen (etwa Rückführung der Kinder nach Dänemark und parallele Verfahren dort) prozessual überholt seien.

Bewertung und Bedeutung

Die Entscheidung zeigt, wie präzise das BVerfG die Wechselwirkungen zwischen internationalem Recht und deutschem Verfassungsrecht abwägt. Zwar wird das Elterngrundrecht umfassend geschützt, doch erkennt das Gericht an, dass die Zuständigkeitsverteilung in einem internationalen Kontext besondere Regeln unterliegt. Das Kindeswohl – einschließlich der Achtung des Kindeswillens – hat dabei stets oberste Priorität.

Zudem unterstreicht der Beschluss die Bedeutung einer stringenten Darlegung des Rechtsschutzinteresses in der Verfassungsbeschwerde – insbesondere in Verfahren mit dynamischer internationaler Sachverhaltsentwicklung.

Fazit

Das Bundesverfassungsgericht bleibt seiner Linie treu, die Fachgerichtsbarkeit zu respektieren und nur bei evident grundrechtsrelevanten Fehlentscheidungen einzugreifen. Für die Praxis im internationalen Familienrecht bedeutet dies, dass eine fundierte Argumentation sowohl bezüglich Zuständigkeit als auch hinsichtlich des Kindeswohls erforderlich ist, um eine verfassungsgerichtliche Überprüfung erfolgreich zu durchlaufen.

 

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