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Karenzentschädigung – kein ausreichender Schutz für Arbeitnehmer mehr!

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Karenzentschädigung – kein ausreichender Schutz für Arbeitnehmer mehr!

Grüne Wirtschaft durch Marktwirtschaft

Die Karenzentschädigung nach § 74 ff. HGB soll den Arbeitnehmer dafür entschädigen, dass er sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses an ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot hält. Dieses Verbot untersagt ihm für eine bestimmte Zeit (meist zwischen 12 bis 24 Monaten), in einem festgelegten räumlichen und sachlichen Bereich in Konkurrenz zum ehemaligen Arbeitgeber tätig zu werden.

Die Karenzentschädigung ist als Existenzsicherung gedacht, da der Arbeitnehmer während der Karenzzeit unter Umständen nicht uneingeschränkt arbeiten oder seine berufliche Karriere frei gestalten kann, d.h. seine Berufsfreiheit nach Art. 12 GG ist eingeschränkt. Die Karenzentschädigung und das Wettbewerbsverbot stehen sich als Leistung und Gegenleistung unmittelbar gegenüber. Das bedeutet, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der Karenzentschädigung unmittelbar davon abhängt, dass der Arbeitnehmer das nachvertragliche Wettbewerbsverbot einhält. Diese unmittelbare Verknüpfung basiert auf den Regelungen in § 74 ff. HGB und ist ein wesentlicher Bestandteil des rechtlichen Rahmens für nachvertragliche Wettbewerbsverbote.

Einkünfte aus anderweitiger Erwerbstätigkeit oder Leistungen, die zusammen mit der Karenzentschädigung den bisherigen Verdienst des Arbeitnehmers übersteigen, können vom Arbeitgeber auf die Karenzentschädigung angerechnet werden (§ 74b Abs. 2 HGB).
Dies dient der Vermeidung einer Überkompensation, bei der der Arbeitnehmer besser gestellt wäre als im ursprünglichen Arbeitsverhältnis.

Die Regelung des § 74b HGB konkretisiert eine monatliche Zahlungspflicht der Karenzentschädigung:

1) Die nach § 74 Abs. 2 dem Handlungsgehilfen zu gewährende Entschädigung ist am Schlusse jedes Monats zu zahlen.

Die regelmäßige Zahlung der Karenzentschädigung ist eine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit des Wettbewerbsverbots. Sie verpflichtet Arbeitgeber, das Wettbewerbsverbot nicht als bloße Absicherung ohne tatsächliche wirtschaftliche Verpflichtung zu nutzen.

Zuwiderhandlungen des Arbeitnehmers gegen das Wettbewerbsverbot führen zum Verlust des Anspruchs auf die Karenzentschädigung und können Schadensersatzansprüche des Arbeitgebers nach sich ziehen (§ 74c HGB).

Soweit die Theorie!

Ein Fall aus der Realtität an deutschen Arbeitsgerichten.

Der Fall:

Herr X war bis zum 30. September 2024 bei der Y-GmbH, einem Unternehmen, das sich auf die Vermittlung und Rekrutierung von Fachkräften spezialisiert hat, angestellt. Gemäß seinem Arbeitsvertrag war er verpflichtet, für die Dauer von zwölf Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot einzuhalten. Für diesen Zeitraum wurde ihm eine Karenzentschädigung in Höhe von 50 % seiner letzten vertragsgemäßen Bezüge zugesichert.

Nach seinem Ausscheiden begann Herr X eine Tätigkeit bei einem IT-Systemhaus, das auf Softwarelösungen und technische Dienstleistungen spezialisiert ist. Dieses Unternehmen steht nachweislich nicht in Konkurrenz zur Y-GmbH.

Streitgegenstand

Die Y-GmbH verweigert die Auszahlung der Karenzentschädigung mit der Begründung, Herr X habe gegen das Wettbewerbsverbot verstoßen. Es wurde angedeutet, dass rechtliche Schritte eingeleitet würden, falls Herr X auf die Auszahlung der Karenzentschädigung besteht. Zudem hat die Geschäftsführung versucht, Herrn X mit einer pauschalen Abfindung zur Aufhebung der Karenzentschädigung zu bewegen, weit unterhalb der vertraglich vereinbarten Entschädigung.

  1. Einhaltung des Wettbewerbsverbots:
    Herr X hat nachweislich keine Tätigkeit aufgenommen, die mit der Geschäftstätigkeit der Y-GmbH in Konkurrenz steht. Die Tätigkeit bei seinem neuen Arbeitgeber ist ausschließlich auf IT-Dienstleistungen beschränkt und überschneidet sich nicht mit den Geschäftsinteressen der Y-GmbH.
  2. Anspruch auf Karenzentschädigung:
    Gemäß § 74 Abs. 2 HGB steht Herrn X eine Karenzentschädigung zu, da er das Wettbewerbsverbot einhält. Die Verweigerung der Zahlung ist vertragswidrig und verstößt gegen die Regelungen des Arbeitsvertrags sowie geltendes Recht.
  3. Dringlichkeit des Rechtsschutzes:
    Die Nichtzahlung der Karenzentschädigung führt zu einer erheblichen wirtschaftlichen Belastung für Herrn X und seine Familie. Herr X hat Kinder und seine Frau ist nicht in einem festen Anstellungsverhältnis. Diese Umstände begründen die besondere Dringlichkeit eines einstweiligen Rechtsschutzes.

Antrag auf einstweilige Verfügung

Herr X hat beim zuständigen Gericht beantragt, die Y-GmbH zur sofortigen monatlichen Zahlung der  Karenzentschädigung zu verpflichten. Zusätzlich fordert er eine transparente Abrechnung der Entschädigung. Die Verzögerung der Zahlung würde den vertraglichen Zweck der Karenzentschädigung, nämlich die Sicherung seines Lebensunterhalts, vereiteln.

Gerichtliche Praxis im Dezember 2024:

Das Gericht verneinte in der mündlichen Verhandlung die Dringlichkeit des Antrages auf vertragsgemäße monatliche Zahlung der Karenzentschädigung. Mit den Einzelheiten des Falles hatte sich das Gericht nicht beschäftigt und erachtete es als zumutbar, wenn man sich entweder aussergerichtlich auf einen Pauschalbetrag einigen oder Klage in der Hauptsache einreichen würde. Herr X habe das Wettbewerbsverbot eingehalten, müsse aber einen Verhandlungstermin Anfang 2026 hinnehmen, man habe vorher keine Zeit. Der Antrag auf einstweilige Verfügung solle besser zurückgenommen werden, man würde ihn sonst mit allen Kostenfolgen wegen fehlender Dringlichkeit zurückweisen. In diesem Sinne verwies das Gericht auf die neue Praxis des BAG. Der Richter betonte, daß es eine andere gerichtliche Praxis gäbe, aber er würde dies immer so machen.

Rechtliche Einordnung:

Der unmittelbare und wechselseitige Zusammenhang zwischen Wettbewerbsverbot und Karenzentschädigung wird durch diese Praxis faktisch aufgehoben. Die vermeintliche Gleichstellung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Durchsetzung des Wettbewerbsverbots verschiebt sich zugunsten des Arbeitgebers. Für den Arbeitnehmer wird die Karenzentschädigung, auf die er sich durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung verlassen können sollte, zu einem unsicheren Element im Wettbewerbsrecht.

Die Dringlichkeit eines Antrags auf Zahlung der Karenzentschädigung ergibt sich aus deren Zweck: Sie stellt eine finanzielle Überbrückung dar, die zeitlich begrenzt ist und mit dem neuen Einkommen des Arbeitnehmers verrechnet wird. Ziel ist es, Einkommensnachteile auszugleichen, die durch das Wettbewerbsverbot entstehen, da der Arbeitnehmer in dieser Zeit nicht für ein Konkurrenzunternehmen tätig sein darf.

Kommt der ehemalige Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Zahlung der Karenzentschädigung nicht nach oder verzögert diese, und wird der Arbeitnehmer auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen, das erst in zwei Jahren verhandelt wird, so gerät der Arbeitnehmer in eine untragbare Situation. Er kann das Wettbewerbsverbot auch nicht für unwirksam erklären, da er sich in einem neuen Arbeitsverhältnis gebunden hat. Gleichzeitig wird er durch die ausbleibende Karenzentschädigung in seiner finanziellen Existenz beeinträchtigt.

Der ehemalige Arbeitgeber hingegen profitiert von diesem Ungleichgewicht: Er kann auf ein bestehendes  Wettbewerbsverbot ohne zeitnahe Zahlung (Gegenleistung) – entgegen der Regelung des § 74b HGB – setzen. Im Extremfall nutzt er die wirtschaftliche Notlage des Arbeitnehmers aus, der aufgrund des Wettbewerbsverbots Gehaltseinbußen in seinem neuen Arbeitsverhältnis hinnehmen muss, und bietet Vergleichszahlungen an, die deutlich unter der vertraglich zugesicherten Karenzentschädigung liegen. Der Arbeitnehmer hat oft keine andere Wahl, als sich auf diese Angebote einzulassen, da er dringend auf das Geld angewiesen ist.

Eine zusätzliche Hürde für den Arbeitnehmer ergibt sich aus den besonderen Kostenregelungen vor den Arbeitsgerichten:

  • Gerichtskosten: Diese trägt die unterliegende Partei.
  • Anwaltskosten: Jede Partei trägt die Kosten ihres eigenen Anwalts selbst, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens. Eine Kostenerstattung durch die Gegenseite ist ausgeschlossen.

Der Arbeitnehmer muss somit für die Durchsetzung seiner Ansprüche auf Karenzentschädigung in der ersten Instanz sowohl die Gerichtskosten als auch seine Anwaltskosten selbst tragen. Dies mindert den wirtschaftlichen Nutzen der einzuklagenden Karenzentschädigung erheblich. Arbeitgeber können diesen Umstand gezielt ausnutzen, indem sie Vergleichszahlungen vorschlagen, bei denen sie die voraussichtlichen Prozesskosten faktisch von der Karenzentschädigung abziehen.

 

Die Folgewirkung:

Die wechselseitige Schutzfunktion im Wettbewerbsrecht durch § 74 ff. HGB ist für den Arbeitnehmer durch die Verneinung der Dringlichkeit im einstweiligen Rechtsschutz aufgehoben.

Arbeitnehmern ist zur Wahrung ihrer Berufsfreiheit anzuraten, kein Wettbewerbsverbot in einem Arbeitsvertrag zu unterschreiben.

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