24111 Kiel, Rendsburger Landstraße 436
+49 431 12807082
kanzlei@grafkerssenbrock.com

Abschöpfung der im Zuge des Ukraine-Krieges entstandenen „Überschusserlöse“ verfassungsgemäß

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Abschöpfung der im Zuge des Ukraine-Krieges entstandenen „Überschusserlöse“ verfassungsgemäß

Umspannwerk

Urteil vom 28. November 2024 – 1 BvR 460/23, 1 BvR 611/23

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil die Abschöpfung sogenannter „Überschusserlöse“ bei Stromerzeugern als Reaktion auf die kriegsbedingten Strompreissteigerungen als verfassungsgemäß bestätigt. Nach Art. 12 Abs. 1 GG wird in die Berufsfreiheit der betroffenen Unternehmen eingegriffen. Dieser Eingriff ist jedoch aufgrund der außergewöhnlichen Umstände und des legitimen Ziels der Maßnahme gerechtfertigt.

Hintergrund der Regelung

Der Ukraine-Krieg führte 2022 zu einer erheblichen Verknappung von Erdgas, was massive Strompreissteigerungen nach sich zog. Aufgrund des Merit-Order-Mechanismus, bei dem der teuerste Stromerzeuger den Marktpreis bestimmt, profitierten insbesondere Betreiber von Anlagen mit geringen Brennstoffkosten (z. B. Wind- und Solaranlagen) von hohen Erlösen, die weit über den üblichen Investitionserwartungen lagen. Gleichzeitig wurden private und gewerbliche Verbraucher durch die gestiegenen Strompreise stark belastet.

Zur Abmilderung dieser Belastung verpflichtete die EU die Mitgliedstaaten durch eine Notfallverordnung, die Erlöse oberhalb bestimmter Obergrenzen abzuschöpfen und zugunsten der Verbraucher umzuverteilen. Deutschland setzte dies im Strompreisbremsegesetz um. Die Erlösabschöpfung erfolgt durch einen privatwirtschaftlichen Wälzungsmechanismus über Netzbetreiber und Versorgungsunternehmen, ohne Einnahmen für den Staat zu generieren.

Streitpunkt

22 Betreiber von erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen klagten, da sie die Maßnahme als unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Berufsfreiheit ansahen. Sie argumentierten, ihre Anlagen hätten den Strompreis nicht erhöht, sondern preisdämpfend gewirkt. Zudem sei die Abschöpfung als Sonderabgabe finanzverfassungsrechtlich unzulässig und hätte aus allgemeinen Haushaltsmitteln finanziert werden müssen.

Entscheidung des Gerichts

Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerden zurück und erklärte die Maßnahme für verfassungsgemäß. Die wesentlichen Erwägungen des Gerichts:

I. Gesetzgebungskompetenz und rechtliche Grundlage

  • Die Maßnahme stützt sich auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Energiewirtschaftsrecht.
  • Es handelt sich weder um eine Steuer noch um eine nichtsteuerliche Abgabe, da die Abschöpfungsbeträge nicht dem Staat zufließen, sondern eine Umverteilung unter Privaten darstellen.
  • Die Regelung fällt nicht in den Bereich der EU-Notfallverordnung, sondern bewegt sich im Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten und ist daher nach nationalem Recht zu prüfen.

II. Eingriff in die Berufsfreiheit

  • Die Abschöpfung greift in die Berufsfreiheit der Anlagenbetreiber ein, da sie deren wirtschaftliche Betätigungsfreiheit einschränkt und administrative Mitwirkungspflichten auferlegt.
  • Der Eingriff ist jedoch gerechtfertigt, da er einem legitimen Ziel dient, geeignet, erforderlich und angemessen ist.

III. Legitimität und Ziel der Maßnahme

  • Die Maßnahme verfolgt das Ziel, einen Ausgleich zwischen den außergewöhnlich belasteten Verbrauchern und den durch die Preissteigerungen begünstigten Stromerzeugern herzustellen. Dieses Ziel ist verfassungsrechtlich legitim.
  • Die Abschöpfung orientiert sich an den vor dem Krieg bestehenden Investitionserwartungen und stellt sicher, dass außergewöhnliche Gewinne zur Entlastung der Verbraucher genutzt werden.

IV. Verhältnismäßigkeit

  • Eignung und Erforderlichkeit: Die Maßnahme ist geeignet und erforderlich, da sie die Belastung nicht auf die Allgemeinheit, sondern direkt auf die durch die Marktverwerfungen begünstigten Unternehmen umlegt. Alternativen wie eine Finanzierung aus Haushaltsmitteln oder eine Änderung des Preisbildungsmechanismus wären nicht gleich effektiv.
  • Angemessenheit: Die Belastung der Anlagenbetreiber wird durch die Befristung der Maßnahme (30. November 2022 bis 30. Juni 2023) und den Verzicht auf rückwirkende Abschöpfung seit Beginn des Krieges gemildert. Trotz des erheblichen Eingriffs überwiegt das Interesse an einem Ausgleich zwischen den erheblichen Gewinnen der Stromerzeuger und den Belastungen der Verbraucher.

V. Administrativer Aufwand

  • Der administrative Aufwand ist erheblich, jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber handelte auf Grundlage realistischer Prognosen über das Abschöpfungsvolumen.

Fazit

Der Gesetzgeber darf in außergewöhnlichen Notsituationen wie der Energiekrise Maßnahmen ergreifen, die tief in Grundrechte wie die Berufsfreiheit eingreifen, solange diese Eingriffe durch ein legitimes Ziel, Verhältnismäßigkeit und die Einhaltung der Verfassungsordnung gerechtfertigt sind. Die Umverteilung der Überschusserlöse zugunsten der Verbraucher ist ein solches Mittel, das den Vorgaben des Grundgesetzes entspricht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Translate »