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Perspektiven für Digitalen Public Value im ZDF

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Perspektiven für Digitalen Public Value im ZDF

Rundfunk

Potenzialanalyse

Ein Gutachten zu den Potenzialen eines infrastrukturellen digitalen öffentlichen Mehrwerts (Digitaler Public Value) des ZDF.

Die Potenzialanalyse: Perspektiven für Digitalen Public Value im ZDF ist ein sorgfältig entwickeltes Gutachten, das bekannte Elemente der verfassungsrechtlichen und medienpolitischen Debatte aufgreift, systematisiert und in einen aktuellen, digital vernetzten Kontext stellt. Die zentralen Thesen sind allerdings in vielerlei Hinsicht Weiterentwicklungen bereits bestehender Überlegungen – mit einigen originellen Akzentuierungen, aber ohne einen grundlegend neuen Paradigmenwechsel.

Der Umstand, daß der Verwaltungsrat des ZDF dieses Gutachten beauftragt hat, erfordert einen Blick auf die Politiknähe des Gremiums:

Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, hatte bis zu ihrem Rücktritt im Juli 2024 zentrale medienpolitische Funktionen inne, die maßgeblich die Medienordnung in Deutschland beeinflussten.

  • Als Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder koordinierte Dreyer die gemeinsame Medienpolitik der Bundesländer. Dieses Gremium dient als Gesprächsforum und Beschlussinstanz für Fragen des Rundfunks und der Medienpolitik. Die Ergebnisse der Kommission werden den Landesregierungen und Landesparlamenten zur Abstimmung vorgelegt.
  • Jetzt ist Malu Dreyer Vorsitzende des Verwaltungsrats des ZDF. In dieser Funktion überwacht sie die wirtschaftliche und administrative Führung des Senders und ist an strategischen Entscheidungen beteiligt.

 

Bekannte Grundlagen

Bereits in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z. B. BVerfGE 73, 118; 83, 238; 90, 60) wurde die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Gegengewicht zu privatwirtschaftlicher Medienlogik betont. Die Funktionen der Integration, Meinungsvielfaltssicherung und Wahrheitsverpflichtung sind wohlbekannte Konstanten des Funktionsauftrags gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG.

Auch der Gedanke, dass digitale Netzwerkstrukturen zu einer Fragmentierung des öffentlichen Diskurses führen, ist nicht neu. Autoren wie Christoph Degenhart, Dieter Dörr oder Bernd Holznagel haben dies bereits unter dem Schlagwort der „Desintegration der Öffentlichkeit“ oder „Krise der gemeinsamen Diskursräume“ thematisiert. Ebenso sind Diskussionen um den Aufbau öffentlich-rechtlicher Plattformalternativen im Umfeld von Projekten wie Public Spaces Incubator schon länger Bestandteil medienpolitischer Debatten.

Originäre Impulse im Gutachten

Neu – im Sinne einer konzeptionellen Schärfung – ist vor allem die Entwicklung einer Gegengewichtsfunktion III (GGF III). Diese Idee führt die bisherigen Funktionen des ÖRR weiter, indem sie den ÖRR nicht nur als Ausgleich zu privaten Medien (GGF I) oder Desinformation im Netz (GGF II) versteht, sondern als aktiven Enabler einer alternativen digitalen Infrastruktur. Hierzu gehört die Vorstellung eines offenen, föderierten „Digital Open Public Space“ (DOPS) – ein visionäres Konzept, das über bloße Inhalte hinausgeht und auf institutionelle, technologische und algorithmische Ebene zielt.

Auch der Versuch, Digital Public Value (DPV) als strategische Steuerungsgröße zu definieren – inklusive eines „DPV-Kompasses“ zur Erfolgsmessung – stellt einen Schritt zur Operationalisierung gemeinwohlorientierter Medienpolitik dar, der bisher in dieser Form nicht systematisch vorgeschlagen wurde.

Einordnung

Das Gutachten enthält nichts revolutionär Neues, stellt jedoch eine inhaltliche Verdichtung, methodische Systematisierung und strategische Konkretisierung bestehender Debatten dar. Seine Stärke liegt weniger in originären Erkenntnissen als in der Kombination bekannter verfassungs- und medienpolitischer Ideen zu einem handlungsorientierten Zukunftsplan für den ÖRR.

 


Wie könnte eine Neuordnung des ÖRR gestaltet sein?

Basierend auf zentralen Elemente der Dissertation „Eine konvergenztaugliche Medienordnung“, ist medienverfassungsrechtlich fundiert auch folgendes Modell denkbar, um die digitalen Herausforderungen zu bewältigen.

Die Dissertation „Eine konvergenztaugliche Medienordnung? Die funktionsorientierte Dynamisierung der Presse- und Rundfunkfreiheit“ von Dagmar Gräfin Kerssenbrock (2017) analysiert, wie die verfassungsrechtlich garantierten Medienfreiheiten – insbesondere die Rundfunk- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG – im digitalen Zeitalter mit seinen technisch und ökonomisch konvergenten Strukturen neu interpretiert und gesichert werden können.

Kernaussagen:

  1. Medienfreiheit als Funktionsgarantie: Kommunikationsfreiheiten dienen nicht nur dem individuellen Recht, sondern sichern den öffentlichen Meinungsbildungsprozess als Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. Diese objektiv-rechtliche Dimension muss auch unter digitalen Bedingungen gewährleistet sein.

  2. Kritik an bestehender Medienordnung: Die aktuelle Medienregulierung sei zu sehr durch technische Kategorien (Rundfunk, Presse, Telemedien) und institutionelle Pfadabhängigkeiten geprägt. Sie sei nicht in der Lage, konvergente Angebote und neue Akteure angemessen zu erfassen.

  3. Konvergenz als regulatorische Herausforderung: Die zunehmende Vermischung von Inhalten, Verbreitungswegen und Akteuren stellt herkömmliche ordnungsrechtliche Unterscheidungen infrage. Besonders problematisch ist die unklare Regulierung von Plattformen, Algorithmen und intermediären Informationsvermittlern.

  4. Forderung nach dynamisierter Medienordnung: Kerssenbrock plädiert für eine funktionale Neuordnung, die nicht von technischen Verbreitungswegen, sondern vom Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung ausgeht. Dies erfordert auch eine Neujustierung des dualen Systems und eine stärkere, technologieneutrale Sicherung publizistischer Vielfalt.

  5. Verfassungsrechtliche Leitplanken: Eine zukünftige Medienordnung muss sich strikt an Art. 5 GG orientieren, insbesondere an seiner demokratiesichernden Funktion. Sie darf nicht presse- oder rundfunkspezifisch sein, sondern muss mediengattungsübergreifend Vielfalt, Unabhängigkeit und Zugänglichkeit garantieren.


 

Ein neues denkbares Modell: „Öffentlich-rechtliche Medienunion Deutschland (ÖRMD)“

Konvergenztauglich, demokratiefest, zukunftsoffen

Es geht um tiefgreifende Herausforderungen der Plattformökonomie, der Fragmentierung der Öffentlichkeit und der algorithmischen Diskurslenkung – und man muß sie mit einem verfassungsrechtlich fundierten, technologisch souveränen und institutionell entpolitisierten System des ÖRR beantworten. Es sollte regionale Vielfalt und föderale Struktur bewahrt werden, es geht um nationale Orientierung, digitale Gleichberechtigung – und den Schutz des Kommunikationsfundaments der Demokratie.


1. Grundprinzip: Funktionszentrierte Medienfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG

Im Zentrum steht nicht die Fortführung institutioneller Traditionen, sondern die Sicherung einer freiheitlichen, informierten Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter. Die dienende Freiheit der Medien wird zur Strukturvorgabe: Der Staat schützt die Kommunikationsfreiheiten, ohne sie zu lenken oder einzuengen.


2. Institutionelle Neustruktur

a) Erhalt und Stärkung der ARD

  • Die föderalen Strukturen der ARD bleiben erhalten – inklusive der Landesrundfunkanstalten mit ihren regionalen Programmkompetenzen.

  • Die ARD wird als bundesweiter Träger audiovisueller Inhalte weiterhin koordiniert und tritt national wie international einheitlich auf.

  • Zusammenarbeit mit dem ZDF im Bereich Forschung, KI und Open-Source-Plattformtechnologien wird institutionalisiert.

b) Neuausrichtung des ZDF

  • Das ZDF übernimmt vollständig das Deutschlandradio inklusive Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur.

  • Das ZDF entwickelt eine trimediale Struktur (Fernsehen, Radio, Digital) und bietet bundesweite Inhalte auf allen Plattformen.

  • Das neue ZDF wird zum nationalen Medienanker mit Fokus auf überregionale Orientierung, Kultur, Bildung und Wissenschaft.

c) Abschaffung der Deutschen Welle

  • Die Deutsche Welle wird aufgelöst.

  • Internationale Berichterstattung wird durch ARD-Auslandsstudios und ZDF-Formate mit internationaler Lizenz erweitert.

  • Sprachlich und kulturell diversifizierte Angebote für Auslandsdeutsche und internationale Zielgruppen verbleiben innerhalb der ÖRMD und werden digital distribuiert.


3. Digitale Souveränität und Plattformfreiheit

a) Abschaffung presseähnlicher Beschränkungen und des Drei-Stufen-Tests

  • Der Begriff der „Presseähnlichkeit“ entfällt. Die Abgrenzung zwischen Presse, Rundfunk und Telemedien wird medienkonvergent aufgehoben.

  • Die öffentlich-rechtlichen Anbieter genießen vollständige Programmhoheit im digitalen Raum.

  • Der Drei-Stufen-Test wird ersatzlos gestrichen. Die Regulierung erfolgt ausschließlich im Rahmen interner Qualitätssicherung und unabhängiger öffentlicher Kontrolle.

b) Keine Plattformdiskriminierung

  • Öffentlich-rechtliche Inhalte dürfen auf jeder digitalen Plattform frei verfügbar und vollwertig präsent sein – inklusive KI-basierter Dienste, Voice-Assistants, Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und offenen Protokollen.


4. Governance: Unabhängigkeit ohne Staatsferne als bloßes Dogma

  • Die Gremienstrukturen werden neu gestaltet:

    • Die Programmaufsicht erfolgt durch eine plural besetzte Medienkammer mit Mitgliedern aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Kultur, Bildung und technischer Expertise – keine Vertreter von Parteien, Regierungen oder Lobbyorganisationen.

    • Das Kuratorium ist unabhängig, wird durch ein gestuftes Losverfahren aus einem qualifizierten Bewerberpool bestimmt und regelmäßig evaluiert.

    • Verwaltungsräte werden nach Qualifikation besetzt, keine ehemaligen Politiker.

5. Finanzierung und Transparenz

  • Der ÖRR wird weiterhin beitragsfinanziert.

  • Finanzierungsberichte und Programmbilanzen werden offen gelegt, mit jährlicher öffentlicher Medienbilanz und Wirkungsanalyse nach demokratischen Kriterien (Informationswert, Vielfalt, Partizipation).


6. Gemeinwohlorientierte Infrastrukturpolitik

  • Aufbau eines Digital Public Sphere Hub (DPSH) als offener Interaktionsraum für Journalismus, Diskurs und kulturellen Austausch – föderiert, interoperabel, gemeinwohlorientiert.

  • Entwicklung eigener öffentlich-rechtlicher Netzwerkprotokolle mit Privacy-by-Design, algorithmischer Transparenz und Commons-orientierter Lizenzpolitik.


Konvergenztauglich, demokratiefest, zukunftsoffen

Dieses Modell reagiert auf die tiefgreifenden Herausforderungen der Plattformökonomie, der Fragmentierung der Öffentlichkeit und der algorithmischen Diskurslenkung – und beantwortet sie mit einem verfassungsrechtlich fundierten, technologisch souveränen und institutionell entpolitisierten System des ÖRR. Es bewahrt regionale Vielfalt und föderale Struktur, stärkt nationale Orientierung, sichert digitale Gleichberechtigung – und schützt das Kommunikationsfundament der Demokratie.


In der Vergangenheit hat die Politik notwendige Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) in Deutschland teilweise verhindert oder verzögert. Zudem wurden über den Medienstaatsvertrag Eingriffe in die Programmhoheit vorgenommen.

Verhinderte Reformen durch die Politik

  1. Strukturreformen und Zentralisierung: Vorschläge zur Zentralisierung der ARD-Strukturen, wie die Schaffung einer zentralen ARD-Organisation, fanden in der Rundfunkkommission der Länder keine Mehrheit. Dies zeigt die Schwierigkeit, föderale Strukturen zu reformieren, selbst wenn Expertenräte entsprechende Empfehlungen aussprechen.

  2. Finanzierungsfragen: Die Politik hat sich wiederholt nicht auf eine einheitliche Regelung zur Höhe des Rundfunkbeitrags einigen können. Dies führte zu Unsicherheiten und Verzögerungen bei der Finanzierung des ÖRR.

Eingriffe in die Programmhoheit über den Medienstaatsvertrag

  1. Beschränkungen im Internet: Der Medienstaatsvertrag enthält Regelungen, die die Online-Aktivitäten des ÖRR einschränken. So dürfen öffentlich-rechtliche Sender keine presseähnlichen Angebote im Internet bereitstellen, was ihre digitale Präsenz und Innovationsfähigkeit begrenzt.

  2. Drei-Stufen-Test: Für neue digitale Angebote müssen öffentlich-rechtliche Sender einen Drei-Stufen-Test durchlaufen, der ihre Angebote auf Beitrag zur Meinungsvielfalt, publizistische Relevanz und wirtschaftliche Auswirkungen prüft. Dies stellt eine zusätzliche Hürde dar und kann die Einführung neuer Formate verzögern.

Ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Angebot auf KI-gestützter technischer Grundlage – sei es als Suchmaschine, Recommender-System oder soziales Netzwerk

Der Aufbau eines eigenständigen, öffentlich-rechtlichen Kommunikations- und Informationssystems im digitalen Raum – als Alternative zu US-amerikanischen Plattformen – ist verfassungsrechtlich legitim, medienethisch notwendig und politisch zukunftsweisend. Es handelt sich nicht um eine Ausweitung des ÖRR, sondern um die notwendige Fortschreibung seines Funktionsauftrags im digitalen Zeitalter.

Verfassungsrechtlicher Hintergrund

Die Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 GG garantiert nicht nur die Bestands- und Entwicklungsgarantie des ÖRR, sondern auch seine Unabhängigkeit gegenüber kommerziellen, politischen und internationalen Einflüssen. In Zeiten algorithmisch geprägter Meinungsvermittlung, insbesondere durch US-basierte Plattformen (Meta, Google, OpenAI u.a.), wird diese Unabhängigkeit potenziell gefährdet.

Demokratische Relevanz

  • Plattformabhängigkeit: Die Informationsverbreitung ist heute maßgeblich von intransparenten, profitorientierten Mechanismen internationaler Konzerne abhängig. Der Common Ground für öffentliche Debatte wird dadurch destabilisiert.

  • Filterblasen und Desinformation: KI-basierte Systeme fördern teilweise Polarisierung, Sensationalismus und ideologische Fragmentierung – diametral zum Integrationsauftrag des ÖRR.

Notwendigkeit eines eigenen Angebots

Ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Angebot auf KI-gestützter technischer Grundlage – sei es als Suchmaschine, Recommender-System oder soziales Netzwerk – kann:

  • Meinungsbildungsprozesse transparent gestalten,

  • gemeinwohlorientierte Informationslogiken implementieren (z. B. via offene Algorithmen),

  • datensouverän und nicht-kommerziell funktionieren,

  • öffentliche Rechenschaftslegung ermöglichen.

Ein solches System würde nicht nur technologische Souveränität fördern, sondern auch demokratische Resilienz gegenüber manipulativen, externen Einflussnahmen stärken.

Bedingungen für Legitimität und Akzeptanz

  • Rechtliche Verankerung im Medienstaatsvertrag oder in einer neuen medienverfassungsrechtlichen Ordnung.

  • Staatsferne Governance-Strukturen und unabhängige Aufsichtsgremien.

  • Offene Schnittstellen und Interoperabilität zur Einbindung zivilgesellschaftlicher und journalistischer Akteure.

  • Verzicht auf kommerzielle Werbe- oder Nutzerdatenmodelle.


 

 

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