Hochschulstärkungsgesetz in Nordrhein-Westfalen (NRW)

Immer mehr Professoren laufen Sturm gegen das neue Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen. Sie fürchten um die Wissenschaftsfreiheit an den Universitäten.
Das Hochschulstärkungsgesetz in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat in der akademischen und politischen Landschaft erhebliche Kritik hervorgerufen. Insbesondere Professoren sehen die Freiheit von Wissenschaft und Forschung durch verschiedene Regelungen und Änderungen im Gesetz als gefährdet.
1. Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit
Die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre ist durch Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt. Kritiker des Hochschulstärkungsgesetzes argumentieren, dass die im Gesetz vorgesehenen Regelungen diese Grundrechte gefährden könnten.
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Erweiterung der staatlichen Kontrolle:
Das Hochschulstärkungsgesetz sieht stärkere Eingriffsrechte des Landes in die Hochschulen vor, insbesondere durch die Einführung neuer Aufsichtsmöglichkeiten und Berichtspflichten. Kritiker befürchten, dass dies zu einer Einschränkung der Autonomie der Hochschulen und damit zu einer indirekten Einflussnahme auf wissenschaftliche Fragestellungen führen könnte. -
Einfluss des Hochschulrats:
Der Hochschulrat, ein Gremium, das teils aus externen Mitgliedern besteht, erhält durch das Gesetz erweiterte Befugnisse. Die Besorgnis besteht, dass externe Interessen – beispielsweise aus Wirtschaft oder Politik – in wissenschaftliche Entscheidungen hineinwirken könnten. Dies wird als Bedrohung der Unabhängigkeit der Hochschulen und der Wissenschaftsfreiheit wahrgenommen.
2. Schwächung der akademischen Selbstverwaltung
Die akademische Selbstverwaltung ist ein zentraler Pfeiler der Hochschulautonomie. Durch das Hochschulstärkungsgesetz werden jedoch Befugnisse innerhalb der Hochschulen neu verteilt, was von vielen Professorinnen und Professoren kritisch gesehen wird.
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Machtverschiebung zu zentralen Gremien:
Die Machtbefugnisse von Rektorat und Hochschulrat werden gestärkt, während der Einfluss der Fakultäten und des Senats – traditionell die zentralen Organe der akademischen Selbstverwaltung – abnimmt. Kritiker argumentieren, dass dies die Mitbestimmung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einschränkt. -
Gefährdung der demokratischen Strukturen:
Die Reduzierung der Mitbestimmungsrechte von Professoren sowie anderer Statusgruppen wird als Schwächung der demokratischen Legitimation innerhalb der Hochschulen angesehen. Es entsteht der Eindruck einer zunehmenden Top-down-Struktur.
3. Bürokratische Belastungen
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Einführung zusätzlicher Berichtspflichten und Verwaltungsauflagen.
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Verwaltungsaufwand:
Durch die neuen Regelungen müssen Hochschulen vermehrt Rechenschaft ablegen und Berichte erstellen, was einen erheblichen Anstieg des bürokratischen Aufwands bedeutet. Dies wird als kontraproduktiv für die wissenschaftliche Arbeit angesehen, da Ressourcen von Forschung und Lehre abgezogen werden. -
Fokus auf Kennzahlen:
Die Einführung neuer Evaluations- und Berichtssysteme wird als eine Fixierung auf messbare Indikatoren kritisiert. Kritiker warnen vor einer „Ökonomisierung“ der Wissenschaft, bei der die Qualität der Forschung durch quantitativ erfassbare Ergebnisse ersetzt wird.
4. Einschränkung individueller Forschungsfreiheit
Professoren sehen auch die individuelle Forschungsfreiheit bedroht, da das Gesetz implizit Anreize setzt, bestimmte Forschungsrichtungen zu bevorzugen.
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Fokus auf Drittmittel:
Die zunehmende Bedeutung von Drittmittelforschung könnte dazu führen, dass Wissenschaftler sich stärker auf „marktgängige“ Forschung konzentrieren müssen. Dies könnte langfristig die Grundlagenforschung benachteiligen, die oft weniger attraktiv für Drittmittelgeber ist. -
Themenvorgaben:
Kritiker befürchten, dass Hochschulen aufgrund der neuen Governance-Strukturen strategische Forschungsfelder vorgeben, wodurch die Freiheit einzelner Wissenschaftler bei der Themenwahl eingeschränkt werden könnte.
5. Konsequenzen für die akademische Kultur
Schließlich wird argumentiert, dass das Hochschulstärkungsgesetz die akademische Kultur nachhaltig verändern könnte.
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Konkurrenzdruck:
Die Reform könnte zu einem stärkeren Wettbewerb zwischen Hochschulen und Wissenschaftlern führen, was die Zusammenarbeit und den freien Austausch von Ideen behindern könnte. -
Gefühl der Entfremdung:
Viele Professoren fühlen sich durch die zunehmende Einflussnahme externer Akteure und die neue Governance-Logik entfremdet. Dies könnte sich negativ auf die Motivation und die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit auswirken.
Insgesamt wird das Hochschulstärkungsgesetz in NRW als ein Eingriff in die traditionsreiche Autonomie der Hochschulen und die verfassungsrechtlich garantierte Wissenschaftsfreiheit kritisiert. Die zentrale Befürchtung ist, dass die Reformen die Hochschulen stärker an ökonomischen und politischen Interessen ausrichten und die intrinsischen Werte von Forschung und Lehre gefährden. Die Professorenschaft fordert daher Nachbesserungen oder die Rücknahme bestimmter Regelungen, um die Unabhängigkeit und Vielfalt der Wissenschaft zu schützen.
Das Gesetz will das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) – § 1 Ziel des Gesetzes – umsetzen:
- Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.
Dazu werden insbesondere in §§ 84 – 97 des Hochschulgesetzes in NRW Ausführungen gemacht.
§ 87 wird nachfolgend stellvertretend zitiert.
Aus dem Gesetzesentwurf zur Hochschulstärkung in NRW:
§ 87 Sicherheitsverstöße und Sicherungsmaßnahmen
(1) Ein Mitglied der Hochschule begeht einen Sicherheitsverstoß, wenn es gegen eine ihm obliegende
- Verhaltensregel der Ordnung nach § 85 Absatz 1 Satz 2 oder
- dienstrechtliche Pflicht, die
- a) zumindest auch dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit, der sexuellen Integ- rität und Selbstbestimmung, des sozialen Geltungsanspruchs oder der Handlungs- und Entschlussfreiheit hinsichtlich der persönlichen Lebensgestaltung eines anderen Mitglieds oder Angehörigen der Hoch- schule zu dienen bestimmt ist,
b) ihm eine Diskriminierung aus einem der in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes genannten Gründe untersagt, oder c) ihm ein achtungs- und vertrauenswürdiges Verhalten auferlegt,
verstößt.
(2) Gegen die Person, welche einen Sicherheitsverstoß begangen hat, soll eine Sicherungsmaßnahme verhängt werden. Sicherungsmaßnahmen sind:
- unbeschadet des Weisungsrechts nach § 27 Absatz 1 Satz 2 Halbsatz 2 und des Hausrechts Weisungen betreffend
- a) das vollständige oder teilweise Verbot des Betretens einzelner oder sämtlicher Liegenschaften der Hochschule zur Wahrnehmung einzelner oder sämtlicher Dienst- aufgaben oder
- b) das Gebot, die dem Mitglied obliegende Lehre ganz oder teilweise mittels Videokonferenztechnik oder eines anderen technischen Instruments ausschließlich online zu erbringen,
- Gebote oder Verbote betreffend den Kontakt zu anderen Hochschulmitgliedern oder -angehörigen,
- der Entzug der Weisungsbefugnis gegen- über Beschäftigten,
- der vollständige oder teilweise Entzug der Lehr- und Prüfungsbefugnis,
- der vollständige oder teilweise Widerruf der Zusagen über die nach § 37 Absatz 3 oder in sonstiger Weise gewährte Ausstattung,
- der Ausspruch, für die Dauer von zwei bis fünf Jahren
- a) die Fähigkeit zu verlieren, Funktionen in der Selbstverwaltung der Hochschule zu bekleiden und solche Funktionen durch Wahlen zu erlangen, sowie
- b) das Recht zu verlieren, in der Hoch- schule zu wählen oder zu stimmen.
Die Verhängung einer Maßnahme nach Satz 2 Nummer 5 und 6 setzt voraus, dass das Mitglied den Sicherheitsverstoß schuldhaft begangen hat. Mit dem Verlust der Fähigkeit nach Satz 2 Nummer 6 Buch- stabe a) verliert das Mitglied zugleich sämtliche Funktionen, die es in der Selbstverwaltung innehat. Satz 4 findet auf hauptberufliche Rektoratsmitglieder sowie auf die Dekanin oder den Dekan, die oder der hauptberuflich tätig ist, keine Anwendung.
(3) Liegen in einer Person zureichende tat- sächliche Anhaltspunkte für die Begehung eines Sicherheitsverstoßes vor (verdächtige Person), können Sicherungsmaßnahmen nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 bis 4 auch verhängt werden, ohne dass die Begehung des Sicherheitsverstoßes nachgewiesen ist. Erweist sich hinsichtlich der verdächtigen Person, dass sich diese zureichenden tat- sächlichen Anhaltspunkte nicht dahin er- härten, dass die Begehung eines Sicherheitsverstoßes weiterhin angenommen wer- den kann, ist die Maßnahme aufzuheben.
(4) Die Entscheidung über die Verhängung der einzelnen Sicherungsmaßnahme, auch hinsichtlich ihrer Dauer, ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen durch Sicherungsverfügung gegen die sicherheitsverstoßende Person (Sicherungsgegner). Die Maßnahme ist insbesondere nach der Schwere des Sicherheitsverstoßes und im Falle des Absatzes 3 Satz 1 insbesondere nach der Bedeutung der Verhaltensregeln nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 oder dem Maß der Gefährdung der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 genannten Schutzgüter zu bemessen. Im Übrigen gilt § 13 Absatz 2 Sätze 2 bis 4 des Landesdisziplinargesetzes entsprechend.
(5) Für Studierende, die eine Funktion in der Selbstverwaltung der Hochschule wahrnehmen oder zugleich ein Mitglied der Gruppen nach § 11 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 sind, gelten die Absätze 1 bis 4 nur hinsichtlich dieser Funktionswahrnehmung oder des Handelns als Gruppenmitglied. Außerhalb dessen gilt für Studierende § 51a.
(6) Ist ein Mitglied nach den dienstrechtlichen Bestimmungen beurlaubt oder an eine andere Stelle abgeordnet, bleiben seine Pflichten, die einen Sicherheitsverstoß nach Absatz 1 Satz 1 begründen können, in der Hochschule bestehen.
(7) Soweit ein Mitglied einer Hochschule einen Sicherheitsverstoß in seiner Funktion als Mitglied oder Angehöriger des Promotionskollegs für angewandte Forschung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Nordrhein-Westfalen begeht, gilt dieser als durch das Mitglied dieser Hoch- schule begangen.
(8) Sind seit der Vollendung des Sicherheitsverstoßes mehr als drei Jahre vergangen, darf eine Sicherungsmaßnahme nicht mehr verhängt werden. Die Frist des Satzes 1 wird durch die Einleitung und jede Ausdehnung des Sicherungsverfahrens unterbrochen. Die Frist wird zudem durch die Einleitung und jede Ausdehnung des Disziplinarverfahrens, die Erhebung der Disziplinarklage sowie die Erhebung der Nachtragsdisziplinarklage unterbrochen, die hinsichtlich des Sachverhalts, der dem Sicherungsverfahren zugrunde liegt, vorgenommen wird. Die Frist des Satzes 1 ist für die Dauer des gerichtlichen Disziplinarverfahrens, welches wegen desselben Sachverhalts eingeleitet worden ist, gehemmt.
Ist vor Ablauf der Frist des Satzes 1 wegen desselben Sachverhalts ein Straf- oder Bußgeldverfahren eingeleitet worden, ist die Frist für die Dauer dieses Verfahrens gehemmt. Gleiches gilt für die Dauer einer Aussetzung des Disziplinarverfahrens nach § 22 des Landesdisziplinargesetzes, soweit nicht schon eine Hemmung nach Satz 5 eintritt.
(9) Für den Fall, dass die verletzte Person eine Doktorandin oder ein Doktorand ist, trifft die Universität oder das Promotionskolleg für angewandte Forschung der Hochschulen für angewandte Wissenschaften in Nordrhein-Westfalen angemessene Vorkehrungen, dass das Promotionsvorhaben durch die Einleitung des Sicherungs- und des Disziplinarverfahrens nicht gefährdet wird.
(10) Absatz 1 bis 4 und 8 gelten auch für Angehörige der Hochschule. Absatz 5 bleibt unberührt.
Die Regelungen im Entwurf des Hochschulgesetzes im Überblick:
§ 84 – Sicherer und redlicher Hochschulraum
- Die Hochschule gewährleistet einen sicheren Hochschulraum und berücksichtigt dabei die Vielfalt ihrer Mitglieder und Angehörigen. Es werden Maßnahmen zur Sicherstellung von Sicherheit und Redlichkeit implementiert.
§ 85 – Verhaltensregeln und Leitlinien
- Der Senat kann Verhaltensregeln zur Orientierung der Hochschulmitglieder aufstellen, wobei die Freiheitsrechte der Mitglieder respektiert werden.
§ 86 – Redlichkeitsverstöße und Redlichkeitsmaßnahmen
- Redlichkeitsverstöße umfassen Verstöße gegen Redlichkeitsverpflichtungen. Maßnahmen können von Feststellungen eines Verstoßes bis zur Rücknahme von Publikationen reichen.
§ 87 – Sicherheitsverstöße und Sicherungsmaßnahmen
- Sicherheitsverstöße betreffen Verstöße gegen spezifische Regeln oder Pflichten, die dem Schutz der Integrität von Hochschulangehörigen dienen. Sicherungsmaßnahmen können präventiv verhängt werden.
§ 88 bis § 92 – Verfahren zur Sicherung und Durchsetzung
- In diesen Paragraphen werden die Verfahren für die Behandlung von Redlichkeits- und Sicherheitsverstößen geregelt. Sie umfassen Rechte und Schutzmaßnahmen für die betroffenen Personen.
§ 93 – Einbeziehung der Universitätskliniken
- Universitätskliniken werden in die Regelungen integriert, um eine einheitliche Anwendung der Maßnahmen zu gewährleisten.
§ 94 bis § 97 – Verhältnis zum Disziplinarrecht und Sonderregelungen
- Es wird das Verhältnis zwischen den hochschulspezifischen Regelungen und dem Landesdisziplinargesetz geklärt. Sonderregelungen, wie die Zurückstufung von Amtsinhabern, sind enthalten.