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SH: Beamtenbesoldung, Pensionsfonds – ist die Finanzpolitik verfassungswidrig?

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

SH: Beamtenbesoldung, Pensionsfonds – ist die Finanzpolitik verfassungswidrig?

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Beamtenbesoldung 2022 in Schleswig-Holstein – Verhandlung vor dem VG Schleswig und verfassungsrechtliche Maßstäbe des Art. 33 Abs. 5 GG

Die Finanzpolitik ist an Grundgesetz gebunden

Für die Haushalts- und Besoldungspolitik Schleswig-Holsteins gelten insbesondere:

  • Art. 33 Abs. 5 GG
    (Bindung an die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums – insbesondere amtsangemessene Alimentation und Fürsorgepflicht)

  • Art. 20 Abs. 3 GG
    (Bindung der Exekutive und Legislative an Gesetz und Recht)

  • Art. 109 GG
    (Grundsätze der Haushaltswirtschaft, Schuldenbremse, Haushaltswahrheit und -klarheit)

  • §§ 7, 12, 34 LHO SH
    (Wahrheit, Klarheit, Fälligkeit, vollständige Erfassung der Verpflichtungen)

Wenn die Finanzpolitik diese Normen verletzt, kann sie verfassungswidrig sein.


Kann Finanzpolitik verfassungswidrig sein?

Die Finanzpolitik eines Landes ist nicht frei, sondern begrenzt durch:

a) Nichtdisponible Alimentationspflicht (Art. 33 Abs. 5 GG)

Die Besoldung muss stets amtsangemessen sein – unabhängig von Haushaltslage oder politischen Prioritäten.

Unteralimentation ist verfassungswidrig – selbst wenn sie „zu teuer“ wäre.

b) Pflicht zur haushaltsrechtlichen Wahrheit (Art. 109 GG, § 7 LHO)

Der Haushaltsplan darf Verpflichtungen nicht verschweigen oder künstlich kleinrechnen.

→ Ein Haushalt, der verfassungswidrig niedrige Besoldung als „Ausgabe“ einplant, ist unwahr.

c) Pflicht zur nachhaltigen Finanzpolitik

Ein Staat darf sich nicht durch Verschieben der Lasten in die Zukunft sanieren.

→ Rückgriff auf zweckgebundene Fonds kann verfassungsrechtlich problematisch sein.


Indikatoren für mögliche Verfassungswidrigkeit der SH-Finanzpolitik

I. Verfassungswidrige Unteralimentation (2022)

Wenn die Besoldung 2022 nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungswidrig wäre, hat der Landesgesetzgeber:

  • trotz Kenntnis der Parameter,

  • trotz Warnungen durch VG, OVG und Verbände,

  • und trotz deutlicher Preisentwicklung

keine Korrektur vorgenommen.

Dies erfüllt die Merkmale eines gesetzgeberischen Unterlassens trotz positiver Handlungspflicht aus Art. 33 Abs. 5 GG.

Mögliche Verfassungswidrigkeit der Besoldungspolitik.


II. Aufhebung der Gleichbehandlungszusage und Einführung des Familienergänzungszuschlags

Die Landesregierung hat 2022 ein „autonomes Alimentationsmodell“ eingeführt, das:

  • systematisch die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen nivelliert,

  • auf Zuschlagssysteme statt strukturelle Besoldung setzt,

  • die Mindestabstände zur Grundsicherung nur über Umwege einhält.

Wenn dieses Modell systematisch gegen das Abstandsgebot verstößt:

Mögliche verfassungswidrige Besoldungsstrukturpolitik.


III. Rückgriff auf den Pensionsfonds – Verstoß gegen Zweckbindung

Der Versorgungsfonds ist ein gesetzlich zweckgebundenes Sondervermögen.

Entnahmen für den allgemeinen Haushalt sind:

  • zweckwidrig,

  • haushaltsrechtswidrig,

  • und möglicherweise verfassungswidrig, wenn dadurch Versorgungsansprüche gefährdet werden.

Dies hätte zwei Ebenen:

1. Verstoß gegen einfaches Gesetz (VersFondsG SH)

→ rechtswidrig

2. Verstoß gegen Art. 33 Abs. 5 GG

Wenn Versorgungssicherheit gefährdet ist → mögliche Verfassungswidrigkeit

3. Verstoß gegen Haushaltsgrundsätze

Ein Haushalt, der Pensionen langfristig zusagt, aber Rücklagen zweckwidrig verbraucht, verletzt:

  • Haushaltsklarheit

  • Haushaltswahrheit

  • Nachhaltigkeit

möglicher Verstoß gegen Art. 109 GG


 

Das Land hat – trotz offener Vorlagefragen und absehbarer Risiken – über Jahre nicht reagiert.

Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu mehrfach gesagt:

„Der Gesetzgeber darf Verfassungswidrigkeiten nicht aussitzen.“
(BVerfGE 146, 71)

Unterlassene Gesetzgebung bei bestehender Pflicht → verfassungswidriges Unterlassen.


Die Finanzpolitik Schleswig-Holsteins bewegt sich in mehreren Bereichen an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit – und überschreitet diese möglicherweise.

Besonders kritisch:

  • Unteralimentation als dauerhafte Haushaltssanierung,

  • Rückgriff auf Pensionsfonds als Schattenhaushalt,

  • fehlende Korrekturen trotz verfassungsrechtlicher Warnsignale,

  • Nichteinhaltung zentraler Staatsstrukturprinzipien des Art. 33 Abs. 5 GG.

Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann diese Defizite nicht legitimieren, sondern lediglich post festum offenlegen


Notkreditaufnahme im Haushalt 2024 verfassungswidrig

Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht hat im April 2025 entschieden, dass die Ermächtigung zur Aufnahme von Notkrediten im Haushaltsgesetz 2024 verfassungswidrig ist (Az. LVerfG 1/24).


Versorgungsfonds des Landes Schleswig-Holstein (VersFondsG SH)

Schleswig-Holstein hat mit dem
Gesetz über die Errichtung eines Versorgungsfonds des Landes Schleswig-Holstein (VersFondsG SH)
ein Sondervermögen eingerichtet, das ausschließlich der Vorsorge für Versorgungsausgaben dienen soll.

Zweckbindung (§ 2 VersFondsG SH)

„Der Fonds dient der Finanzierung künftiger Versorgungsausgaben des Landes.“

Damit ist gesetzlich verbindlich festgelegt:

  • Das Geld darf nicht frei im Haushalt verwendet werden,

  • sondern ausschließlich zur langfristigen Finanzierung von Pensionen und Beihilfen.

Der Fonds war ursprünglich durch jährliche Zuführungen (ca. 80 Mio. €) ausgestattet.


Worum ging es beim Rückgriff des Landes auf den Pensionsfonds?

Kern des Vorgangs: Das Land entnahm erhebliche Mittel aus dem Fonds, um den laufenden Haushalt zu stabilisieren.

Das heißt:

  • Gelder, die für Beamtenpensionen zweckgebunden waren,

  • wurden zur Deckung allgemeiner Haushaltslöcher („Konsolidierungszwecke“) genutzt.

Berichtsstand

Mehrere Presseberichte und Haushaltsdokumente zeigen:

  • Das Land plante bzw. realisierte Entnahmen in dreistelliger Millionenhöhe (teils rund 300 Mio. €).

  • Die Entnahmen dienten nicht der Balance der Versorgungsausgaben selbst,
    sondern der Entlastung des allgemeinen Landeshaushalts im Rahmen der Konsolidierung.

dbb SH: Haushaltsentwurf für 2026:

Landesregierung will den Versorgungsfonds halbieren

Damit wäre die Zweckbindung unterlaufen.


Warum der Rückgriff problematisch ist

a) Verletzung der Zweckbindung des Sondervermögens

Die Zweckbindung des VersFondsG SH ist eindeutig:

  • Mittel dürfen nur für Versorgungsausgaben verwendet werden.

  • Jede andere Verwendung ist rechtswidrig, sofern das Gesetz nicht geändert wurde.

Das ist ein klassischer Fall einer zweckwidrigen Verwendung von Sondervermögen.


b) Verstoß gegen haushaltsrechtliche Grundsätze

Art. 109 Abs. 1 GG – Haushaltswirtschaftliche Solidität

Ein Pensionsfonds soll genau das verhindern, was nun passiert:

  • Der Haushalt verschiebt Lasten in die Zukunft,

  • statt sie in der Gegenwart strukturell abzubilden.

Landeshaushaltsordnung SH – Grundsatz der Wahrheit und Klarheit (§ 7 LHO)

Ein Haushalt, der Versorgungslasten im Sondervermögen parkt, aber die Mittel anderweitig verbraucht,
verstößt gegen das Prinzip wahrer und vollständiger Abbildung von Verpflichtungen.

Problematische Haushaltskosmetik

Die Entnahme führt zu einer optischen Haushaltsentlastung, ohne die realen Verpflichtungen zu senken.


c) Verstoß gegen die Fürsorgepflicht (Art. 33 Abs. 5 GG)

Der Versorgungsfonds dient der langfristigen Absicherung von:

  • Pensionszahlungen

  • Beihilfeleistungen

Wird das Fondsvermögen aufgezehrt, entsteht eine Gefährdung der Versorgungssicherheit.

Dies steht im Spannungsverhältnis zu:

  • der Alimentationspflicht,

  • der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht,

  • und der Pflicht des Staates, seine Beamten wirtschaftlich unabhängig zu halten.

Ein Rückgriff auf den Fonds, um kurzfristige Haushaltsprobleme zu lösen, widerspricht daher der verfassungsrechtlichen Logik des Berufsbeamtentums.


Warum wurde der Fonds angegriffen?

  • Die Landesregierung stand unter erheblichem Haushaltsdruck.

  • Marode Infrastruktur, Corona-Folgekosten, Investitionsstau und Konsolidierungsforderungen.

  • Anstatt strukturell gegenzusteuern (Einnahmen erhöhen, Ausgaben senken),
    wurde auf Rücklagen zugegriffen.

Das ist politisch verständlich, aber verfassungsrechtlich defizitär.


Warum der Rückgriff gefährlich ist

a) Die Versorgungskosten steigen massiv (Babyboomer-Ruhestand ab ca. 2027).

Ein geschwächter Fonds bedeutet:

  • steigende Belastungen in kommenden Haushalten,

  • geringere Puffer gegen Zins- und Marktbewegungen,

  • höhere Nettoausgaben aus dem Kernhaushalt.

b) Vollständige Nachzahlungspflichten bei verfassungswidriger Besoldung

Wenn das Bundesverfassungsgericht:

  • die Besoldung 2022 verwirft und

  • die Weihnachtsgeldfrage kassiert,

dann entsteht ein Rückzahlungsbedarf von über 2 Mrd. € bis 2025.

Der geschwächte Pensionsfonds kann diese Belastung nicht abfedern.

c) Finanzielle Notlage erhöht die Gefahr weiterer verfassungswidriger Besoldungsrunden

Denn:

  • wenn der Fonds fehlt,

  • fehlt auch der finanzielle Spielraum für zukünftige Besoldungsanpassungen.

Dies erzeugt einen Teufelskreis aus Unteralimentation → Korrektur → Unteralimentation.


Darf die Politik einfach „abwarten“?

Ausgangslage in SH nach Beschluss vom 11. November 2025 des VG Schleswig:

Das Verhalten der Landespolitik, die strukturelle Unteralimentation nicht eigeninitiativ zu korrigieren, sondern die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten, ist verfassungsrechtlich zu hinterfragen:

Der Landesgesetzgeber ist nicht frei, die Beamtenbesoldung politisch oder haushalterisch zu gestalten.
Er ist verfassungsrechtlich verpflichtet, die Alimentation fortlaufend so zu bemessen,

  • dass sie amtsangemessen,

  • verfassungskonform,

  • und strukturell tragfähig ist.

Das Alimentationsprinzip ist ein hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums und damit verfassungsunmittelbar bindend.

Diese Pflicht besteht ständig – nicht erst nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.

Der Gesetzgeber darf nicht darauf hoffen,
„dass es schon irgendwie reichen wird“.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt klargestellt:

Der Gesetzgeber darf Verfassungswidrigkeiten nicht aussitzen.
(BVerfGE 99, 300; 139, 64; 146, 71)

Wenn bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Besoldung verfassungswidrig ist,
muss der Gesetzgeber tätig werden.

In Schleswig-Holstein liegen seit Jahren:

  • mehrere unmittelbare Warnungen aus der Rechtsprechung (VG, OVG),

  • eindeutige Parameterprüfungen nach BVerfG-Recht,

  • Berichte der Gewerkschaften und Verbände,

  • sowie offene Vorlagebeschlüsse.

Trotzdem wurde kein präventiv verfassungskonformes System geschaffen.


Aushöhlung der Gewaltenteilung

Wenn die Exekutive und Legislative bewusst „abwarten“,
überlassen sie die politische Verantwortung dem Bundesverfassungsgericht.

Das führt zu:

a) Funktionsverschiebung

Das BVerfG wird faktisch zum „Korrekturgesetzgeber“.
Dies widerspricht der klassischen Gewaltenteilung gemäß Art. 20 Abs. 2 GG.

b) Verantwortungsdiffusion

Politisch Verantwortliche vermeiden Entscheidungen, um

  • Kosten,

  • öffentliche Aufmerksamkeit,

  • und personalpolitische Konflikte
    zu vermeiden.

Damit wird das verfassungsrechtlich garantierte System des Berufsbeamtentums nicht aktiv geschützt, sondern passiv dem Risiko überlassen, kollabierende Strukturen aufzudecken.


Risiko bewusster Unterfinanzierung

Wenn der Gesetzgeber trotz absehbarer Verfassungswidrigkeit untätig bleibt, erfüllt dies die Tatbestandsmerkmale eines haushaltsrechtlich pflichtwidrigen Unterlassens:

  • die Unteralimentation löst massive Nachzahlungspflichten aus (2022–2025: über 1 Mrd. €),

  • die Streichung des Weihnachtsgelds weitere 1 Mrd. €,

  • zusammen drohen über 2 Mrd. €,

  • und diese Summen müssen sofort im Haushalt bereitgestellt werden, sobald Karlsruhe entscheidet.

Währenddessen werden Haushalte pro forma als „ausgeglichen“ oder „stabil“ präsentiert – die reale Deckungslücke wird ignoriert.

Das widerspricht dem Grundsatz wirtschaftlicher Haushaltsführung (Art. 109 Abs. 1 GG, LHO SH).


Das politische Kalkül – Warum man trotzdem nicht handelt?

Rein strategisch lässt sich das Verhalten so erklären:

  1. Verantwortung verschieben
    → Karlsruhe entscheidet, nicht der Landtag.

  2. Kosten erst später sichtbar
    → Nachzahlungen treffen künftige Haushalte und Regierungen.

  3. Konflikte vermeiden
    → Tarifbeschäftigte verlangen sofort Gleichbehandlung, wenn Beamte mehr erhalten.

  4. Keine Wählermehrheit betroffen
    → Beamte sind politisch kleine Gruppen.

Staatsrechtlich ist das alles unerheblich – aber politisch logisch.


 

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