Der umstrittene Posten-Streit: Wenn Gerichte die Karriere entscheiden

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Hamburgs „General“ wehrt sich gegen Verschmähungen
Am 17.2.2025 meldet bild.de: Hamburgs „General“ wehrt sich gegen Verschmähungen.
Die Zusammenfassung der Meldung:
Der Rechtsstreit um die Besetzung des Generalstaatsanwalts in Schleswig-Holstein hat eine neue Eskalationsstufe erreicht. Trotz schlechterer Bewertung im Auswahlverfahren setzte sich der Hamburger Leitende Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders gegen seine Konkurrentin durch – mit einem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts (OVG). Nun äußert sich Hamburgs Generalstaatsanwalt Dr. Jörg Fröhlich öffentlich zu den schweren Vorwürfen gegen ihn und spricht von einer „hetzerischen Diktion“ des Beschlusses.
Eine Entscheidung mit Sprengkraft
Die Entscheidung des OVG ist eine juristische Ohrfeige für Hamburgs obersten Ankläger, Dr. Jörg Fröhlich. In dem 21-seitigen Beschluss wirft das Gericht ihm Voreingenommenheit vor – ein vernichtendes Urteil für einen hochrangigen Justizbeamten. Hintergrund ist, dass Fröhlich die dienstliche Beurteilung von Anders erstellt hatte, diese jedoch laut OVG nicht hätte verfassen dürfen. Der eigentliche Beurteiler sei befangen gewesen, sodass Anders‘ Bewertung an einem „beispiellos ausgetragenen persönlichen Konflikt“ gelitten habe.
Fröhlich schlägt zurück
Diese Vorwürfe weist Fröhlich entschieden zurück: „Von den Ausführungen des Senats bin ich erschüttert. Den Vorwurf meiner Voreingenommenheit hat in dem gesamten Beurteilungsverfahren niemand erhoben, er ist auch nicht aktenkundig, geschweige denn durch irgendwelche Fakten belegt.“
Insbesondere kritisiert Fröhlich, dass das Gericht angebliche Anhaltspunkte für seine Parteilichkeit aus „fragwürdigen, jahrealten Zeitungsartikeln“ und aus einem „aus dem Zusammenhang gerissenen Schreiben“ ableitet. Dies setze laut Fröhlich „rechtlich neue Maßstäbe“.
Einschüchterung durch Disziplinarverfahren?
Besonders schwer wiegt der Vorwurf, Fröhlich habe Anders durch ein Disziplinarverfahren unter Druck gesetzt, um ihn mundtot zu machen. OVG-Richterin Maren Thomsen führte aus, dass eine unvoreingenommene Beurteilung daher nicht mehr möglich gewesen sei. Auch hier kontert Fröhlich scharf: „Die Ausführungen sind inhaltlich faktenfrei und abwegig. Ich werde prüfen, ob ich mich rechtlich dagegen zur Wehr setze.“
Geht der Streit in die nächste Instanz?
Obwohl der OVG-Beschluss unanfechtbar ist, könnte der Rechtsstreit noch nicht beendet sein. Die unterlegene Mitbewerberin Sabine Heß, die ursprünglich die besseren Bewertungen erhalten hatte, kann eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Sollte das Bundesverfassungsgericht das Verfahren erneut aufrollen, könnte sich das juristische Tauziehen um die Besetzung der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holsteins noch über Monate hinziehen.
Ein Fall mit Signalwirkung
Der Fall zeigt einmal mehr, wie stark die Besetzung von Spitzenpositionen in der Justiz von rechtlichen Auseinandersetzungen geprägt sein kann. Während das OVG Schleswig-Holstein den rechtlichen Rahmen als gewahrt ansieht, bleibt die Frage bestehen: War die Entscheidung eine Korrektur eines fehlerhaften Verfahrens – oder ein politischer Präzedenzfall, der in Zukunft weitere Konflikte nach sich ziehen könnte?
Pressemitteilung des OVG vom 10.2.2025
In dem Konkurrentenverfahren um die Stelle der Generalstaatsanwältin bzw. des Generalstaatsanwalts bei der Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts heute die Auswahlentscheidung des Landes Schleswig-Holstein im Eilverfahren bestätigt (Az. 2 MB 6/24). Ausgewählt worden war ein Bewerber aus Hamburg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde damit geändert.
Das Verwaltungsgericht hatte dem Eilantrag der unterlegenen Bewerberin aus Schleswig-Holstein im Juli 2024 stattgegeben und dem Land Schleswig-Holstein die Besetzung der Stelle mit dem Beigeladenen vorläufig untersagt. Zur Begründung hatte das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Entscheidung verletze den so genannten Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin. Die Beurteilung des Beigeladenen verstoße gegen die in Hamburg geltenden Beurteilungsrichtlinien. Diese sei nämlich nicht von dem zuständigen Beurteiler erstellt worden.
Dem ist der 2. Senat im Ergebnis nicht gefolgt. Er hat zwar bestätigt, dass nach dem Sachstand im erstinstanzlichen Verfahren der falsche Beurteiler die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen erstellt habe. Allerdings habe sich im Beschwerdeverfahren herausgestellt, dass der eigentlich zuständige Erstbeurteiler voreingenommen gewesen sei und daher ohnehin keine Beurteilung hätte erstellen dürfen. Der Senat beschreibt dies in seinem Beschluss mit einem „beispiellos ausgetragene(n) persönliche(n) Konflikt“, der u.a. aus der medialen Berichterstattung bekannt sei. Die Beurteilung durch den stattdessen tätig gewordenen Erstbeurteiler sei daher nicht zu beanstanden gewesen.
Der Senat begründet anschließend ausführlich, dass das Auswahlverfahren auch nicht unter anderen Fehlern leidet. Vor allem hat es das Land Schleswig-Holstein trotz der unterschiedlichen Beurteilungssysteme in Hamburg und Schleswig-Holstein geschafft, eine Vergleichbarkeit der Beurteilungen herzustellen. Auf dieser Grundlage konnte es davon ausgehen, dass der Beigeladene trotz formal gleicher Bewertung besser beurteilt war als die Antragstellerin. Das Land Schleswig-Holstein hatte dies aus Sicht des Senats zutreffend damit begründet, dass der ausgewählte Bewerber ein höheres so genanntes Statusamt innehatte. Er gehört der Besoldungsgruppe R 5 an und die Antragstellerin der Besoldungsgruppe R 4. Im Vergleich zur Antragstellerin habe für ihn eine weit höhere Personalverantwortung bestanden und er habe dadurch auch einen größeren Aufgabenbereich bewältigen müssen.
Das Gericht hat zwar problematisiert, dass beim Antragsteller möglicherweise zu Unrecht auch nebenamtliche Lehrtätigkeiten bei der Beurteilung seiner Fachkenntnisse eingeflossen seien, während dies bei der Antragstellerin unterblieben sei. Im Ergebnis wirkt sich das nach Ansicht des Senats auf das Gesamturteil und die so genannte Eignungsprognose aber nicht aus. Dies ändere nichts an der besseren Beurteilung des ausgewählten Bewerbers, da die Nebentätigkeiten im Gesamturteil hätten berücksichtigt werden dürfen. Zudem habe die Antragstellerin in diesem Teilbereich auch ohne Einbeziehung ihrer nebenamtlichen Lehrtätigkeiten die Bestnote erzielt.
Der Beschluss ist unanfechtbar.
Was sagt das Bundesverfassungsgericht zu vergleichbaren Verfahren
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. August 2024 – 2 BvR 418/24 zusammengefaßt:
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, dass der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Februar 2024 den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 33 Absatz 2 GG in Verbindung mit Artikel 19 Absatz 4 GG verletzt und hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Hintergrund des Verfahrens:
- Der Beschwerdeführer, ein Richter am Bundesverwaltungsgericht, hatte sich auf die Stelle des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen beworben.
- Die Stelle wurde zunächst 2020 ausgeschrieben, dann aber wegen Rückzug der Bewerbungen abgebrochen und 2021 erneut ausgeschrieben.
- Die zur Ernennung vorgesehene Bewerberin war Ministerialdirigentin im Ministerium des Innern von NRW und wurde erst nach einem Regierungswechsel im Juli 2022 als Bewerberin in das Verfahren aufgenommen.
- Der Beschwerdeführer machte geltend, dass die Auswahlentscheidung nicht nach den Kriterien der Bestenauswahl im Sinne des Artikel 33 Abs. 2 GG getroffen wurde, sondern aufgrund einer parteipolitischen Vorfestlegung zugunsten der Bewerberin.
Feststellungen des Gerichts:
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Fehlende Sachverhaltsaufklärung durch das Oberverwaltungsgericht
- Der Beschwerdeführer hatte substantiiert vorgetragen, dass der Justizminister sich bereits frühzeitig auf die Beigeladene festgelegt habe, was durch informelle Gespräche und politische Einflussnahme untermauert sei.
- Das Oberverwaltungsgericht hat diesen Vortrag nicht hinreichend aufgeklärt und sich stattdessen auf öffentliche Bekundungen des Ministers verlassen.
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Mangelnde Prüfung der Vorfestlegung des Ministers
- Der Beschwerdeführer legte eine eidesstattliche Versicherung vor, wonach ihm ein Bundestagsabgeordneter mitgeteilt habe, dass es einen politischen Wunsch gebe, eine Frau als Präsidentin des OVG NRW zu ernennen.
- Diese Umstände hätten das Oberverwaltungsgericht dazu veranlassen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, was es jedoch unterlassen hat.
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Unzureichende Begründung für die Auswahl der Beigeladenen
- Das Ministerium führte an, dass die Bewerberin aufgrund ihrer Verwaltungserfahrung einen Qualifikationsvorsprung habe.
- Das Gericht stellt fest, dass die Auswahlkriterien nicht ausreichend überprüft wurden und sich nicht ausschließlich auf die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung stützten.
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Fehlende Berücksichtigung des Bewerbungsverfahrensanspruchs
- Das Gericht hebt hervor, dass das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an den effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht erfüllt hat.
- In Konkurrentenstreitverfahren muss das Verfahren so ausgestaltet sein, dass eine tatsächliche und wirksame gerichtliche Kontrolle erfolgt.
Ergebnis:
- Das Bundesverfassungsgericht hebt den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts auf und verweist die Sache zurück zur erneuten Entscheidung.
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
- Das Land Nordrhein-Westfalen trägt die Hälfte der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers.
Diese Entscheidung unterstreicht die Bedeutung eines transparenten und fairen Auswahlverfahrens für öffentliche Ämter und die Verpflichtung der Gerichte, Verdachtsmomenten politischer Einflussnahme nachzugehen.