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Eingefrorenes russisches Vermögen in Europa

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Eingefrorenes russisches Vermögen in Europa

europa

Stand: 14. Dezember 2025

Umfang und Verteilung der eingefrorenen Vermögenswerte

und

wirtschaftliche Interessen der USA und Rußland an der Ukraine

Als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wurden ab Februar 2022 umfangreiche russische Vermögenswerte in Europa eingefroren. Insgesamt sind derzeit rund €210 Milliarden an russischen Staatsreserven in der EU blockiert, was etwa 70 % der weltweit eingefrorenen russischen Zentralbankreserven entspricht. Dieser Betrag umfasst auch Gelder des russischen Nationalen Wohlstandsfonds (Staatsfonds), die in der EU gehalten wurden. Außerhalb der EU haben auch Großbritannien (ca. €26 Mrd.) und die Schweiz (ca. CHF 7,4 Mrd., ~€7 Mrd.) russische Zentralbankreserven eingefroren. Damit entfallen auf europäische Staaten insgesamt deutlich über €240 Mrd. an russischen Staatsvermögen.

Geografisch konzentrieren sich diese eingefrorenen Mittel in wenigen Ländern: Der weitaus größte Anteil liegt in Belgien – etwa €180 Mrd. –, da beim belgischen Wertpapierverwahrer Euroclear ein Großteil der russischen Reserveanlagen lag. Weitere bedeutende Volumina befinden sich in Frankreich (geschätzt rund €19 Mrd.) und in Luxemburg (ca. €10 Mrd. über Clearstream). In Deutschland und anderen EU-Staaten sind dagegen nur marginale Beträge an russischen Staatsreserven direkt hinterlegt. Die bei Euroclear gehaltenen Reserven bestanden ursprünglich großteils aus russischen Staatsanleihen, sind aber inzwischen zu etwa 90 % in Bargeld umgewandelt und werden auf risikoarmen Konten (etwa bei der belgischen Zentralbank) verwahrt.

Zur Einordnung: Neben diesen staatlichen Vermögen wurden auch Vermögenswerte russischer Privatpersonen und Oligarchen im Zuge der Sanktionen eingefroren – in der EU etwa €20–25 Mrd. und in der Schweiz rund CHF 5,8 Mrd. Diese privaten Gelder unterliegen jedoch anderen Rechtsgrundlagen und sind von der hier behandelten Nutzung staatlicher Gelder für die Ukraine grundsätzlich zu unterscheiden.

Gründe für das Einfrieren russischer Vermögenswerte

Politischer Hintergrund: Die eingefrorenen russischen Vermögenswerte sind eine direkte Reaktion auf die völkerrechtswidrige Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022. Westliche Staaten wollten damit Russland für die Aggression bestrafen und finanziell unter Druck setzen, um seine Kriegsfähigkeit zu schwächen, sowie ein Zeichen der Unterstützung für die Ukraine setzen. Die EU betrachtet Russlands Angriff als Bedrohung der europäischen Sicherheit und friert russisches Staatskapital ein, um die Ukraine finanziell zu stärken und Russlands Finanzierungsmöglichkeiten einzuschränken. Politisch besteht zudem die Absicht, diese Gelder als Hebel für künftige Reparationen und den Wiederaufbau der Ukraine vorzuhalten. EU-Ratspräsident António Costa betonte etwa, man werde russische Vermögen so lange eingefroren lassen, bis Russland den Krieg beendet und für die angerichteten Schäden aufkommt. Ähnlich haben die EU-Staats- und Regierungschefs in mehreren Gipfelbeschlüssen 2024/25 bekräftigt, dass Russlands Vermögenswerte “bis zum Ende der Aggression und einer Entschädigung für die Schäden” blockiert bleiben sollen. Kurz gesagt: Das Einfrieren dient als politisches Druckmittel und soll die finanzielle Verantwortung für den Krieg bei Russland verorten.

Rechtliche Begründung: Offiziell erfolgte das Einfrieren als Sanktionsmaßnahme auf Grundlage der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Bereits am 28. Februar 2022 erließ die EU einen Ratsbeschluss, der alle Transaktionen mit der Russischen Zentralbank untersagte. Wenige Tage später wurde das Verbot auf den russischen Staatsfonds (National Wealth Fund) ausgeweitet. Diese Beschlüsse, umgesetzt durch EU-Verordnungen, bilden die rechtliche Grundlage dafür, dass russische Staatsguthaben bei europäischen Banken und Verwahrstellen seither „eingefroren“ sind – d.h. zwar weiterhin Russland gehören, aber nicht mehr bewegt oder ausgezahlt werden dürfen. Auch Großbritannien (nach Brexit eigenständig) und weitere europäische Länder wie die Schweiz haben zeitgleich vergleichbare Sanktionen erlassen, meist in enger Abstimmung mit der G7. Politisch wird das Einfrieren damit gerechtfertigt, dass Russland durch seinen Bruch fundamentaler internationaler Normen (Gewaltverbot der UN-Charta) diese außergewöhnliche Reaktion provoziert hat. Westliche Staaten berufen sich implizit auf das völkerrechtliche Institut von Gegenmaßnahmen: Bei schweren Völkerrechtsverletzungen dürfen Staaten zeitweilig ansonsten rechtswidrige Schritte setzen, um den Aggressor zur Verhaltensänderung zu bewegen. Das Einfrieren russischer Gelder – als temporäre Maßnahme – wird von den Sanktionstaaten als solch eine erlaubte Gegenmaßnahme gesehen, vergleichbar mit Wirtschaftssanktionen, da der UN-Sicherheitsrat wegen des russischen Vetos nicht handeln konnte.

Rechtsgrundlagen der Vermögensblockaden in Europa

Die konkrete rechtsdogmatische Grundlage für das Einfrieren russischer Vermögenswerte ist je nach Jurisdiktion unterschiedlich, bewegt sich aber immer im Rahmen des Sanktionenrechts:

  • Europäische Union: Wie oben erwähnt, basieren die Maßnahmen auf Beschlüssen des Rates im Rahmen der EU-Sanktionsregime. Rechtsgrundlage in den EU-Verträgen ist insbesondere Art. 29 EUV (Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik) i.V.m. Art. 215 AEUV, der der EU den Erlass von Wirtschaftssanktionen ermöglicht. Die Transaktionsverbote gegenüber der russischen Zentralbank und dem Staatsfonds wurden 2022 als Änderungsbeschlüsse zu bestehenden Russland-Sanktionen veröffentlicht (Amendments zu Beschluss 2014/512/CFSP). Zusätzlich hat die EU im Dezember 2025 erstmals Art. 122 AEUV genutzt, um die Fortdauer der Freeze-Maßnahmen per qualifizierter Mehrheit sicherzustellen. Art. 122 erlaubt in Krisensituationen Maßnahmen zur Versorgungssicherheit ohne Einstimmigkeit. Hierdurch umging die EU ein Veto einzelner Mitglieder (Ungarn, Slowakei) und erklärte das Einfrieren der ~€210 Mrd. russischen Gelder auf unbestimmte Zeit für verlängert. Die EU-Kommission stützte sich zudem auf sekundärrechtliche Änderungen, etwa die Ausweitung von Straftatbeständen (Sanktionsverstöße) und Überlegungen zu einer gemeinsamen Verwaltung der eingefrorenen Gelder unter EU-Aufsicht.
  • Nationale Rechtsordnungen: In den EU-Mitgliedstaaten gelten die EU-Verordnungen unmittelbar. Länder außerhalb der EU haben eigene Sanktionsgesetze angewandt. Großbritannien beispielsweise verhängte nach dem Austritt Sanktionen nach dem Sanctions and Anti-Money Laundering Act 2018 und entsprechenden Russland-Verordnungen, die ebenfalls die Zentralbankguthaben erfassten. Schweiz orientierte sich als neutrales Land ungewöhnlicherweise an den EU-Sanktionen: Auf Basis des Embargogesetzes und per Bundesratsbeschluss vom 28. Feb. 2022 wurden russische Zentralbank-Reserven eingefroren. Ähnliches gilt für Norwegen und andere EFTA-Staaten, die sich den EU-Maßnahmen anschlossen. In all diesen Fällen bewegen sich die Maßnahmen innerhalb des nationalen/eurpäischen Rechts, stehen aber völkerrechtlich in einem Spannungsfeld (siehe unten).
  • Völkerrechtlicher Rahmen: International betrachtet greifen die Maßnahmen in die souveränen Rechte Russlands ein. Zwar hat der UN-Sicherheitsrat keine Sanktionen beschlossen (wegen Russlands Veto), doch stützen sich die westlichen Staaten auf eigenständige Sanktionen als retorsion oder Gegenmaßnahme. Die Gewohnheitsrechtliche Staatenimmunität schützt grundsätzlich staatliche Vermögenswerte vor Zwangsmaßnahmen fremder Staaten. Zentralbankreserven gelten sogar als besonders immunitätsgeschützt. Allerdings betonen westliche Juristen, dass das Interventionsverbot hier zulasten Russlands zurücktrete, weil Russland selbst schweres Unrecht (Aggressionskrieg) begeht. Als zulässige Gegenmaßnahme müsse das Einfrieren reversibel und temporär bleiben – was hier der Fall sei, da die Gelder formal nicht enteignet, sondern nur blockiert sind. Es handelt sich also um kein endgültiges Verfügen, sondern um ein vorläufiges Ruhigstellen, bis Russland seinen völkerrechtlichen Pflichten (Frieden und Reparation) nachkommt. Dieser temporäre Charakter war bislang wichtig, um nicht offen mit dem Staatenimmunitätsrecht zu brechen. Insgesamt bewegen sich die Sanktionierer in juristischem Neuland, da ein so großer Betrag eines G20-Staates noch nie auf diese Weise eingefroren wurde. Mangels klarer Präzedenzfälle stützen sich die Rechtfertigungen vor allem auf eine Kombination aus EU-Recht/Sanktionen und dem Argument außergewöhnlicher völkerrechtlicher Notwehr bzw. Selbsthilfe angesichts des Aggressionsakts.

Möglichkeiten einer Verwendung zugunsten der Ukraine

Angesichts des immensen Finanzbedarfs der Ukraine (der Wiederaufbau wird auf Hunderte Milliarden Dollar geschätzt) wird intensiv diskutiert, ob und wie die eingefrorenen russischen Gelder für die Ukraine genutzt werden könnten. Dabei stellen sich heikle juristische Fragen, da eine Weiterleitung der Gelder faktisch einer Konfiskation gleichkäme, die rechtlich weit über ein bloßes Einfrieren hinausgeht. Folgende Ansätze und Argumente werden für eine zulässige Nutzung zugunsten der Ukraine angeführt:

  • Reparation für völkerrechtswidrigen Angriff: Befürworter verweisen darauf, dass Russland völkerrechtlich zum Ersatz aller Kriegsschäden verpflichtet ist. Die UN-Generalversammlung hat am 14. November 2022 ausdrücklich “die Notwendigkeit der Schaffung eines internationalen Mechanismus für Reparationen” anerkannt. In derselben Resolution forderte sie die Einrichtung eines Registers der Kriegsschäden als Grundlage künftiger Entschädigungsforderungen. Dieser internationale Konsens gibt politischen Rückhalt: Wenn Russland zahlen muss, ist es sachgerecht, dessen ausländische Vermögenswerte zur Begleichung heranzuziehen, zumal Russland freiwillig keine Entschädigung leistet. Einige Völkerrechtler interpretieren dies als legitimierende Wirkung der UN-Resolution – auch wenn sie kein formelles Enteignungsrecht schafft. Politisch argumentieren G7-Staaten ähnlich: “Es sollen russische (nicht westliche) Steuerzahler für den Wiederaufbau zahlen”. In diesem Sinne haben hochrangige Juristen und Politiker – etwa in osteuropäischen Staaten, aber auch eine wachsende Zahl internationaler Rechtsexperten – die Rechtmäßigkeit einer Konfiskation verteidigt. Sie sehen die beispiellose Aggression als Sonderfall, der Ausnahmen vom Immunitätsschutz erlaubt, um Gerechtigkeit für die Ukraine zu erreichen.
  • Gegenmaßnahme und Staatshaftung: Ein völkerrechtliches Argument lautet, die dauerhafte Einziehung der Gelder könne als durchgesetzte Haftung Russlands für das Delikt der Aggression angesehen werden. Nach den Artikeln über die Staatenverantwortlichkeit (ARSIWA) muss ein rechtsverletzender Staat vollständig Wiedergutmachung leisten. Leistet Russland das nicht, könnten betroffene Staaten (hier: Ukraine und ihre Unterstützer) als collective countermeasure diese Mittel umleiten. Diese kollektive Gegenmaßnahme ist zwar neuartig (da normalerweise nur direkt verletzte Staaten Gegenmaßnahmen ergreifen dürfen), doch angesichts eines ius cogens-Verstoßes (Gewaltverbot) und im Rahmen kollektiver Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta halten einige Juristen sie für vertretbar. Wichtig sei, dass die Maßnahme rücknehmbar bleibt, sollte Russland doch kooperieren – z.B. indem man formal einen Treuhandfond einrichtet, der die Gelder verwaltet, bis ein international anerkanntes Reparationsurteil gefällt ist. Eine Übertragung der Gelder an einen Treuhänder (etwa die Weltbank oder EU-Kommission) ohne endgültige Eigentumsentziehung wird als möglicher legaler Zwischenschritt diskutiert. Die EU-Kommission und Deutschland argumentieren derzeit, dass keine Konfiskation im engen Sinn stattfinden solle, sondern eine “Verlagerung” der Guthaben von Euroclear zur EU – rechtlich bliebe Russland Eigentümer, aber die Mittel würden schon jetzt für die Ukraine nutzbar gemacht. Dieses Modell – quasi Verwahrung mit Zweckbindung – soll die völkerrechtlichen Hürden umgehen.
  • EU-/Sanktionsrechtliche Lösungen: Innerhalb des europäischen Rechtsrahmens werden kreative Lösungen gesucht, um zumindest Teilerträge der eingefrorenen Gelder legal zu verwenden. Ein Ansatz ist, die Zinserträge oder “Zufallsgewinne” aus den blockierten Geldern abzuschöpfen. Da die ~€210 Mrd. seit 2022 auf Konten liegen, haben sie erhebliche Habenzinsen generiert (durch Anlage in sichere europäische Wertpapiere). Diese Erträge wachsen weiter, gehören aber technisch zunächst nicht Russland, solange sie nicht überwiesen werden dürfen. Die G7-Finanzminister haben im Oktober 2024 beschlossen, “außerordentliche Einnahmen” aus diesen Geldern zu nutzen, um Zins und Tilgung eines $50 Mrd.-Kredits für die Ukraine zu finanzieren. Rechtsauffassung: Die Zinsen entstehen dank der Sanktionen und könnten als “zusätzliche” Mittel betrachtet werden, die nicht vom Immunitätsschutz erfasst sind. So hat Belgien 2023 eine Sondersteuer auf die durch Euroclear erwirtschafteten Zinsgewinne erhoben und diese Gelder (über €2 Mrd.) bereits der Ukraine-Hilfe zugeführt. Die EU erwägt nun, dieses Prinzip auf alle Mitgliedstaaten auszuweiten. Tatsächlich haben die EU-Staaten im Dezember 2025 vereinbart, einen Ukraine-Kredit von bis zu €165 Mrd. zu ermöglichen, besichert durch die eingefrorenen russischen Zentralbankguthaben. Die Ukraine müsste diesen Kredit erst zurückzahlen, wenn Russland später Kriegsentschädigungen leistet – wirtschaftlich wird er also zu einem vorgezogenen “Reparationsvorschuss”, der letztlich durch die konfiszierten Gelder gedeckt wäre. Diese Konstruktion soll innerhalb des EU-Rechts und der bestehenden Sanktionen zulässig sein, da formal weiterhin keine endgültige Eigentumsübertragung erfolgt, sondern die Guthaben als Garantie hinterlegt werden. Befürworter betonen, dies sei europarechtlich machbar und politisch notwendig, da die Ukraine akute Finanzhilfe braucht.

Zusammengefasst stützen sich die Argumente für eine Zulässigkeit der Mittelverwendung darauf, dass Russland durch sein Verhalten jeden Schutz verloren habe und die Rechtsordnung flexibel genug sei, um außergewöhnliche Antworten auf außergewöhnliches Unrecht zu erlauben. Dabei suchen EU und G7 nach Wegen, ohne direkten Bruch des internationalen Rechts die Gelder zumindest zur Ukraine fließen zu lassen – sei es als Zinsertrag, als besicherter Kredit oder über einen Treuhandfonds. Dies alles steht unter dem Vorzeichen, dass man Russland am Ende für die Schäden zahlen lassen will und daher jetzt schon dessen blockiertes Vermögen dafür einsetzt.

Gegenargumente gegen eine solche Verwendung

Trotz der genannten Überlegungen gibt es erhebliche rechtliche und praktische Einwände gegen die Übertragung eingefrorener russischer Gelder an die Ukraine. Zu den wichtigsten Gegenargumenten zählen:

  • Verstoß gegen internationales Recht (Staatenimmunität): Kritiker weisen darauf hin, dass eine endgültige Konfiskation russischer Staatsgelder einen Bruch des Völkerrechts darstellen würde. Die Immunität ausländischer Staatsvermögen vor Zwangsvollstreckung ist ein fundamentaler Grundsatz des internationalen Rechts (festgehalten etwa in der UN-Konvention von 2004). Einseitig russisches Eigentum einzuziehen käme einer Enteignung gleich und würde von Russland und anderen Staaten als illegaler Akt gebrandmarkt. Selbst westliche Experten räumen ein, dass das Liquidieren der Reserven “gegen die Immunität verstößt” und daher derzeit keine unangefochtene Rechtsgrundlage dafür existiert. In Brüssel und Berlin galt bis vor Kurzem jeglicher Zugriff als tabu, weil man sich der heiklen Rechtsfrage bewusst war. Fazit dieses Arguments: Eine Auskehr der Gelder an die Ukraine wäre de jure Diebstahl staatlichen Eigentums und unterminiert die internationale Rechtsordnung, die Eigentumsrechte von Staaten respektiert – auch wenn diese Staaten selbst Rechtsbrecher sind.
  • Gefährlicher Präzedenzfall & Vertrauensverlust: Zahlreiche Fachleute – darunter die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) – warnen, dass eine Konfiskation schwerwiegende finanzielle und geopolitische Folgen hätte. Andere Staaten beobachten genau, wie sicher ihre eigenen Auslandsreserven in Dollar oder Euro sind. Würde der Westen nun russische Zentralbankguthaben umwidmen, könnte dies das Vertrauen in westliche Währungen und Finanzzentren erschüttern. Die EZB fürchtet, dass ein Bruch des bislang verlässlichen Vermögensschutzes im Euroraum Anleger aus dem Euro treiben und die Rolle des Euro im internationalen System schwächen könnte. Auch für den Dollar und andere Reservewährungen bestünde ein Risiko, dass z.B. China oder Golfstaaten ihre Reserven diversifizieren, wenn politische Beschlagnahmen drohen. Kurz: Der Westen würde einen Präzedenzfall schaffen, der langfristig als Bumerang wirken könnte. Gegner einer Konfiskation sprechen von einer “Büchse der Pandora”, da künftig auch andere Konflikte zum Vorwand genommen werden könnten, fremde Staatsgelder einzuziehen – was die Stabilität des globalen Finanzsystems gefährdet.
  • Unsicherheit und Uneinigkeit in der EU: Innerhalb Europas gibt es politischen Widerstand gegen eine weitergehende Nutzung der russischen Gelder. Mehrere EU-Staaten – etwa Belgien, Italien, Bulgarien, Malta – haben Bedenken angemeldet und fordern „alternative Optionen“ zur Unterstützung der Ukraine. Belgien, auf dessen Hoheitsgebiet der Großteil der Gelder lagert, fürchtet eine Klagewelle und russische Vergeltung. Die belgische Regierung verweigerte zunächst ihre Zustimmung zu EU-Plänen, solange nicht sämtliche Partner garantieren, im Falle von Schadenersatzklagen mitzuzahlen. Diese Sorge ist nicht unbegründet: Würde z.B. ein internationales Schiedsgericht Belgien zur Entschädigung Russlands verurteilen, dürften die anderen EU-Staaten Belgien nicht allein “auf dem Schaden sitzen lassen”. Auch Ungarn und die Slowakei lehnen die Indefinit-Verlängerung der Einfrierung ab und sehen darin einen gefährlichen Schritt. Ungarns Premier Viktor Orbán warnte vor “irreparablen Schäden” für die EU und kündigte an, alles zur Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands zu tun. Diese interne Uneinigkeit schwächt die Rechtsposition der EU – sie zeigt, dass selbst Verbündete Zweifel an der Legalität und Klugheit des Vorgehens haben.
  • Gegenmaßnahmen und Eskalationsgefahr: Russland hat unmissverständlich klargemacht, dass es eine Verwendung seiner eingefrorenen Gelder als feindlichen Akt betrachten würde. Die russische Zentralbank bezeichnete die EU-Pläne als “illegal” und kündigte an, alle zur Verfügung stehenden Mittel zum Schutz ihrer Rechte einzusetzen. Dazu gehören juristische Schritte (Klagen in verschiedenen Foren), aber auch Vergeltungsmaßnahmen innerhalb Russlands. Bereits 2023 hat Moskau damit begonnen, westliche Unternehmensbeteiligungen in Russland zu verstaatlichen bzw. unter Zwangsverwaltung zu stellen, um Druck auf europäische Interessen auszuüben. Noch drastischer drohte Ex-Präsident Dmitri Medwedew: Sollte die EU die russischen Vermögen „stehlen“ und für die Ukraine einsetzen, wäre dies aus Sicht Russlands ein “besonderer Casus Belli” – also ein Kriegsgrund. Er stellte in Aussicht, man werde dann notfalls mit “realen Reparationen in Form von Sachleistungen” antworten – eine unverhohlene Drohung militärischer Gewalt. Zwar ist diese Rhetorik auch als Propaganda zu werten, doch sie unterstreicht: Eine Konfiskation könnte die Konfrontation mit Russland weiter verschärfen. Viele Beobachter halten es daher für strategisch klüger, die eingefrorenen Gelder als Verhandlungsmasse zu behalten, statt sie jetzt schon zu verausgaben. Sie könnten in einem zukünftigen Friedensabkommen als Druckmittel dienen, damit Moskau einem Ausgleich und echten Reparationszahlungen zustimmt.

Zusammengefasst lauten die Gegenargumente: Eine voreilige oder einseitige Verwendung der russischen Gelder verletzt geltendes Recht, poduziert enorme Risiken für das Finanzsystem und die politische Stabilität und könnte am Ende mehr Schaden als Nutzen stiften. Selbst wenn das moralische Anliegen – Russland für den Wiederaufbau zahlen zu lassen – berechtigt ist, warnen Kritiker davor, dafür grundlegende Prinzipien (Rechtssicherheit, Eigentumsgarantie) aufs Spiel zu setzen.

Hat Russland einen Rückzahlungsanspruch – und wie realistisch ist er?

Aus russischer Sicht bleiben die eingefrorenen Guthaben Eigentum Russlands. Formal ist das korrekt: Ein Einfrieren entzieht nicht das Eigentum, sondern suspendiert lediglich die Verfügungsgewalt. Rein rechtlich hätte Russland daher einen Anspruch, diese Vermögenswerte nach Aufhebung der Sanktionen zurückzubekommen. Die EU und G7 haben ihre Maßnahmen bislang stets so formuliert, dass die Gelder “so lange immobilisiert werden, bis Russland den Krieg beendet und die Schäden ersetzt”. Sollte Russland also – hypothetisch – seinen völkerrechtlichen Pflichten nachkommen (Abzug der Truppen, Friedensschluss und Leistung von Reparationszahlungen), würde die Grundlage für die Sanktionen entfallen. In diesem Fall müsste die Blockade aufgehoben und das Restvermögen an Russland rückübertragen werden. Dieser Bedingungscharakter der Sanktionen bedeutet faktisch: Russland hat einen Rückzahlungsanspruch unter Vorbehalt – nämlich nur, wenn es die Bedingungen erfüllt, die die internationale Gemeinschaft aufgestellt hat.

In der aktuellen Realität allerdings erscheint ein freiwilliges Entgegenkommen Russlands unwahrscheinlich. Präsident Putin hat wiederholt klargestellt, dass er die westlichen Sanktionen als illegal ansieht und keine Reparationspflicht anerkennt. Russland wird die Freigabe seiner Gelder fordern, ohne Vorbedingungen erfüllen zu wollen. Mögliche Rechtswege: Russland könnte versuchen, seinen Anspruch gerichtlich durchzusetzen – z.B. vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) oder in nationalen Gerichten der Staaten, in denen die Gelder liegen. Die Hürden dafür sind jedoch hoch. Vor dem IGH bräuchte Russland eine Zustimmungsgrundlage der beklagten Staaten (die meist nicht gegeben ist). In EU-Staaten wiederum sind Gerichte an EU-Sanktionsrecht gebunden, solange dieses gilt, und würden Klagen der russischen Zentralbank wohl abweisen. Russland hat bereits Klage gegen Euroclear vor einem Moskauer Gericht eingereicht[6], doch ein russisches Urteil entfaltet in Brüssel keine Wirkung. Realistisch gesehen bleibt Russland also de facto kaum etwas anderes, als den politischen Weg zu gehen – etwa in künftigen Verhandlungen oder durch Druckmittel. Ein solches Druckmittel hat Moskau mit der Beschlagnahme westlicher Vermögenswerte in Russland teilweise bereits eingesetzt (z.B. wurden Vermögen westlicher Konzerne wie Fortum oder Danone unter staatliche Verwaltung gestellt).

Die Frage der Realisierbarkeit: Selbst wenn Russland einen rechtlichen Anspruch reklamiert, ist dessen Durchsetzung zweifelhaft, solange die geopolitischen Fronten verhärtet bleiben. Sollte der Krieg andauern oder ohne klaren Friedensvertrag einfrieren, werden die westlichen Staaten die Gelder voraussichtlich auf unbestimmte Zeit eingefroren halten – Russland käme nicht heran. Entscheidet sich die EU tatsächlich, die Mittel zugunsten der Ukraine einzusetzen (sei es durch Verpfändung für Kredite oder gar direkte Transferierung), würde dies Russlands Chancen auf Rückerhalt praktisch auf Null reduzieren. Russland stünde dann vor der Wahl, den Verlust zu akzeptieren oder auf Gegenmaßnahmen zu setzen (was wiederum eigene Nachteile bringt). Die aktuelle EU-Entscheidung, die Vermögenswerte unbefristet eingefroren zu lassen, signalisiert bereits, dass Europa nicht beabsichtigt, sie ohne Weiteres zurückzugeben. Russland kann dies nur ändern, wenn es zu einer politischen Einigung käme – etwa in Form eines umfassenden Friedensabkommens, in dem die Verteilung der Kosten geregelt wird.

Fazit: De jure besitzt Russland einen Anspruch auf sein eingefrorenes Vermögen, da Eigentumsrechte fortbestehen. Doch de facto hängt die Einlösbarkeit dieses Anspruchs vom künftigen Verlauf des Konflikts und politischen Vereinbarungen ab. In einem Szenario, in dem die internationale Gemeinschaft entschieden bleibt und Russland keine Konzessionen macht, ist eine Rückzahlung an Russland höchst unwahrscheinlich. Vielmehr würden die Gelder entweder als Druckmittel behalten oder – sollte sich die Rechtsauffassung in der EU durchsetzen – schrittweise für die Ukraine genutzt werden. Aus Moskauer Sicht ist dies natürlich “Raub”; aus westlicher Sicht ist es die konsequente Anwendung des Verursacherprinzips. Wie realistisch eine tatsächliche Rückführung der Gelder an Russland ist, lässt sich daher so zusammenfassen: Nur im Falle einer grundlegenden politischen Annäherung oder eines Regimewechsels in Moskau wäre denkbar, dass Russland sein Geld (ganz oder teilweise) zurückerhält. Andernfalls bleiben die eingefrorenen Milliarden ein geopolitischer Pfand, dessen endgültiges Schicksal – ob als Wiederaufbauhilfe für die Ukraine oder Verhandlungsmasse – die weitere Geschichte dieses Konflikts entscheiden wird.

Quellen: Offizielle Verlautbarungen der EU und G7 (EU-Ratsbeschlüsse, G7-Finanzministererklärungen), Berichte internationaler Organisationen (UN-Resolution ES‑11/5 der Generalversammlung) sowie aktuelle Medien- und Analysedienste wurden herangezogen, um den neuesten Stand und die juristische Einschätzung darzustellen. Die dargestellten Beträge und Positionen spiegeln den Kenntnisstand vom 14. Dezember 2025 wider.


Nachfolgend eine wirtschaftlich-strategische Einordnung der Interessen der USA und Russlands an der Ukraine, Stand Ende 2025, unter Einbeziehung der ukrainischen Verteidigungswirtschaft. 


Wirtschaftliche Interessen Russlands an der Ukraine

Russlands Interessen sind primär strukturell-ökonomisch und industriepolitisch, sekundär fiskalisch.

1. Geostrategische Wirtschaftsinteressen (Raum- und Infrastrukturökonomie)

Russland betrachtet die Ukraine traditionell als:

  • Transit- und Pufferraum

  • Industrie- und Rohstoffergänzungsgebiet

  • Teil der eigenen sicherheitsökonomischen Tiefe

Konkret betroffen:

  • Schwarzmeerzugang (Häfen, Logistik, Exportkorridore)

  • Energieinfrastruktur (Gasleitungen, Speicher, Stromnetze)

  • Verkehrsachsen zwischen Russland, Balkan, Türkei und EU

Ein EU- und NATO-integrierter ukrainischer Wirtschaftsraum würde:

  • russische Energie- und Transitmacht schwächen

  • russische Preis- und Abhängigkeitspolitik gegenüber Europa unterminieren

  • russische Investitions- und Absatzräume dauerhaft verkleinern


2. Rohstoff- und Industrieinteressen

Die Ukraine verfügt über erhebliche strategische Ressourcen:

  • Eisenerz, Titan, Mangan

  • Lithium, Seltene Erden (noch kaum erschlossen)

  • landwirtschaftliche Hochleistungsflächen

  • Schiffbau-, Stahl- und Maschinenbaukapazitäten

Russlands Interesse ist nicht primär Export, sondern:

  • Integration in eigene Wertschöpfungsketten

  • Verhinderung westlicher Kontrolle über strategische Rohstoffe

  • Absicherung eigener Rüstungs- und Hochtechnologieproduktion

Ein westlich kontrollierter ukrainischer Rohstoffsektor würde:

  • russische Substitutionsstrategien schwächen

  • Abhängigkeiten Russlands von China weiter erhöhen

  • russische Autarkiebestrebungen konterkarieren


3. Ukrainische Verteidigungswirtschaft aus russischer Sicht

Historisch war die Ukraine integraler Bestandteil der sowjetischen Rüstungsindustrie:

  • Triebwerke (Motor Sitsch)

  • Raketen- und Flugzeugbau

  • Panzer- und Artillerieproduktion

  • Elektronik- und Optikfertigung

Russlands Kerninteressen:

  • Verhinderung einer NATO-integrierten ukrainischen Rüstungsbasis

  • Vermeidung eines unmittelbaren militärisch-industriellen Gegenspielers

  • Sicherung eigenen Know-hows und Lieferketten

Eine leistungsfähige ukrainische Verteidigungsindustrie:

  • erhöht langfristig die Kosten russischer Militärmacht

  • macht die Ukraine strategisch dauerhaft widerstandsfähig

  • entzieht Russland historische industriepolitische Abhängigkeiten


4. Fiskalisch-ökonomische Bilanz

Russland verfolgt kein kurzfristiges Profitmodell in der Ukraine.

Die wirtschaftlichen Motive sind:

  • negativ-strategisch (Verhinderung westlicher Kontrolle)

  • industriepolitisch defensiv

  • machtökonomisch langfristig

Die Kosten des Krieges übersteigen den unmittelbaren ökonomischen Nutzen erheblich, werden aber als Systemerhaltungsaufwand interpretiert.


Wirtschaftliche Interessen der USA an der Ukraine

Die Interessen der USA sind strukturell-systemisch, industriepolitisch und finanzmarktbezogen, nicht territorial.


1. Systemökonomisches Interesse: Sicherung der westlichen Ordnung

Die Ukraine ist aus US-Sicht:

  • Testfall der regelbasierten Weltwirtschaft

  • Scharnier zwischen westlichem und autoritärem Wirtschaftsmodell

  • Signalraum für Investitions- und Eigentumssicherheit

Ein erfolgreicher russischer Angriff würde:

  • Investitionsrisiken in Osteuropa erhöhen

  • Schwellenländer zu sicherheitspolitischer Autarkie drängen

  • die Rolle des US-Dollar-Finanzsystems geschwächen

Das US-Interesse ist daher:

Stabilität des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems durch Abschreckung von Grenzrevisionismus


2. Industrie- und Verteidigungsökonomie

Die Ukraine ist für die USA kein klassischer Absatzmarkt, aber ein zentraler Faktor der Verteidigungsindustriepolitik.

a) Direkte Effekte

  • Massive Nachfrage nach US-Rüstungsgütern

  • Auslastung und Skalierung der US-Rüstungsindustrie

  • langfristige Beschaffungsverträge

  • Technologietests unter Realbedingungen

b) Indirekte Effekte

  • Stärkung der US-Industrieführerschaft

  • Standardisierung westlicher Waffensysteme

  • Verdrängung russischer Exportmodelle

  • Bindung europäischer Staaten an US-Lieferketten


3. Ukrainische Verteidigungswirtschaft aus US-Sicht

Die USA verfolgen keine vollständige Eigenständigkeit, sondern eine komplementäre Integration:

Ziele:

  • Aufbau ukrainischer Kapazitäten für Munition, Wartung, Reparatur

  • Co-Produktion ausgewählter Systeme

  • Nutzung ukrainischer Arbeitskräfte und Know-how

  • Verlagerung kostenintensiver Fertigungsstufen

Ökonomische Logik:

  • Kostenreduktion 

  • Skaleneffekte bei Munitionsproduktion

  • Resiliente Lieferketten außerhalb der USA

  • strategische Entlastung eigener Industrien

Die Ukraine wird perspektivisch:

  • Werkbank und Instandhaltungszentrum

  • Testfeld für neue Systeme

  • regionaler Rüstungscluster


4. Rohstoff- und Energieinteressen

Die USA haben kein unmittelbares Rohstoffinteresse im klassischen Sinne.

Relevant sind:

  • Diversifizierung westlicher Lieferketten

  • Reduktion chinesischer und russischer Dominanz

  • strategische Rohstoffe für Batterien, Luftfahrt, Rüstung

Die Ukraine ist hierfür kein kurzfristiger Lieferant, aber ein langfristiger, wirtschaftsstrategischer Schlüsselraum.

Ökonomisch betrachtet ist der Konflikt:

kein Ressourcenkrieg, sondern ein Industrie-, System- und Ordnungswettbewerb, in dem die Ukraine selbst zum wirtschaftlichen Akteur wird.

 

 

 

Eine Antwort

  1. Ulrich Gerner sagt:

    Mich würden die vertraglichen Regelungen zwischen Euroclear und seinem Kunden Russische Zentralbank interessieren. M.E. wird dort erst einmal ausgeschlossen sein, die hinterlegten Gelder zu verwerten. Folglich wäre es denkbar, dass sich Euroclear gegen entsprechende Verfügungen der EU zur Wehr setzen müsste oder könnte. Welches europäische Gericht könnte Euroclear anrufen? M.E. kämen bereits belgische Verwaltungsgerichte in Betracht. Bereits formell hätte ich erhebliche Bedenken gegen entsprechende mit einfacher Mehrheit gefasste Ratsbeschlüsse als Ermächtigungsgrundlage, da der Wortlaut des Art. 122 EAUV einen Mehrheitsbeschluss mit solch fulminanter Tragweite nicht deckt. Die dort genannte Versorgungssicherheit in einem EU-Staat ist offenkundig noch nicht einmal tangiert.

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