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Sondervermögen mit aufgelöstem Bundestag – geht das?

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Sondervermögen mit aufgelöstem Bundestag – geht das?

Reichstag Berlin

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 68 

(1) Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen. Das Recht zur Auflösung erlischt, sobald der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen anderen Bundeskanzler wählt.
(2) Zwischen dem Antrage und der Abstimmung müssen achtundvierzig Stunden liegen.

Das bedeutet in Kurzfassung:

  1. Ende der Legislaturperiode vor regulärem Ablauf
    • Der Bundestag besteht nicht mehr in seiner bisherigen Zusammensetzung.
    • Die Abgeordneten verlieren ihr Mandat jedoch nicht sofort, sondern erst mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages nach der Neuwahl (Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG).
  2. Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen
    • Gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 3 GG müssen innerhalb von 60 Tagen nach der Auflösung Neuwahlen stattfinden.
  3. Eingeschränkte Gesetzgebungskompetenz
    • Der Bundestag kann keine neuen Gesetze mehr beschließen.
    • Bereits laufende Gesetzgebungsverfahren werden unterbrochen und müssen nach der Wahl neu eingebracht werden.
    • Der Bundestag bleibt nur für dringliche Maßnahmen, insbesondere zur Bewältigung einer Notlage, handlungsfähig.
  4. Bundesregierung bleibt im Amt (Art. 69 Abs. 3 GG)
    • Die amtierende Bundesregierung führt die Geschäfte weiter, bis eine neue Regierung gebildet ist.
    • Sie ist jedoch nur noch geschäftsführend tätig und kann keine weitreichenden politischen Entscheidungen mehr treffen.
  5. Einfluss des Bundespräsidenten
    • Der Bundespräsident ordnet die Neuwahlen an.
    • In Ausnahmefällen kann er nach Art. 81 GG eine gesetzgeberische Notverordnung erlassen, wenn eine Regierungskrise besteht.

Kann der aufgelöste Bundestag also noch Sondervermögen von 900 Mrd. Euro beschließen?

Die politische Debatte in Deutschland erreicht eine neue Dimension: Der Bundestag, der bereits zur Neuwahl im Februar 2025 aufgelöst wurde, soll die Schaffung zweier Sondervermögen in Höhe von insgesamt 900 Milliarden Euro für Verteidigung und Infrastruktur beschließen. Besonders brisant ist, dass diese Sondervermögen eine Änderung des Grundgesetzes erfordern und daher eine Zweidrittelmehrheit im Parlament benötigen. Es stellt sich die Frage: Darf der aufgelöste Bundestag eine solch weitreichende Entscheidung überhaupt treffen?

1. Die Rolle des aufgelösten Bundestages

Nach Artikel 68 des Grundgesetzes (GG) kann der Bundestag durch den Bundespräsidenten aufgelöst werden, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt und nicht die erforderliche Mehrheit erhält. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Bundestag sofort seine Funktionsfähigkeit verliert. Vielmehr bleibt er geschäftsfähig, bis der neue Bundestag zusammentritt (Artikel 39 Absatz 1 Satz 4 GG).

Allerdings ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Praxis eine Einschränkung: Ein aufgelöster Bundestag soll sich nur noch mit unaufschiebbaren oder verwaltungstechnischen Aufgaben befassen. Die Verabschiedung langfristiger, strukturell gravierender Gesetze widerspricht dem Demokratieprinzip (Artikel 20 GG) und der Funktion der Neuwahl.

2. Bedeutung der Zweidrittelmehrheit für Grundgesetzänderungen

Da die Schaffung von Sondervermögen in dieser Höhe nicht aus dem regulären Haushalt finanziert werden kann, sondern eine gesonderte Ausnahme von der Schuldenbremse (Artikel 109 GG) erforderlich macht, muss das Grundgesetz geändert werden.

Für eine Grundgesetzänderung ist gemäß Artikel 79 Absatz 2 GG eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat notwendig. Die besondere Tragweite solcher Entscheidungen erfordert eine breite parlamentarische Legitimation. Die Frage ist nun, ob ein aufgelöster Bundestag eine solche Mehrheit beschließen darf oder ob dies gegen verfassungsrechtliche Grundsätze verstößt.

3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Entscheidung des aufgelösten Bundestages

Die Rechtswissenschaft und die Praxis der Verfassungsorgane tendieren zu der Auffassung, dass ein aufgelöster Bundestag nur eingeschränkt handlungsfähig ist.

a) Verstoß gegen das Demokratieprinzip (Artikel 20 GG)

Eine Grundgesetzänderung wäre ein tiefgreifender Eingriff in die verfassungsmäßige Ordnung und die Budgethoheit künftiger Parlamente. Da der Bundestag bereits aufgelöst wurde, fehlt ihm die volle demokratische Legitimation, solche weitreichenden Weichenstellungen vorzunehmen. Das Demokratieprinzip verlangt, dass eine neu gewählte Volksvertretung über zentrale Fragen selbst entscheidet.

b) Widerspruch zur Funktion der Parlamentsauflösung

Der Sinn der Bundestagsauflösung nach Artikel 68 GG besteht darin, eine neue politische Legitimation durch Wahlen herzustellen. Sollte der aufgelöste Bundestag dennoch eine Grundgesetzänderung verabschieden, könnte dies als „Wahlvereitelung“ gewertet werden, da es die Entscheidungsfreiheit des neu gewählten Bundestages erheblich einschränkt.

c) Präzedenzfälle und Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich zwar noch nicht explizit zu diesem Fall geäußert, doch in früheren Urteilen betont, dass ein aufgelöster Bundestag nur in Ausnahmefällen legislative Befugnisse ausüben sollte (BVerfGE 62, 1 ff.).

Leitsätze aus dem Urteil BVerfGE 62, 1:

1. Im Organstreit kann der einzelne Bundestagsabgeordnete die behauptete Verletzung jedes Rechts, das mit seinem Status als Abgeordneter verfassungsrechtlich verbunden ist, im eigenen Namen geltend machen. An der Gewährleistung der in Art. 39 Abs. 1 Satz 1 GG festgelegten Dauer der Wahlperiode hat der Status des Abgeordneten Anteil.

2. Die Anordnung der Auflösung des Bundestages oder ihre Ablehnung gemäß Art. 68 GG ist eine politische Leitentscheidung, die dem pflichtgemäßen Ermessen des Bundespräsidenten obliegt. Ein Ermessen im Rahmen des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG ist dem Bundespräsidenten freilich nur dann eröffnet, wenn im Zeitpunkt seiner Entscheidung die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen.

3. Art. 68 GG normiert einen zeitlich gestreckten Tatbestand. Verfassungswidrigkeiten, die auf den zeitlich vorangehenden Stufen eingetreten sind, wirken auf die Entscheidungslage fort, vor die der Bundespräsident nach dem Auflösungsvorschlag des Bundeskanzlers gestellt ist.

4. a) Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG ist eine offene Verfassungsnorm, die der Konkretisierung zugänglich und bedürftig ist.
b) Die Befugnis zur Konkretisierung von Bundesverfassungsrecht kommt nicht allein dem Bundesverfassungsgericht, sondern auch anderen obersten Verfassungsorganen zu. Dabei sind die bereits vorgegebenen Wertungen, Grundentscheidungen, Grundsätze und Normen der Verfassung zu wahren.
c) Bei der Konkretisierung der Verfassung als rechtlicher Grundordnung ist zumal ein hohes Maß an Übereinstimmung in der verfassungsrechtlichen wie verfassungspolitischen Beurteilung und Bewertung der in Rede stehenden Sachverhalte zwischen den möglichen beBVerfGE 62, 1 (1)BVerfGE 62, 1 (2)troffenen obersten Verfassungsorganen unabdingbar und eine auf Dauer angelegte, stetige Handhabung unerläßlich. Eine politisch umkämpfte und rechtlich umstrittene Praxis von Parlamentsmehrheiten und Regierungsmehrheiten reicht als solche hierfür nicht aus.

5. Vertrauen im Sinne des Art. 68 GG meint gemäß der deutschen verfassungsgeschichtlichen Tradition die im Akt der Stimmabgabe förmlich bekundete gegenwärtige Zustimmung der Abgeordneten zu Person und Sachprogramm des Bundeskanzlers.

6. Der Bundeskanzler, der die Auflösung des Bundestages auf dem Wege des Art. 68 GG anstrebt, soll dieses Verfahren nur anstrengen dürfen, wenn es politisch für ihn nicht mehr gewährleistet ist, mit den im Bundestag bestehenden Kräfteverhältnissen weiterzuregieren. Die politischen Kräfteverhältnisse im Bundestag müssen seine Handlungsfähigkeit so beeinträchtigen oder lähmen, daß er eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht sinnvoll zu verfolgen vermag. Dies ist ungeschriebenes sachliches Tatbestandsmerkmal des Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG.

7. Eine Auslegung dahin, daß Art. 68 GG einem Bundeskanzler, dessen ausreichende Mehrheit im Bundestag außer Zweifel steht, gestattete, sich zum geeignet erscheinenden Zeitpunkt die Vertrauensfrage negativ beantworten zu lassen mit dem Ziel, die Auflösung des Bundestages zu betreiben, würde dem Sinn des Art. 68 GG nicht gerecht. Desgleichen rechtfertigen besondere Schwierigkeiten der in der laufenden Wahlperiode sich stellenden Aufgaben die Auflösung nicht.

8. a) Ob eine Lage vorliegt, die eine vom stetigen Vertrauen der Mehrheit getragene Politik nicht mehr sinnvoll ermöglicht, hat der Bundeskanzler zu prüfen, wenn er beabsichtigt, einen Antrag mit dem Ziel zu stellen, darüber die Auflösung des Bundestages anzustreben.
b) Der Bundespräsident hat bei der Prüfung, ob der Antrag und der Vorschlag des Bundeskanzlers nach Art. 68 GG mit der Verfassung vereinbar sind, andere Maßstäbe nicht anzulegen; er hat insoweit die Einschätzungskompetenz und Beurteilungskompetenz des Bundeskanzlers zu beachten, wenn nicht eine andere, die Auflösung verwehrende Einschätzung der politischen Lage der Einschätzung des Bundeskanzlers eindeutig vorzuziehen ist.
c) Die Einmütigkeit der im Bundestag vertretenen Parteien, zu Neuwahlen zu gelangen, vermag den Ermessensspielraum des BundesBVerfGE 62, 1 (2)BVerfGE 62, 1 (3)präsidenten nicht einzuschränken; er kann hierin jedoch einen zusätzlichen Hinweis sehen, daß eine Auflösung des Bundestages zu einem Ergebnis führen werde, das dem Anliegen des Art. 68 GG näher kommt als eine ablehnende Entscheidung.

9. In Art. 68 GG hat das Grundgesetz selbst durch die Einräumung von Einschätzungsspielräumen und Beurteilungsspielräumen sowie von Ermessen zu politischen Leitentscheidungen an drei oberste Verfassungsorgane die verfassungsgerichtlichen Überprüfungsmöglichkeiten weiter zurückgenommen als in den Bereichen von Rechtsetzung und Normvollzug; das Grundgesetz vertraut insoweit in erster Linie auf das in Art. 68 GG selbst angelegte System der gegenseitigen politischen Kontrolle und des politischen Ausgleichs zwischen den beteiligten obersten Verfassungsorganen. Allein dort, wo verfassungsrechtliche Maßstäbe für politisches Verhalten normiert sind, kann das Bundesverfassungsgericht ihrer Verletzung entgegentreten.

4. Darf der aufgelöste Bundestag also über 900 Milliarden Euro entscheiden?

Rein formal betrachtet, ist der Bundestag auch nach seiner Auflösung geschäftsfähig und könnte eine Grundgesetzänderung mit Zweidrittelmehrheit beschließen. Allerdings sprechen gewichtige verfassungsrechtliche Bedenken dagegen:

  • Ein so weitreichender Beschluss widerspricht dem Demokratieprinzip, da der Bundestag nach seiner Auflösung nicht mehr die volle Repräsentativität besitzt.
  • Die Zweckbestimmung der Bundestagsauflösung würde unterlaufen, wenn der aufgelöste Bundestag noch Entscheidungen trifft, die die nächste Legislaturperiode binden.
  • Eine verfassungsrechtliche Anfechtung ist wahrscheinlich, und die Entscheidung könnte nachträglich durch das Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden.

Daher ist es aus verfassungsrechtlicher Sicht fragwürdig, ob der aufgelöste Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes in dieser Tragweite beschließen kann. Politisch und rechtlich geboten wäre es, die Entscheidung dem neuen Bundestag zu überlassen, der eine frische demokratische Legitimation durch die Neuwahlen besitzt.


Welche Alternativen gibt es?

Notlage-Beschluss nach Art. 115 GG zur Umgehung der Schuldenbremse

Die Schuldenbremse des Grundgesetzes (Art. 109 GG) könnte durch eine Notlage-Regelung gemäß Art. 115 GG umgangen werden. Dies würde die Aufnahme neuer Kredite ohne Grundgesetzänderung ermöglichen.

Voraussetzungen:

  • Der Bundestag stellt eine außergewöhnliche Notsituation fest, die sich der Kontrolle des Staates entzieht (z. B. sicherheitspolitische oder wirtschaftliche Bedrohung).
  • Zustimmung der Mehrheit der Bundestagsabgeordneten (keine Zweidrittelmehrheit erforderlich).
  • Schulden werden außerhalb des regulären Haushalts finanziert.

🔹 Vorteil: Schnelle Verabschiedung möglich, wenn eine Mehrheit gefunden wird.
🔹 Nachteil: Umgehung der Schuldenbremse ist umstritten und könnte vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden.

Art. 109 GG

(1) Bund und Länder sind in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig.
(2) Bund und Länder erfüllen gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin und tragen in diesem Rahmen den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung.
(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen. Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.
 

Art. 115 GG

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.
(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

Vorübergehende Finanzierung durch die KfW oder ESM

Die Bundesregierung könnte sich über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) finanzieren.

KfW-Kreditfinanzierung:

  • Die KfW könnte Bundesbürgschaften erhalten, um kurzfristig Mittel bereitzustellen.
  • Die Kredite könnten nachträglich durch ein parlamentarisches Gesetz in den Bundeshaushalt überführt werden.

ESM als Krisenmechanismus

  • Falls eine wirtschaftliche oder finanzielle Krise als Begründung dient, könnte der ESM als Finanzierungsquelle genutzt werden.
  • Dies wäre jedoch abhängig von EU-weiten politischen Entscheidungen.

🔹 Vorteil: Direkte Liquidität ohne langwierige Gesetzgebungsverfahren.
🔹 Nachteil: Langfristige Haushaltsplanung bleibt unklar, und es könnte eine spätere Verfassungsänderung erforderlich sein.


Überbrückungsregelung durch den neuen Bundestag mit vorläufigen Krediten

Falls die Finanzierung unmittelbar erforderlich ist, könnte die Bundesregierung mit kurzfristigen Staatsanleihen (z. B. einjährige Bundeswertpapiere) Liquidität schaffen.

  • Der neue Bundestag könnte nach der Wahl im Februar 2025 die endgültige Regelung beschließen.
  • Bis dahin könnte die Regierung mit kurzfristigen Liquiditätsmaßnahmen über die Deutsche Finanzagentur arbeiten.
  • Solche Anleihen könnten nachträglich durch eine verfassungsmäßige Lösung ersetzt werden.

🔹 Vorteil: Keine verfassungsrechtlichen Probleme, da keine Grundgesetzänderung erforderlich ist.
🔹 Nachteil: Vorübergehende Unsicherheit, da die langfristige Finanzierung noch zu klären wäre.


Welche Alternative ist die beste?

Wenn schnelles Handeln mit absoluter Zweckbindung notwendig ist, ohne eine verfassungswidrige Entscheidung durch den aufgelösten Bundestag, sind folgende Lösungen am sinnvollsten:

  1. Art. 115 GG-Notlagenbeschluss → Ermöglicht Schuldenaufnahme ohne Grundgesetzänderung.
  2. KfW-Kreditfinanzierung mit Staatsgarantie → Ermöglicht sofortige Liquidität.

Empfehlung an den alten und neuen Bundestag zur verfassungskonformen Umsetzung einer Kreditaufnahme für Verteidigung und Infrastruktur ohne Zweidrittelmehrheit

Angesichts der Notwendigkeit einer schnellen und verfassungskonformen Lösung zur Finanzierung von 900 Milliarden Euro für Verteidigung und Infrastruktur, sollte der Bundestag – sowohl der noch amtierende (aufgelöste) Bundestag als auch der kommende neu gewählte Bundestag – folgende Schritte beachten, um zügig, rechtssicher und zweckgebunden die erforderlichen Mittel bereitzustellen, ohne auf eine Grundgesetzänderung angewiesen zu sein.


Empfehlung an den alten Bundestag

Da der Bundestag aufgelöst, aber noch geschäftsfähig ist, sollte er keine weitreichenden Haushaltsentscheidungen treffen, sondern Maßnahmen vorbereiten, die der neue Bundestag ohne Zweidrittelmehrheit umsetzen kann.

A. Erklärung einer Notlage gemäß Artikel 115 GG

  • Der Bundestag kann mit einfacher Mehrheit eine außergewöhnliche Notlage feststellen (z. B. aufgrund geopolitischer Spannungen oder des massiven Investitionsstaus in der Infrastruktur).

  • Dies ermöglicht die Aussetzung der Schuldenbremse, sodass der neue Bundestag sofort Kredite aufnehmen kann.

  • Diese Erklärung wäre eine rechtliche Grundlage für eine spätere Kreditaufnahme, ohne dass der aufgelöste Bundestag bereits endgültige Entscheidungen trifft.

B. Vorbereitung eines Gesetzespakets für den neuen Bundestag

  • Ein Gesetzentwurf für einen kreditfinanzierten Sicherheits- und Infrastrukturfonds sollte ausgearbeitet werden, der ohne Grundgesetzänderung auskommt.

  • Statt eines Sondervermögens könnte ein Schattenhaushalt über ein gesetzlich festgelegtes Sonderkonto eingerichtet werden, das über normale Haushaltsgesetze finanziert wird.

  • Dadurch könnte der neue Bundestag sofort handeln, ohne eine Zweidrittelmehrheit aufbringen zu müssen.

C. Koordination mit dem Bundesrat zur schnellen Zustimmung

  • Da eine Grundgesetzänderung nicht möglich ist, muss der Bundesrat nur der normalen Kreditaufnahme zustimmen, sofern diese über Art. 115 GG oder durch eine andere gesetzliche Regelung erfolgt.

  • Möglich wäre auch eine vorläufige Bundesratsentscheidung nach Art. 81 GG (Gesetzgebungsnotstand), falls der neue Bundestag nicht sofort handlungsfähig ist.


Empfehlung an den neuen Bundestag

Da der neue Bundestag keine Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung hat, müssen alternative Wege zur Kreditaufnahme gewählt werden.

A. Nutzung der Notlagen-Regelung aus Art. 115 GG

  • Falls der alte Bundestag die Notlage bereits festgestellt hat, kann der neue Bundestag sofort Kredite aufnehmen, ohne die Schuldenbremse formal zu ändern.

  • Sollte die Notlage nicht erklärt worden sein, müsste der neue Bundestag dies als Erstmaßnahme tun, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden.

  • Diese Regelung erlaubt eine temporäre Schuldenaufnahme, die an einen bestimmten Zweck gebunden ist, ohne dass eine Grundgesetzänderung nötig wäre.

B. Einrichtung eines kreditfinanzierten Sonderkontos

  • Der Bundestag kann durch einfaches Gesetz ein Sonderkonto für Verteidigung und Infrastruktur einrichten, das durch den Bundeshaushalt finanziert wird.

  • Die Mittel könnten über reguläre Bundesanleihen beschafft werden, die vom Bundeshaushalt bedient werden.

  • Dieses Modell wurde in ähnlicher Weise für Krisenbewältigung genutzt (z. B. Wirtschaftsstabilisierungsfonds während der Corona-Pandemie).

C. Direkte Kreditaufnahme über die Deutsche Finanzagentur

  • Um Verzögerungen zu vermeiden, könnte der neue Bundestag per einfachem Gesetz beschließen, dass die Deutsche Finanzagentur sofortige Bundesanleihen ausgibt, die später durch reguläre Haushaltsmittel gedeckt werden.

  • Dies stellt sicher, dass die Regierung keine Monate auf die parlamentarische Abstimmung warten muss, sondern sofort handlungsfähig ist.

D. Einbindung europäischer Finanzierungsmechanismen (z. B. EIB, ESM)

  • Falls nötig, könnten über die Europäische Investitionsbank (EIB) oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) Zwischenfinanzierungen organisiert werden.

  • Diese Gelder könnten sofort bereitgestellt und später durch Bundesanleihen oder ein Haushaltsgesetz ersetzt werden.

3 Antworten

  1. […] Mehr unter: Sondervermögen mit aufgelöstem Bundestag – geht das? […]

  2. Andreas sagt:

    Wo lesen Sie konkret in BVerfGE 62, 1 heraus, dass der Btag nur in Ausnahmefällen legislative Funktionen haben kann?

    Wie kommen Sie zur Auffassung, dass der alte Bundestag nur geschäftsmäßig im Amt sei? Die BReg ist auch bis zur ersten Sitzung des neuen BTages nicht geschäftsführend im Amt, sondern regulär?

    Zweckbindung unterlaufen? Es ist doch die Aufgabe des BTages Gesetze zu beschließen, die auch über die Legislaturperiode hinausgehen und den beuen BTag zwangsläufig binden.

    • KorffAdmin2 sagt:

      Die Möglichkeit, dass ein bereits aufgelöster Bundestag noch grundlegende Entscheidungen trifft, insbesondere eine Änderung des Grundgesetzes, wirft schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken auf. Die Kombination aus Art. 39 GG und dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1, 2 GG) zeigt, dass ein solcher Vorgang umstritten sein muß:
      Gemäß Art. 39 Abs. 1 GG beträgt die Wahlperiode des Bundestages vier Jahre. Danach tritt der neu gewählte Bundestag zusammen und übernimmt die legislative Gewalt.
      • Sobald eine Neuwahl stattgefunden hat, ist der alte Bundestag politisch delegitimiert.
      • Der Wählerwille wurde durch eine neue Mehrheitsbildung manifestiert.
      • Eine Verzögerung der Konstituierung des neuen Bundestages kann nicht dazu genutzt werden, noch schnell weitreichende Entscheidungen zu treffen.
      Die geschäftsführende Rolle des alten Bundestages ist nur noch auf unaufschiebbare Maßnahmen beschränkt.
      Das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 1 und 2 GG besagt:
      • Alle Staatsgewalt geht vom Volk als Souverän aus.
      • Die Zusammensetzung des Bundestages bestimmt sich durch freie und gleiche Wahlen.
      • Ein alter Bundestag darf nicht mehr grundlegend in die Staatsordnung eingreifen, wenn der neue Bundestag bereits gewählt wurde.
      Ein solcher Eingriff kann als Missachtung des Wählerwillens gewertet werden und die Legitimität der repräsentativen Demokratie aushöhlen.
      Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts in der vergangenen Woche setzen sich nicht mit dieser Frage auseinander, sondern stellen nur fest, der Bundestag sein vollumfänglich handlungsfähig vor dem Hintergrund der gestellten Anträge – Schwerpunkt: Einberufung des Bundestages: BVerfG-Beschlüsse zur Einberufung des 20. Bundestages

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