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Social Media 2025: Zwischen Wachstum und Sättigung

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Social Media 2025: Zwischen Wachstum und Sättigung

Soziale Netzwerke

Eine Analyse der neuen ARD/ZDF-Medienstudie

Einleitung

Soziale Medien sind längst kein Nischenthema mehr, sondern ein zentraler Bestandteil der Informations- und Kommunikationslandschaft. Doch der rasante Aufstieg der vergangenen Jahre scheint ins Stocken geraten zu sein. Die neue ARD/ZDF-Medienstudie 2025 „Social Media zwischen Wachstum und Sättigung“ zeigt: Während sich die Nutzung stabilisiert, treten neue Dynamiken bei den Altersgruppen, Plattformen und Nutzungsgewohnheiten hervor. Dies wirft nicht nur medienpolitische, sondern auch gesellschaftliche und ökonomische Fragen auf.


Kernergebnisse der Studie

Die Studie, die vom 28. Januar bis 18. April 2025 auf Basis einer kombinierten Telefon- und Onlinestichprobe mit 2.512 Befragten durchgeführt wurde, bietet ein repräsentatives Bild der Social-Media-Nutzung in Deutschland ab 14 Jahren.

1. Wachstum nur noch bei Älteren

  • 63 % der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren nutzen Soziale Medien mindestens wöchentlich.

  • Das entspricht 44,15 Millionen regelmäßigen Nutzenden.

  • Treiber sind inzwischen Personen ab 50 Jahren:

    • 50–69 Jahre: +4 Prozentpunkte auf 53 %

    • 70+ Jahre: +10 Prozentpunkte auf 29 %

Jüngere Nutzer (14–29 Jahre) haben dagegen ein Plateau erreicht: Seit 2024 stagniert die Wochenreichweite bei 91 %.

2. Tägliche Nutzung: Stabil, aber altersabhängig

  • Die Tagesreichweite liegt bei 35 % (+4 Punkte).

  • Besonders stark wächst die Nutzung bei den 30–49-Jährigen (+6 Punkte).

  • Jüngere konsumieren vor allem Videos und Stories, ältere eher Artikel.

3. Nutzungsdauer: 30 Minuten pro Tag

  • Durchschnittlich verbringen die Deutschen 30 Minuten täglich in sozialen Netzwerken.

  • Unter 30-Jährige verzeichnen jedoch einen Rückgang auf 60 Minuten (–7 Minuten ggü. 2024).

  • Ältere steigern ihre Nutzungsdauer leicht.

4. Plattformdynamiken: Instagram stagniert, TikTok wächst

  • Instagram bleibt Marktführer (40 % Wochenreichweite), verliert aber erstmals bei den Jüngeren (–5 Punkte, 77 %).

  • Facebook rutscht weiter ab (31 %, –2 Punkte) und wird zunehmend zur Plattform der „Digital Immigrants“.

  • TikTok erreicht nun 20 % Gesamtwochenreichweite, die Hälfte der 14–29-Jährigen nutzt es regelmäßig.

  • Kleinere Plattformen (Snapchat, Pinterest) behaupten ihre Nischen, während neue Dienste wie Threads (5 %) oder Bluesky (3 %) nur Randsegmente bedienen.


Sättigung, Alterseffekte und Plattformverschiebungen

1. Vom jugendlichen Trendsetter zum „Seniorenphänomen“

Die Studie verdeutlicht einen klassischen Lebenszyklus von Plattformen: Jüngere Zielgruppen ziehen weiter, während ältere Nutzer aufholen. Facebook ist längst im Segment 50+, und Instagram bewegt sich in eine ähnliche Richtung. Das zeigt: Plattformen altern mit ihrer Nutzerschaft.

2. Von der Soziallogik zur Plattformökonomie

Die Studie beschreibt den Übergang von persönlichem Austausch hin zu einer Monetarisierungslogik:

„Algorithmisch priorisierter, professionell produzierter Influencer-Content, Markenauftritte und Werbung verdrängen persönliche Inhalte aus dem sozialen Umfeld der Nutzenden.“ (ARD/ZDF-Medienstudie 2025, S. 2).

Dies verändert das Grundverständnis Sozialer Medien: vom Raum für Kommunikation hin zu kommerzialisierten Plattformökonomien.

3. Ambivalenz bei Jüngeren

Obwohl die 14–29-Jährigen nach wie vor die intensivsten Nutzer sind, zeigt sich eine Digital-Detox-Tendenz. Zwei Drittel der Jüngeren hatten bereits 2022 eine Phase der bewussten Abstinenz ausprobiert. Die Studie deutet darauf hin, dass die sinkende tägliche Nutzungsdauer in dieser Gruppe Ausdruck einer kritischeren Haltung gegenüber Social Media ist.

4. Medienpolitische Implikationen

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind die Ergebnisse doppelt relevant:

  • Einerseits bleiben Social Media zentrale Distributionskanäle für Nachrichten, insbesondere für Jüngere.

  • Andererseits müssen ARD und ZDF die Plattformabhängigkeit von US- und China-Konzernen kritisch reflektieren. Eine eigene Plattformstrategie – etwa im Rahmen eines „Public Open Space“ – könnte helfen, publizistische Unabhängigkeit zu wahren.

Die ARD/ZDF-Medienstudie 2025 zeigt ein ambivalentes Bild: Einerseits sind Soziale Medien in allen Altersgruppen fest etabliert, andererseits stagniert die Nutzung bei den Jüngeren, während Ältere stark aufholen. Die Plattformökonomie verschiebt die Logik sozialer Netzwerke – vom persönlichen Austausch hin zur kommerziellen Content-Distribution. Für Medienanbieter, Politik und Gesellschaft stellt sich damit die Frage: Wie sichern wir Vielfalt, Unabhängigkeit und Nutzerorientierung in einem zunehmend gesättigten Markt?

 


Konsequenzen für Informationsfreiheit, Meinungsfreiheit und die Grundlagen der Demokratie:

Informationsfreiheit und Zugänglichkeit

Die Studie zeigt: 63 % der Bevölkerung nutzen Soziale Medien wöchentlich, täglich immerhin 35 %. Damit sind Plattformen wie Instagram, Facebook und TikTok längst Primärkanäle für Information.

  • Chancen:

    • Niedrigschwelliger Zugang zu Informationen – insbesondere für Jüngere, die klassische Medien kaum noch erreichen.

    • Vielfalt an Stimmen und direkten Zugängen (z. B. Politiker, NGOs, Bürgerjournalismus).

  • Risiken:

    • Informationsfreiheit wird faktisch durch privatwirtschaftliche Algorithmen gesteuert. Wer Inhalte sieht, entscheidet nicht die Pressefreiheit, sondern eine Black-Box.

    • Damit verschiebt sich die „Torwächterfunktion“: Nicht mehr Redaktionen, sondern Konzerne wie Meta oder ByteDance bestimmen Reichweiten.

Konsequenz: Informationsfreiheit wird von einem Grundrecht zunehmend in eine abhängige Variable ökonomischer Plattforminteressen verwandelt.


Meinungsfreiheit und Diskursqualität

Die Studie dokumentiert die Verlagerung hin zu „professionell produziertem Influencer-Content, Markenauftritten und Werbung“.

  • Folge: Persönliche Inhalte weichen kommerziellen und politischen „Kampagneninhalten“.

  • Meinungsfreiheit existiert formal, wird aber durch die Aufmerksamkeitsökonomie gefiltert.

  • Gleichzeitig wächst das Risiko von Hassrede, Desinformation und Fragmentierung. Viele Nutzer ziehen sich bereits zurück – jede zweite Person meidet Interaktion wegen Hass im Netz (vgl. Klicksafe-Studie, in der ARD/ZDF-Studie zitiert).

Konsequenz: Die Meinungsfreiheit bleibt bestehen, aber die praktische Ausübung verschiebt sich: Wer sich äußert, muss mit Anfeindung oder Unsichtbarkeit rechnen. Das schwächt den öffentlichen Diskurs.


Demokratie und Öffentlichkeit

Demokratie lebt von einer informationsoffenen, pluralen und respektvollen Öffentlichkeit. Die Studie legt nahe, dass:

  • Jüngere selektiver konsumieren (oft im privaten Messenger statt im offenen Feed). Öffentliche Debattenräume schrumpfen.

  • Ältere (50+) neu in den digitalen Diskurs eintreten – allerdings mit stärkerem Fokus auf Artikel und klassischen Formaten.

Damit entstehen parallele Öffentlichkeiten:

  • Eine jugendliche, visuell und schnell getaktete Öffentlichkeit (TikTok, Reels, Stories).

  • Eine ältere, text- und artikelbasierte Öffentlichkeit (Facebook, Instagram-Artikel).

Die gemeinsame Debattenbasis droht zu erodieren.


Demokratietheoretische Bewertung

  • Habermas’sche Öffentlichkeit: Soziale Medien sollten ein „neuer öffentlicher Raum“ sein, sind aber zunehmend kommerzialisiert und fragmentiert.

Habermas versteht unter Öffentlichkeit den Raum, in dem sich Bürger frei informieren, ihre Meinung bilden und diese in den demokratischen Willensbildungsprozess einbringen können. Sie ist ein notwendiges Fundament jeder freiheitlich-demokratischen Ordnung.

Übertragung auf Soziale Medien

  • Potenzial: Ursprünglich galten soziale Medien als „digitale Agora“ – ein neuer, offener Debattenraum jenseits klassischer Medien. Jeder konnte Inhalte teilen, Kritik äußern und Diskussionen anstoßen. Damit schien die Habermas’sche Öffentlichkeit in digitaler Form gestärkt.

  • Realität heute (laut ARD/ZDF-Medienstudie 2025):

    • Die Öffentlichkeit ist kommerzialisiert: Plattformen steuern Inhalte algorithmisch nach Reichweite, Engagement und Werbewert.

    • Sie ist fragmentiert: An die Stelle einer gemeinsamen Debattenarena tritt eine Vielzahl von Teilöffentlichkeiten (TikTok für Jugendliche, Facebook für Ältere, Messenger-Gruppen für private Kreise).

    • Sie ist anfällig für Verzerrungen: Professionalisierte Akteure, Influencer und Kampagnen verdrängen spontane, bürgergetragene Beiträge.

Konsequenz

  • Das Ideal einer einheitlichen, rationalen Öffentlichkeit nach Habermas wird unterminiert.

  • Stattdessen entsteht eine zersplitterte, algorithmisch gesteuerte Öffentlichkeit, in der Bürger zwar formell frei sprechen können, aber in Wirklichkeit durch Plattformlogiken gefiltert und in „Blasen“ kanalisiert werden.

  • Für die Demokratie bedeutet das: Die gemeinsame Basis für informationsgestützte, diskursive Willensbildung droht verloren zu gehen.

  • Grundrechte:

    • Informationsfreiheit (Art. 5 GG) kollidiert mit algorithmischer Filterung.

    • Meinungsfreiheit wird formal gewahrt, aber praktisch durch ökonomische und technische Strukturen eingeschränkt.

  • Legitimation der Demokratie: Wenn Bürgerinnen und Bürger ihre Informationen primär über Plattformen erhalten, deren Logik nicht an Verfassungsnormen, sondern an Profit orientiert ist, droht eine strukturelle Schwächung demokratischer Diskurse.


Politische und medienethische Konsequenzen

Aus der Studie ergeben sich klare Handlungsfelder:

  1. Regulierung der Algorithmen – Transparenz und Rechenschaftspflicht.

  2. Stärkung öffentlich-rechtlicher Inhalte in Social Media – um Vielfalt und Verlässlichkeit auch dort zu sichern.

  3. Förderung von Medienkompetenz – Nutzer müssen erkennen, wie Plattformen ihre Wahrnehmung steuern.

  4. Europäische Alternativen (Stichwort „Public Open Space“): Eine demokratische Infrastruktur darf nicht allein von US- oder chinesischen Konzernen abhängen.

 


Droht die Demokratie vom Geschäftsmodell der Plattformen abhängig zu werden?


Wenn man die Aussage „Ohne Eingriffe droht die Demokratie vom Geschäftsmodell der Plattformen abhängig zu werden“ ernst nimmt, hat das für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) in Deutschland weitreichende Konsequenzen.

Demokratieabhängigkeit von Plattformen

  • Plattformen wie Meta, TikTok, YouTube sind privatwirtschaftlich organisierte Infrastrukturen, deren primäres Ziel nicht die Sicherung demokratischer Öffentlichkeit, sondern die Maximierung von Profit und Reichweite ist.

  • Damit wird die demokratische Grundversorgung mit Information in Abhängigkeit von Geschäftsmodellen gestellt, die auf Werbung, Datenökonomie und algorithmischer Emotionalisierung beruhen.

  • Die ARD/ZDF-Medienstudie 2025 belegt, dass Social Media zentrale Orte der Informationsrezeption geworden sind: 63 % wöchentliche Nutzung, 35 % Tagesreichweite.


Funktionsauftrag des ÖRR im Lichte dieser Entwicklung

Der ÖRR hat verfassungsrechtlich den Auftrag,

  • Vielfalt zu sichern,

  • Staatsferne und Unabhängigkeit zu gewährleisten,

  • und die Grundversorgung mit Information und Kultur sicherzustellen (BVerfG, st. Rspr.).

Wenn der mediale Alltag aber überwiegend über Plattformen läuft, die nach kommerzieller Logik Inhalte filtern, bedeutet das:

  • Der ÖRR kann seinen Auftrag nur noch eingeschränkt erfüllen, wenn er sich lediglich auf diesen Plattformen „einklinkt“.

  • Er muss Inhalte zwar dort platzieren (um Reichweite zu sichern), darf aber nicht in eine strukturelle Abhängigkeit geraten, bei der die Plattform den Zugang zur Öffentlichkeit kontrolliert.


Bedeutung für die Demokratie

Ein ÖRR, der den Funktionsauftrag tatsächlich erfüllt, wird unter diesen Bedingungen zu einem Schutzanker gegen Plattformabhängigkeit:

  1. Eigenständige Verbreitungswege: Er muss nicht nur Inhalte produzieren, sondern auch eigene digitale Infrastrukturen bereitstellen („Public Open Space“), damit Demokratie nicht vom Algorithmus abhängt.

  2. Inhaltequalität: Er muss das Gegengewicht zu emotionalisiertem, klickoptimiertem Content bilden – mit faktenbasierten, vielfältigen und ausgewogenen Informationen.

  3. Transparenz und Vertrauen: Während Plattformen intransparent agieren, muss der ÖRR durch nachvollziehbare Strukturen und Gremienarbeit öffentliche Rechenschaft ablegen.

  4. Stärkung der Medienkompetenz: Wenn Bürger lernen, wie Algorithmen und Plattformlogiken wirken, stärkt dies auch die Fähigkeit, Informationen kritisch einzuordnen – ein Kernbestandteil demokratischer Öffentlichkeit.


Juristisch-politische Implikation

Das Bundesverfassungsgericht betont seit Jahrzehnten, dass der ÖRR nicht irgendein Anbieter unter vielen ist, sondern strukturell notwendig für die Demokratie (Bestands- und Entwicklungsgarantie).

  • In einer digitalen, plattformdominierten Medienwelt bedeutet das:

    • Der ÖRR muss unabhängige Sichtbarkeit gewährleisten,

    • er darf nicht allein auf kommerzielle Plattformlogik vertrauen,

    • und er muss einen alternativen Raum für demokratische Öffentlichkeit schaffen.


Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der seinen Funktionsauftrag ernst nimmt, ist heute nicht nur Informationsanbieter, sondern Garant demokratischer Unabhängigkeit von Plattformökonomien.
Ohne einen Garanten unabhängiger Plattformen läuft die Demokratie Gefahr, dass Meinungsvielfalt, Informationsfreiheit und öffentliche Debatte den Algorithmen privater Konzerne ausgeliefert sind.

 

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