GO-SH: Abwahl eines Bürgermeisters – Teil 6

Ratzeburg – Sylt – Wedel
War das Verfahren zur Abwahl des Bürgermeisters in Ratzeburg eine Blaupause für Ratsversammlungen und Gemeinderäte, um einen unpassenden Bürgermeister, der direkt von den Bürgern gewählt wurde, schnell abwählen zu lassen?
Es lohnt der Blick auf die sogenannten Standpunkte- und Begründungpapiere der Gemeinde/Stadt im Vergleich, die von Gemeindevertretung und Ratsversammlung veröffentlicht und im Rahmen des jeweiligen Abwahlverfahrens an die Bürger verteilt wurden.
Die Richter der 6. Kammer sind der Auffassung, dass die beklagte Stadt Ratzeburg im Vorfeld der Abwahl gegen das Sachlichkeitsgebot verstoßen habe. Danach sei es gemeindlichen Organen untersagt, die freie und sachliche Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger zu gefährden. Dies dürfe insbesondere nicht durch suggestive Formulierungen geschehen.
Die Äußerungen in einem Standpunktepapier, das mit der Wahlbenachrichtigung versandt worden sei, verstießen hiergegen. In dieser der Stadtvertretung zuzurechnenden Publikation werde in unzulässiger Weise zur Abwahl des Bürgermeisters aufgefordert. Gemeindliche Organe dürften nicht durch eine Abstimmungsempfehlung unmittelbar auf den Abstimmungsvorgang selbst Einfluss nehmen.
Das Urteil (Az. 6 A 10014/21) ist noch nicht rechtskräftig.
Standpunktepapiere der Organe aus Ratzeburg – Wedel – Sylt
Die drei Standpunktepapiere zu den Abwahlverfahren in Sylt, Wedel und Ratzeburg weisen im Lichte der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Schleswig entscheidende Gemeinsamkeiten und mögliche Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot auf.
Vergleich der inhaltlichen Argumente und verantwortlichen Organe
- Sylt (Nikolas Häckel)
- Inhalt: Schwere Mängel in der Amtsführung, einschließlich finanzieller Unzulänglichkeiten, Kommunikationsdefiziten und gestörtem Vertrauensverhältnis. Betont wird eine nicht mehr heilbare Störung des Verhältnisses zwischen Bürgermeister und Gemeindevertretung.
- Absender: Gemeindevertretung der Gemeinde Sylt. Das Papier appelliert direkt an die Bürger, den Bürgermeister abzuwählen.
- Wedel (Gernot Kaser)
- Inhalt: Kritik an Führungsverhalten, u. a. Misstrauen gegenüber Fachleuten, Missachtung gesetzlicher Vorschriften, Datenschutzverstöße und ein gestörtes Verhältnis zu Beschäftigten und politischen Gremien. Zusätzlich wird ein laufendes Disziplinarverfahren hervorgehoben.
- Absender: Rat der Stadt Wedel. Das Dokument endet mit einer expliziten Empfehlung zur Abwahl.
- Ratzeburg (Gunnar Koech)
- Inhalt: Vorwürfe reichen von zerrütteten Beziehungen zu Feuerwehr, Schulen und Mitarbeitenden bis hin zu Disziplinarverfahren, strafrechtlichen Ermittlungen und moralischen Verfehlungen (z. B. Unehrlichkeit und Veruntreuung).
- Absender: Stadtvertretung der Stadt Ratzeburg. Die Botschaft schließt mit einer Aufforderung, für die Abwahl zu stimmen.
Das Verwaltungsgericht Schleswig kritisiert in der Entscheidung zu Ratzeburg suggestive Formulierungen und unzulässige Abstimmungsempfehlungen seitens gemeindlicher Organe. Diese Maßstäbe lassen sich wie folgt anwenden:
- Sachlichkeitsgebot: Alle drei Dokumente enthalten stark wertende Aussagen und Formulierungen, die geeignet sein könnten, die freie Willensbildung der Bürger zu beeinflussen. Beispiele:
- In Sylt wird der Bürgermeister als „krankheitsgezeichnet“ beschrieben, um die Alternativlosigkeit der Abwahl zu untermauern.
- In Wedel wird ein „Klima der Angst“ und „Demotivation“ durch den Bürgermeister hervorgehoben.
- In Ratzeburg wird mehrfach auf strafrechtliche Vorwürfe und ein „Trümmerfeld“ verwiesen.
- Abstimmungsempfehlung: In allen drei Fällen wird die Abwahl explizit befürwortet, was nach der Entscheidung des VG Schleswig unzulässig sein könnte.
- Suggestivität: Die Sprache ist teilweise stark emotionalisierend, z. B. in der Beschreibung persönlicher Verfehlungen (Ratzeburg) oder organisatorischer Defizite (Wedel und Sylt).
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
- Gemeinsamkeiten: Alle Papiere greifen den Bürgermeister persönlich an und zielen auf eine negative Darstellung seiner Amtsführung ab, verbunden mit einer klaren Aufforderung zur Abwahl.
- Unterschiede:
- Rhetorik: Die Formulierungen in Sylt und Wedel wirken weniger dramatisierend als in Ratzeburg.
- Schwerpunktsetzung: Während Sylt und Wedel organisatorische und verwaltungstechnische Defizite in den Vordergrund stellen, konzentriert sich Ratzeburg stärker auf persönliche und strafrechtliche Vorwürfe.
Relevanz der VG-Entscheidung
Die Standpunktepapiere von Sylt und Wedel sind wie das Papier in Ratzeburg als Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot zu werten. Beide Fälle enthalten wertende Aussagen und direkte Aufforderungen, die eine unzulässige Einflussnahme darstellen.