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Kriegsdienstverweigerung bleibt grundrechtlich geschützt – Art. 4 GG

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Kriegsdienstverweigerung bleibt grundrechtlich geschützt – Art. 4 GG

Justicia ist blind- Unabhängigkeit

Der Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16. Januar 2025 (Az. 4 ARs 11/24) befasst sich mit der Auslieferung eines ukrainischen Staatsangehörigen, der den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert und befürchtet, nach seiner Rückkehr zum Militärdienst herangezogen zu werden. Der BGH entschied, dass die Auslieferung dennoch zulässig ist, wenn der ersuchende Staat völkerrechtswidrig angegriffen wurde und deshalb kein Recht zur Kriegsdienstverweigerung gewährleistet.

Siehe Details zum Urteil des BGH vom 16.1.2025

Dieses Urteil hat keine unmittelbare Auswirkung auf deutsche Staatsbürger, da es sich spezifisch auf die Auslieferung eines ausländischen Staatsangehörigen bezieht. Für deutsche Staatsbürger bleibt das in Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) verankerte Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen uneingeschränkt bestehen. Das Urteil ändert nichts an diesem verfassungsrechtlich garantierten Recht

Im Kriegsfall würde Artikel 4 Absatz 3 GG („Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“) weiterhin gelten.

Art. 4 GG

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

Allerdings ergeben sich im Kriegszustand oder bei einer Mobilmachung verschiedene rechtliche und praktische Konsequenzen:

1. Kriegsdienstverweigerung bleibt grundrechtlich geschützt

  • Individuelles Grundrecht: Deutsche Staatsbürger können auch im Kriegsfall den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, sofern sie dies aus Gewissensgründen tun.
  • Antragsverfahren: Sie müssten einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stellen. In Friedenszeiten erfolgt dies relativ unproblematisch, in einem Kriegsfall könnte das Verfahren aber erschwert oder beschleunigt werden.

2. Alternative Dienstpflichten im Verteidigungsfall (§ 12a GG, Wehrpflichtgesetz)

  • Zivildienst: Wer den Waffendienst verweigert, kann zum Ersatzdienst (z. B. Sanitätsdienst, Katastrophenschutz, Zivilschutz oder Rettungsdienst) verpflichtet werden.
  • Gesetzliche Grundlage: Im Verteidigungsfall kann nach Artikel 12a GG jeder deutsche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren zum zivilen oder militärischen Dienst verpflichtet werden.

Art. 12a GG

(1) Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.
(2) Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, kann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen. Das Nähere regelt ein Gesetz, das die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf und auch eine Möglichkeit des Ersatzdienstes vorsehen muß, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht.
(3) Wehrpflichtige, die nicht zu einem Dienst nach Absatz 1 oder 2 herangezogen sind, können im Verteidigungsfalle durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu zivilen Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung in Arbeitsverhältnisse verpflichtet werden; Verpflichtungen in öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind nur zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben oder solcher hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, die nur in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis erfüllt werden können, zulässig. Arbeitsverhältnisse nach Satz 1 können bei den Streitkräften, im Bereich ihrer Versorgung sowie bei der öffentlichen Verwaltung begründet werden; Verpflichtungen in Arbeitsverhältnisse im Bereiche der Versorgung der Zivilbevölkerung sind nur zulässig, um ihren lebensnotwendigen Bedarf zu decken oder ihren Schutz sicherzustellen.
(4) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden.
(5) Für die Zeit vor dem Verteidigungsfalle können Verpflichtungen nach Absatz 3 nur nach Maßgabe des Artikels 80a Abs. 1 begründet werden. Zur Vorbereitung auf Dienstleistungen nach Absatz 3, für die besondere Kenntnisse oder Fertigkeiten erforderlich sind, kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen zur Pflicht gemacht werden. Satz 1 findet insoweit keine Anwendung.
(6) Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an Arbeitskräften für die in Absatz 3 Satz 2 genannten Bereiche auf freiwilliger Grundlage nicht gedeckt werden, so kann zur Sicherung dieses Bedarfs die Freiheit der Deutschen, die Ausübung eines Berufs oder den Arbeitsplatz aufzugeben, durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Vor Eintritt des Verteidigungsfalles gilt Absatz 5 Satz 1 entsprechend.

3. Einschränkungen der Grundrechte im Kriegsfall (Art. 115c GG)

  • Notstandsverfassung: Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann der Bundestag Grundrechte einschränken.
  • Militärischer Zwangsdienst?: Eine Zwangsverpflichtung zum Waffendienst gegen das Gewissen wäre weiterhin unzulässig. Aber:
    • Ein schneller Entscheidungsprozess über die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer könnte eingeführt werden.
    • Es wäre denkbar, dass eine Berufung auf Kriegsdienstverweigerung genauer geprüft oder erschwert wird.

Art. 115c GG

(1) Der Bund hat für den Verteidigungsfall das Recht der konkurrierenden Gesetzgebung auch auf den Sachgebieten, die zur Gesetzgebungszuständigkeit der Länder gehören. Diese Gesetze bedürfen der Zustimmung des Bundesrates.
(2) Soweit es die Verhältnisse während des Verteidigungsfalles erfordern, kann durch Bundesgesetz für den Verteidigungsfall
1.
bei Enteignungen abweichend von Artikel 14 Abs. 3 Satz 2 die Entschädigung vorläufig geregelt werden,
2.
für Freiheitsentziehungen eine von Artikel 104 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 Satz 1 abweichende Frist, höchstens jedoch eine solche von vier Tagen, für den Fall festgesetzt werden, daß ein Richter nicht innerhalb der für Normalzeiten geltenden Frist tätig werden konnte.
(3) Soweit es zur Abwehr eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden Angriffs erforderlich ist, kann für den Verteidigungsfall durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates die Verwaltung und das Finanzwesen des Bundes und der Länder abweichend von den Abschnitten VIII, VIIIa und X geregelt werden, wobei die Lebensfähigkeit der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, insbesondere auch in finanzieller Hinsicht, zu wahren ist.
(4) Bundesgesetze nach den Absätzen 1 und 2 Nr. 1 dürfen zur Vorbereitung ihres Vollzuges schon vor Eintritt des Verteidigungsfalles angewandt werden.

4. Konsequenzen bei fehlender Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer

  • Wer nicht rechtzeitig als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wird und sich dem Wehrdienst verweigert, könnte strafrechtliche Konsequenzen nach dem Wehrstrafgesetz (§ 16 WStG – Fahnenflucht, § 21 WStG – Ungehorsam) befürchten.
  • Flucht ins Ausland? Dies könnte je nach Gesetzeslage als Desertion oder als Entziehung vom Wehrdienst verfolgt werden.

Artikel 4 Absatz 3 GG schützt auch im Kriegsfall die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Allerdings könnten Verfahren zur Anerkennung strenger oder schneller abgewickelt werden. Alternativ müsste der Verweigerer einen zivilen Ersatzdienst leisten. Wer sich ohne Anerkennung verweigert, könnte bestraft werden.


Welcher Zusammenhang besteht damit zwischen Art. 4 GG, Art. 79 GG und Art. 115c GG im Kriegsfall?

1. Art. 4 GG als unveränderliches Grundrecht (Art. 79 Abs. 3 GG)

Artikel 4 Abs. 3 GG garantiert das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Dieses Grundrecht gehört zum Schutzbereich der Menschenwürde (Art. 1 GG) sowie zur Glaubens- und Gewissensfreiheit. Damit unterliegt es dem Ewigkeitsvorbehalt des Art. 79 Abs. 3 GG:

  • Art. 79 Abs. 3 GG besagt, dass eine Änderung des Grundgesetzes unzulässig ist, soweit sie die in Art. 1 und Art. 20 GG verankerten Prinzipien berührt.
  • Da die Gewissensfreiheit ein zentrales Menschenrecht ist, kann Art. 4 Abs. 3 GG nicht durch eine Grundgesetzänderung abgeschafft oder eingeschränkt werden – selbst im Verteidigungsfall nicht.

2. Art. 115c GG: Einschränkungen von Grundrechten im Verteidigungsfall

Nach Art. 115c Abs. 1 GG kann im Verteidigungsfall (also im Krieg) das Grundgesetz bestimmte Einschränkungen von Grundrechten zulassen, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu gewährleisten. Dies betrifft insbesondere:

  • Art. 12a GG (Wehrpflicht): Die allgemeine Wehrpflicht kann aktiviert werden.
  • Art. 12 GG (Berufsfreiheit): Zwangsverpflichtungen zu zivilen Diensten sind möglich.
  • Art. 10 GG (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis): Kommunikation kann überwacht werden.
  • Art. 5 GG (Meinungsfreiheit): Zensur kann in bestimmten Fällen verhängt werden.

Jedoch darf Art. 4 Abs. 3 GG nicht aufgehoben oder faktisch außer Kraft gesetzt werden, da er durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützt ist.

3. Was ist im Verteidigungsfall dennoch möglich?

Obwohl das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung bestehen bleibt, könnten staatliche Maßnahmen darauf abzielen, die Anerkennungspraxis zu verändern oder zu beschleunigen:

  • Schnelle Verfahren: Die Regierung könnte durch Notstandsgesetze regeln, dass Kriegsdienstverweigerer ihre Gewissensentscheidung unmittelbar und mit Belegen nachweisen müssen, um Missbrauch zu verhindern.
  • Alternative Dienstpflicht: Kriegsdienstverweigerer könnten umgehend in zivile Ersatzdienste eingezogen werden, ohne lange Entscheidungsprozesse.
  • Strengere Prüfungen: Es wäre denkbar, dass die Kriterien zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer enger gefasst werden, solange dies nicht faktisch einer Abschaffung gleichkommt.

4. Konsequenzen für deutsche Staatsbürger im Kriegsfall

  • Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen bleibt garantiert.
  • Eine Verpflichtung zu Ersatzdiensten (Sanitätsdienst, Katastrophenschutz etc.) wäre zulässig.
  • Flucht vor dem Dienst könnte als Fahnenflucht gewertet werden, falls keine anerkannte Verweigerung vorliegt.

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