Politikerhaftung bei Verschwendung von Steuergeldern?

Die öffentliche Verschwendung 2024/25! – so heißt das aktuelle Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler e.V.
Aufgezeigt werden 100 exemplarische Fälle der Steuerverschwendung, wie
- Stuttgart: Millionenschweres Großprojekt liegt auf Eis
- Stuttgart: Mahnmal mahnt nicht mehr
- Stuttgart: Klotzen statt Kleckern für die EURO
- Ulm: Teures Neuland für die Steuerzahler
- Herrenberg: Seltener Badespaß
- Künzelsau: Reaktivierung der Schiene um jeden Preis?
- Neuenburg am Rhein: Zu spät fertig, zu teurer, kaum genutzt
- Bad Wurzach: Fast vier Mio. Euro nur für schöne Aussichten?
- Eberbach: Wenn ein Zebrastreifen plötzlich für Furore sorgt
- Baden-Württemberg: Kritik wirkte: Landespflegekammer kommt nicht
Immer wieder hört man den Ruf nach einer Art Politikerhaftung in derartigen Fällen, weil es doch nicht sein kann, daß Steuerverschwendung für die Handelnden folgenlos bleibt.
Grund genug auf aktuelle Fälle und Sanktionsmöglichkeiten neben der verfassungsrechtlichen Einordnung einer Politikerhaftung zu blicken.
Im Jahr 2024 gab es in Deutschland mehrere bedeutende Industrieansiedlungsprojekte, die trotz umfangreicher staatlicher Förderzusagen ins Stocken gerieten oder verschoben wurden. Hier sind einige der prominentesten Fälle:
1. Intel-Chipfabrik in Magdeburg
Der US-amerikanische Technologiekonzern Intel plante den Bau einer Mega-Chip-Fabrik in Magdeburg mit einem Investitionsvolumen von rund 30 Milliarden Euro. Die deutsche Bundesregierung sagte Fördermittel in Höhe von etwa 10 Milliarden Euro zu. Trotz dieser Unterstützung wurde das Projekt um mindestens zwei Jahre verschoben. Hauptgründe sind finanzielle Herausforderungen bei Intel, einschließlich eines globalen Sparprogramms und Stellenstreichungen. Diese Verzögerung stellt einen erheblichen Rückschlag für die deutsche Wirtschaft und die Region Magdeburg dar.
2. Thyssenkrupp „Grüner Stahl“ Projekt
Der Industriekonzern Thyssenkrupp plante den Bau einer Direktreduktionsanlage zur Produktion von „grünem Stahl“ unter Verwendung von Wasserstoff anstelle von Kohle. Das Projekt sollte mit rund drei Milliarden Euro subventioniert werden, und bereits 500 Millionen Euro an Fördermitteln wurden ausgezahlt. Aufgrund erheblicher Kostensteigerungen und Bedenken hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit wird das Projekt nun grundlegend überprüft, und ein möglicher Abbruch steht im Raum. Ein Scheitern dieses Projekts wäre ein herber Schlag für die geplante Transformation der deutschen Stahlindustrie.
3. Northvolt-Batteriefabrik in Schleswig-Holstein
Der schwedische Batteriehersteller Northvolt plante den Bau einer Batteriefabrik in Schleswig-Holstein. Der Bund und das Land Schleswig-Holstein stellten jeweils Bürgschaften in Höhe von 300 Millionen Euro bereit, insgesamt also 600 Millionen Euro. Trotz dieser Unterstützung geriet das Projekt ins Stocken, und es bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der Realisierung. Die finanzielle Krise von Northvolt und die Beantragung von Gläubigerschutz in den USA haben die Situation weiter verkompliziert.
Die finanzielle Krise des schwedischen Batterieherstellers Northvolt, der in den USA Gläubigerschutz nach Chapter 11 des US-Insolvenzrechts beantragt hat, hat erhebliche finanzielle Auswirkungen auf Deutschland. Der Bund und das Land Schleswig-Holstein bürgen jeweils für 300 Millionen Euro, insgesamt also 600 Millionen Euro, die von der staatlichen Förderbank KfW bereitgestellt wurden. Die KfW hat die Bürgschaften fällig gestellt. Details hier.
Bundeskanzler Olaf Scholz betonte in einer Regierungsbefragung im Bundestag die Bedeutung der europäischen Produktion strategischer Komponenten für die Elektromobilität. Er erklärte, es sei „sehr bedauerlich“, dass sich die Pläne von Northvolt derzeit nicht wie erhofft entwickelten, unterstrich jedoch die Notwendigkeit, den Bau von Batteriefabriken weiterhin zu fördern. Scholz sagte: „Das werden wir auch weitermachen.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verteidigte ebenfalls die staatlichen Subventionen für Unternehmen. Er hob hervor, dass die Abhängigkeit Deutschlands bei der Batterieproduktion zu 80 Prozent von China bestehe und betonte die Notwendigkeit, die Widerstandsfähigkeit der europäischen und deutschen Wirtschaft zu stärken. Habeck wies darauf hin, dass die entsprechenden Förderprogramme wesentlich aus der Vorgängerregierung unter Kanzlerin Angela Merkel stammten und diese Entscheidungen richtig gewesen seien
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther äußerte sich ebenfalls zur Situation. Er betonte, dass das Land seinen Verpflichtungen nachkommen und die zugesicherten Leistungen entsprechend der Vereinbarung erbringen werde. Günther räumte ein, dass die Auszahlung den Schuldenstand des Landes erhöhen und höhere Zinsausgaben nach sich ziehen werde. Die Summe werde binnen 30 Tagen nach Zahlungsaufforderung fällig.
Landes- und Bundesrechnungshöfe sowie der Bund der Steuerzahler haben verschiedene Instrumente zur Verfügung, um Geldverschwendung durch staatliche Stellen aufzudecken und zu kritisieren. Allerdings können sie Verschwendung in der Regel nicht direkt ahnden, sondern agieren als prüfende, beratende und öffentlichkeitswirksame Instanzen.
Landes- und Bundesrechnungshöfe
Die Rechnungshöfe (Art. 114 Abs. 2 GG, Landesverfassungen) sind unabhängige Prüfungsorgane, die die Haushalts- und Wirtschaftsführung der öffentlichen Verwaltung kontrollieren.
Prüfungsbefugnisse
- Die Rechnungshöfe überprüfen die ordnungsgemäße Verwendung von Steuermitteln durch Bund, Länder und Kommunen.
- Sie prüfen auf Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und ordnungsgemäße Buchführung.
- Prüfungen betreffen nicht nur Behörden, sondern auch staatliche Unternehmen oder Institutionen, die öffentliche Gelder erhalten.
Instrumente zur Aufdeckung von Verschwendung
- Prüfungsberichte: Die Ergebnisse der Prüfungen werden in Berichten festgehalten. Der Bundesrechnungshof veröffentlicht regelmäßig Jahresberichte, die gravierende Fälle von Geldverschwendung aufdecken.
- Empfehlungen: Die Rechnungshöfe geben Empfehlungen zur Fehlerbehebung und zur Vermeidung zukünftiger Verschwendung. Sie haben jedoch keine Durchsetzungsmacht, die Umsetzung liegt bei den geprüften Stellen.
- Informierung der Parlamente: Die Berichte werden an Parlamente übermittelt, die politische Konsequenzen ziehen können (z.B. Sparauflagen, Nachfragen in Ausschüssen).
- Öffentlichkeitswirksamkeit: Besonders krasse Fälle von Geldverschwendung werden durch Berichte öffentlich gemacht, was politischen Druck erzeugt.
Grenzen
- Rechnungshöfe können keine direkten Sanktionen verhängen.
- Ihre Rolle ist beratend und aufdeckend, aber die Umsetzung von Empfehlungen liegt bei Exekutive und Legislative.
Bund der Steuerzahler e.V.
Der Bund der Steuerzahler (BdSt) ist ein privater Verein und kein staatliches Organ, nimmt aber durch seine Arbeit Einfluss auf Politik und Verwaltung.
Instrumente zur Aufdeckung von Verschwendung
- Schwarzbuch „Die öffentliche Verschwendung“: Jährlich veröffentlicht der BdSt das Schwarzbuch, in dem Fälle von Steuergeldverschwendung dokumentiert und öffentlich angeprangert werden. Dies erzeugt politischen und öffentlichen Druck.
- Lobbyarbeit: Der BdSt führt Gespräche mit Politikern, Ministerien und Behörden, um auf Verschwendung hinzuweisen und Reformen zu fordern.
- Klagen und juristische Verfahren: In bestimmten Fällen initiiert der Bund der Steuerzahler gerichtliche Verfahren, z.B. bei verfassungswidriger Haushaltsführung oder der Verletzung von Transparenzpflichten.
- Öffentlichkeitsarbeit und Medienpräsenz: Durch aktive Medienarbeit sorgt der BdSt dafür, dass Fälle von Steuergeldverschwendung bekannt werden und politischen Druck erzeugen.
Grenzen
- Der BdSt hat keine hoheitlichen Befugnisse.
- Er kann nur öffentlichkeitswirksam agieren und politisches Umdenken anstoßen, aber keine direkten Maßnahmen ergreifen.
Weder die Rechnungshöfe noch der Bund der Steuerzahler können Geldverschwendung unmittelbar ahnden oder sanktionieren. Ihre Hauptinstrumente sind:
- Prüfung und Berichterstattung (Rechnungshöfe)
- Öffentlichkeitsarbeit und politischer Druck (Bund der Steuerzahler).
Damit stellt sich die Frage nach einer „Politikerhaftung“.
Politikerhaftung?
Die Einführung einer Politikerhaftung in Anlehnung an das deutsche Disziplinarrecht (wie es etwa für Beamte gilt) wäre grundsätzlich denkbar, wirft jedoch erhebliche verfassungsrechtliche, praktische und systemische Probleme auf.
Das Disziplinarrecht als Grundlage
Das deutsche Disziplinarrecht gilt für Beamte und andere Amtsträger, die ein Dienst- und Treueverhältnis zum Staat unterhalten (§ 33 BeamtStG). Es dient dazu, die ordnungsgemäße Erfüllung von dienstlichen Pflichten zu überwachen und Verstöße zu ahnden.
Maßnahmen können dabei reichen von Verweisen über Gehaltseinbußen bis hin zur Entlassung.
Politiker hingegen stehen nicht in einem Dienstverhältnis zum Staat, sondern handeln auf der Grundlage eines politischen Mandats. Dies stellt einen fundamentalen Unterschied dar.
Mögliche Einführung einer Politikerhaftung in Anlehnung an das Disziplinarrecht
Man könnte eine „politische Disziplinarhaftung“ einführen, bei der Verstöße gegen bestimmte Pflichten sanktioniert werden. Ein solches System könnte folgende Merkmale aufweisen:
Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Amtsführung
Politiker könnten in klar definierten Fällen bei schwerwiegenden Verstößen gegen ihre Amtspflichten zur Verantwortung gezogen werden, z. B.:
- Vorsätzliche Fehlentscheidungen mit nachweisbarem Schaden
- Grobe Fahrlässigkeit bei der Amtsausführung
- Verletzung von Transparenz- oder Informationspflichten
Einführung von Disziplinarmaßnahmen
Mögliche Sanktionen könnten sein:
- Offizieller Tadel oder Rüge
- Kürzung der Diäten oder finanzielle Einbußen
- Temporäre Amtsenthebung
- Verlust des Mandats in besonders schwerwiegenden Fällen
Disziplinarinstanz zur Prüfung von Verstößen
Eine unabhängige Instanz könnte geschaffen werden, um Pflichtverstöße von Politikern zu prüfen. Dies könnte in Form von:
- Disziplinarkammern innerhalb bestehender Gerichte, oder
- einer unabhängigen Aufsichtsbehörde (z.B. ähnlich dem Rechnungshof) erfolgen.
Verfassungsrechtliche Hürden
Eine Einführung einer solchen Haftung steht jedoch vor erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken:
Freies Mandat (Art. 38 Abs. 1 GG)
Abgeordnete sind laut Art. 38 GG „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“.
- Eine Disziplinarhaftung könnte als Einschränkung dieses Grundsatzes gewertet werden. Politiker müssten befürchten, wegen unpopulärer oder risikobehafteter Entscheidungen disziplinarisch belangt zu werden.
- Dies würde die Freiheit des Mandats gefährden und zu einer „Defensivpolitik“ führen.
Gewaltenteilung
Politische Verantwortung wird in der parlamentarischen Demokratie durch Wahlen und Kontrollmechanismen gesichert (z. B. parlamentarische Kontrolle, Misstrauensvotum). Eine disziplinarische Aufsicht könnte hier zu einer unzulässigen Vermischung von Exekutive, Legislative und Judikative führen.
Abgrenzung zu politischer Verantwortung
Die Abgrenzung zwischen „politischer Fehlentscheidung“ und „pflichtwidrigem Verhalten“ ist schwierig. Eine nachträgliche Bewertung von politischen Entscheidungen könnte den politischen Diskurs verzerren und zur Instrumentalisierung von Disziplinarmaßnahmen führen.
Praktische Herausforderungen
Objektive Beweisbarkeit
Politische Entscheidungen basieren oft auf Prognosen und Abwägungen. Ein klarer Kausalzusammenhang zwischen einer Entscheidung und einem negativen Ergebnis ist häufig nicht nachweisbar.
Blockade von Entscheidungen
Politiker könnten aus Angst vor Sanktionen riskante, aber notwendige Entscheidungen vermeiden. Dies würde die Handlungsfähigkeit von Regierungen und Parlamenten einschränken.
Mögliche Politisierung der Verfahren
Ein Disziplinarverfahren gegen Politiker könnte leicht zum politischen Instrument werden, um politische Gegner zu diskreditieren oder unliebsame Entscheidungen zu verhindern.
Eine Politikerhaftung in Anlehnung an das Disziplinarrecht ist theoretisch denkbar, steht jedoch vor erheblichen verfassungsrechtlichen und praktischen Hürden. Sie würde den Grundsatz des freien Mandats gefährden und könnte zur Blockade politischer Entscheidungen führen. Stattdessen sollten bestehende Mechanismen zur politischen und strafrechtlichen Verantwortung gestärkt werden, um Fehlverhalten effektiver zu sanktionieren und die Transparenz politischer Entscheidungen zu erhöhen.