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Beamtenbesoldung Schleswig-Holstein: Das Abstandsgebot vor Gericht

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Beamtenbesoldung Schleswig-Holstein: Das Abstandsgebot vor Gericht

Rechtsprechung


Verhandlungstermin am 11. November 2025 vor dem Verwaltungsgericht Schleswig – Quelle: https://ivl-sh.de/langsam-aber-sicher-alimentationsentscheidung/


1. Hintergrund: Das Alimentationsprinzip und das Abstandsgebot

Nach Art. 33 Abs. 5 GG ist der Staat verpflichtet, Beamten und Richtern eine amtsangemessene Alimentation zu gewähren. Sie soll sicherstellen, dass der Lebensunterhalt – auch für Familien – in einem angemessenen Verhältnis zur Verantwortung und zum Dienstrang steht.
Ein zentrales Kriterium ist dabei das Abstandsgebot: Die Besoldung muss einen deutlichen Abstand zur Grundsicherung (SGB II/XII) einhalten. Dieser Mindestabstand liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei rund 15 %. Ebenso verlangt das Alimentationsprinzip, dass zwischen den einzelnen Besoldungsgruppen ein ausreichender interner Abstand besteht, um das Laufbahnprinzip und die Leistungsdifferenzierung zu wahren.

Das Abstandsgebot schützt somit nicht nur vor Unteralimentation, sondern sichert zugleich die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums als eigenständige Statusordnung.


2. Die besondere Lage in Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein steht das Besoldungssystem seit Jahren unter verfassungsrechtlicher Beobachtung. Bereits 2018 entschied das Verwaltungsgericht Schleswig (Az. 12 A 69/18), dass die Kürzung der Jahressonderzahlung („Weihnachtsgeld“) aus dem Jahr 2007 für bestimmte Besoldungsgruppen – insbesondere A 7 – teilweise verfassungswidrig war.
Das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein bestätigte später, dass mehrere Besoldungsgruppen „evident unteralimentiert“ seien (Az. 2 LB 93/18).

Das Land reagierte mit Besoldungsanpassungen und der Einführung sogenannter Familienergänzungszuschläge ab 2022. Diese Zuschläge sollen sicherstellen, dass die Nettoalimentation den Mindestabstand zur Grundsicherung wahrt. Kritiker – darunter der DBB und verschiedene Berufsverbände – sehen darin jedoch keine strukturelle Lösung: Das Grundgehalt bleibe in den unteren Besoldungsgruppen zu niedrig, und die Zuschläge seien nur ein flankierendes, nicht systemgerechtes Instrument.


3. Verfahren beim Bundesverfassungsgericht

Mehrere Verfahren aus Schleswig-Holstein liegen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vor. Sie betreffen die Frage, ob die aktuelle Besoldungspraxis und die Landesbesoldungstabellen mit dem Alimentationsprinzip vereinbar sind.
Das BVerfG hat in vergleichbaren Fällen präzisiert, dass das Abstandsgebot in einem mehrstufigen Prüfverfahren zu messen ist:

  1. Statistische Vergleichsprüfung der Besoldung mit Grundsicherung und Tarifentwicklung.

  2. Strukturelle Plausibilitätsprüfung über mehrere Jahre.

  3. Verfassungsrechtliche Würdigung unter Einbezug des Familienlastenausgleichs.

Das Schleswig-Holsteinische Verfahren soll auch klären, ob die Landesregierung mit den Familienergänzungszuschlägen und der Ausgestaltung der Grundgehaltstabellen diese Vorgaben hinreichend umgesetzt hat.


4. Der Verhandlungstermin am 11. November 2025

Für den 11. November 2025 hat das Verwaltungsgericht Schleswig nun die Hauptverhandlung in mehreren zusammengeführten Verfahren angesetzt.
Verhandelt werden rund 16 Verfahren aus verschiedenen Besoldungsgruppen, die alle denselben Kern betreffen:

  • Wahrung des Mindestabstands zur Grundsicherung,

  • Gleichmäßigkeit der Besoldungsentwicklung über die Jahre,

  • Vereinbarkeit der Familienergänzungszuschläge mit dem Alimentationsprinzip.

Die Verfahren waren zuvor ruhend gestellt, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abzuwarten. Da diese bislang nicht ergangen ist, hat das Gericht entschieden, die Verfahren nun wieder aufzunehmen.


5. Bedeutung des Verfahrens

Der Ausgang der Verhandlung am 11. November 2025 hat Signalwirkung – nicht nur für Schleswig-Holstein, sondern bundesweit. Sollte das Verwaltungsgericht die Besoldung erneut als verfassungswidrig einstufen, müsste das Land nachjustieren. Dies hätte erhebliche haushaltsrechtliche und finanzielle Folgen, da Nachzahlungsansprüche für tausende Beamte drohen könnten.
Zugleich würde die Entscheidung den Druck auf den Bund und andere Länder erhöhen, ihre Besoldungstabellen systematisch am Abstandsgebot auszurichten.


6. Fazit

Schleswig-Holstein steht exemplarisch für die Herausforderung, das Alimentationsprinzip unter den Bedingungen knapper Landeshaushalte einzuhalten.
Die Entscheidung wird zeigen, ob die Landespolitik die verfassungsrechtliche Grenze der Alimentation dauerhaft beachtet hat – oder ob der Weg zum Bundesverfassungsgericht unausweichlich bleibt.



Quelle: VG Schleswig 12 A 69/18 u.a.; OVG SH 2 LB 93/18; DBB SH 2024; BVerfGE 139, 64; 


R 1-Besoldung der Jahre 2008 bis 2010 in Sachsen-Anhalt verfassungswidrig

Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts: Nr. 27/2015  vom 5. Mai 2015

Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts die Kriterien konkretisiert, nach denen die Besoldung von Richtern und Staatsanwälten auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation zu überprüfen ist. Auf einer ersten Prüfungsstufe sind fünf Parameter mit indizieller Bedeutung heranzuziehen; die Vermutung für eine verfassungswidrige Unteralimentation besteht, wenn mindestens drei davon erfüllt sind. Die Parameter sind eine deutliche Differenz zwischen der Besoldungsentwicklung und der Entwicklung der Tariflöhne im öffentlichen Dienst, des Nominallohnindex sowie des Verbraucherpreisindex, darüber hinaus ein systeminterner Besoldungsvergleich und ein Quervergleich mit der Besoldung des Bundes beziehungsweise anderer Länder. Auf einer zweiten Prüfungsstufe kann diese Vermutung durch Berücksichtigung weiterer Kriterien im Rahmen einer Gesamtabwägung widerlegt oder weiter erhärtet werden. Auf einer dritten Prüfungsstufe ist gegebenenfalls eine Abwägung mit kollidierenden verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen wie dem Verbot der Neuverschuldung herbeizuführen; im Ausnahmefall kann eine Unteralimentation verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.

Nach diesem Maßstab sind die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 1 in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar. Der Landesgesetzgeber hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Januar 2016 an zu treffen. Die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 1 in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2003 sowie die Grundgehaltssätze der Besoldungsgruppe R 3 in Rheinland-Pfalz ab dem 1. Januar 2012 sind hingegen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar. Das Urteil ist einstimmig ergangen.

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