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Streik an deutschen Flughäfen – Einordnung

Arbeitsrecht – Erbrecht - Schulrecht

Streik an deutschen Flughäfen – Einordnung

Reisen

Die Gewerkschaft ver.di hat für Montag, den 10. März 2025, zu ganztägigen Warnstreiks an 13 deutschen Flughäfen aufgerufen. Diese Arbeitsniederlegungen begannen um Mitternacht und sollen 24 Stunden andauern. Betroffen sind die Flughäfen in Frankfurt, München, Berlin-Brandenburg, Düsseldorf, Köln/Bonn, Stuttgart, Hamburg, Hannover, Bremen, Dortmund, Leipzig/Halle, Weeze und Karlsruhe/Baden-Baden.bild.de+9tagesschau.de+9br.de+9welt.de+4adac.de+4welt.de+4

Bereits am Sonntag, dem 9. März 2025, kam es zu einem unangekündigten Streik am Flughafen Hamburg, der zu erheblichen Beeinträchtigungen führte.tagesschau.de+3tagesschau.de+3bild.de+3

Ver.di fordert in den Tarifverhandlungen unter anderem eine Lohnerhöhung von acht Prozent oder mindestens 350 Euro mehr pro Monat sowie drei zusätzliche freie Tage. Die Arbeitgeber haben bisher kein konkretes Angebot vorgelegt.reuters.com+3tagesschau.de+3


Das deutsche Streikrecht: Grundlagen und rechtliche Rahmenbedingungen

Das Streikrecht ist ein essenzieller Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts und ein fundamentales Instrument zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen. Doch unter welchen Bedingungen dürfen Arbeitnehmer streiken, welche rechtlichen Vorgaben gelten und welche Auswirkungen hat ein Streik?

BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991 – 1 BvR 779/85

1. Die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) gilt für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sie schützt auch die Koalitionen in ihrem Bestand und ihrer Betätigung zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Soweit die Verfolgung des Koalitionszwecks von dem Einsatz bestimmter Mittel abhängt, werden auch diese vom Schutz des Grundrechts umfaßt.

2. Zu den durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Mitteln zählen auch Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluß von Tarifverträgen gerichtet sind. Sie werden insoweit von der Koalitionsfreiheit erfaßt, als sie allgemein erforderlich sind, um eine funktionierende Tarifautonomie sicherzustellen. Der Schutz umfaßt unter den gegebenen Verhältnissen jedenfalls Aussperrungen mit suspendierender Wirkung, die in Abwehr von Teil- oder Schwerpunktstreiks der Herstellung der Verhandlungsparität dienen.

3. Die Koalitionsfreiheit kann zum Schutz von Grundrechten Dritter und anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechte eingeschränkt werden. Darüber hinaus bedarf sie der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung, soweit das Verhältnis der Tarifvertragsparteien zueinander berührt wird.

4. Eine Beschränkung von Arbeitskampfmaßnahmen, die das Ziel der Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts bei Tarifauseinandersetzungen (Verhandlungsparität) verfolgt, ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. Aussperrungen zur Abwehr von begrenzten Teil- oder Schwerpunktstreiks können daher nach Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit beschränkt werden.

5. Das Bundesarbeitsgericht hat nicht dadurch gegen die Verfassung (Art. 9 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen, daß es die maßgeblichen Grundsätze des Arbeitskampfrechts entwickelt hat, ohne sich auf ein gesetzliches Regelungssystem stützen zu können.

1. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Streikrechts

Das Streikrecht leitet sich in Deutschland aus Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz (GG) ab, der die Koalitionsfreiheit schützt. Diese schützt das Recht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich zu Vereinigungen zusammenzuschließen, um ihre Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen kollektiv zu regeln.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mehrfach entschieden, dass das Streikrecht als Teil der kollektiven Koalitionsfreiheit zu verstehen ist und damit Verfassungsrang genießt (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – siehe oben).

2. Voraussetzungen eines rechtmäßigen Streiks

In Deutschland gibt es kein gesetzlich kodifiziertes Streikrecht. Die rechtlichen Vorgaben beruhen vor allem auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Damit ein Streik rechtmäßig ist, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

  1. Tarifliche Zielsetzung
    Ein Streik ist nur zulässig, wenn er auf den Abschluss eines Tarifvertrages abzielt. Politische Streiks oder Sympathiestreiks (Solidaritätsstreiks) sind nach deutschem Arbeitsrecht grundsätzlich unzulässig.

  2. Führung durch eine tariffähige Gewerkschaft
    Nur eine anerkannte Gewerkschaft darf zum Streik aufrufen. „Wilde Streiks“, die ohne gewerkschaftliche Organisation erfolgen, sind unzulässig.

  3. Ausschöpfung der Verhandlungen
    Ein Streik ist erst dann zulässig, wenn die Tarifverhandlungen gescheitert sind und keine Einigung erzielt wurde. Meist wird eine Schlichtung als letzter Vermittlungsversuch vorgeschaltet.

  4. Verhältnismäßigkeit
    Der Streik muss ein angemessenes Mittel zur Durchsetzung der Forderungen sein und darf nicht unverhältnismäßig in die Rechte Dritter eingreifen.

  5. Einhaltung des Friedensgebots
    Während der Laufzeit eines Tarifvertrages gilt die sogenannte Friedenspflicht. In dieser Zeit sind Streiks in Bezug auf tariflich geregelte Themen unzulässig.

3. Folgen eines Streiks für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Für Arbeitnehmer:

  • Die Teilnahme am rechtmäßigen Streik ist erlaubt und darf nicht arbeitsrechtlich sanktioniert werden.
  • Während des Streiks entfällt jedoch der Anspruch auf Lohn, es sei denn, die Gewerkschaft zahlt Streikgeld an ihre Mitglieder.

Für Arbeitgeber:

  • Arbeitgeber dürfen keine Ersatzkräfte („Streikbrecher“) einsetzen, um die bestreikten Tätigkeiten fortzuführen.
  • Sie können jedoch Arbeitnehmer aussperren, was bedeutet, dass sie diese von der Arbeit ausschließen und ebenfalls keinen Lohn zahlen.

4. Besondere Situationen: Streiks im öffentlichen Dienst und an Flughäfen

Im öffentlichen Dienst, insbesondere bei sicherheitsrelevanten Berufen (Polizei, Feuerwehr, Justiz), gilt ein Streikverbot. In Bereichen der Daseinsvorsorge (z. B. Bahn, Flughäfen, Krankenhäuser) müssen bestimmte Notdienste sichergestellt werden.

 


Verhältnismäßigkeit von Streiks nach den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts (BAG)

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) legt in seiner Rechtsprechung strenge Maßstäbe an die Verhältnismäßigkeit eines Streiks an. Ein Streik ist nur dann rechtmäßig, wenn er ein geeignetes, erforderliches und angemessenes Mittel zur Durchsetzung tariflicher Forderungen darstellt.

1. Geeignetheit des Streiks

Der Streik muss objektiv geeignet sein, das angestrebte tarifliche Ziel zu erreichen. Dies ist der Fall, wenn er Druck auf die Arbeitgeberseite ausübt, um Verhandlungen zu einem Tarifvertrag zu beeinflussen.

2. Erforderlichkeit des Streiks

Ein Streik darf nur durchgeführt werden, wenn mildere Mittel, wie Verhandlungen oder Schlichtungen, ausgeschöpft wurden oder nicht zielführend erscheinen.

3. Angemessenheit des Streiks (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)

Ein Streik ist unangemessen, wenn der Schaden für Arbeitgeber und Dritte (z. B. Reisende, Unternehmen) außer Verhältnis zum Nutzen der Arbeitnehmer steht. Dabei spielen folgende Faktoren eine Rolle:

  • Dauer und Intensität des Streiks: Ein kurzer Warnstreik ist eher verhältnismäßig als ein unbefristeter Generalstreik.
  • Auswirkungen auf unbeteiligte Dritte: Besonders relevant ist dies in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge (z. B. Flughäfen, Bahnen, Gesundheitswesen).
  • Verhältnismäßigkeit der Forderungen: Die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers wird einbezogen.

Beurteilung des aktuellen Flughafenstreiks vom 9. und 10. März 2025

Geeignetheit

Der Streik ist geeignet, da er erheblichen Druck auf die Arbeitgeberseite ausübt. Flughäfen sind zentrale Knotenpunkte, und ein Streik führt zu wirtschaftlichen Verlusten für Airlines, Flughafenbetreiber und Reiseunternehmen.

Erforderlichkeit

Hier gibt es einen kritischen Punkt:

  • Ver.di fordert eine Lohnerhöhung um 8 % oder mindestens 350 Euro mehr pro Monat sowie drei zusätzliche freie Tage.
  • Die Arbeitgeber haben bislang kein Angebot vorgelegt, was auf eine festgefahrene Verhandlungssituation hindeutet.
  • Ein Streik kann erforderlich sein, wenn die Arbeitgeberseite keine ausreichende Verhandlungsbereitschaft zeigt.

Angemessenheit

  • Der 24-Stunden-Warnstreik ist ein starkes Mittel, das jedoch noch nicht in den Bereich eines unverhältnismäßigen „Dauerstreiks“ fällt.
  • Betroffene Dritte (Reisende) erleiden erhebliche Nachteile, da Flüge gestrichen oder umgebucht werden müssen.
  • Flughäfen sind keine klassischen Einrichtungen der Daseinsvorsorge wie Krankenhäuser oder Polizei, dennoch haben die Streiks massive Auswirkungen auf Wirtschaft und Mobilität.

Verhältnismäßig, aber an der Grenze

  • Der Streik erfüllt die Voraussetzungen der Geeignetheit und Erforderlichkeit, da die Verhandlungen festgefahren scheinen.
  • Die Angemessenheit ist diskutabel, weil viele Unbeteiligte betroffen sind. Da es sich jedoch um einen zeitlich begrenzten Warnstreik handelt und keine unbefristete Streikmaßnahme, dürfte er nach den Grundsätzen des BAG noch verhältnismäßig sein.
  • Sollte sich der Streik über mehrere Tage erstrecken oder ohne weitere Verhandlungen eskalieren, könnte die Verhältnismäßigkeit infrage gestellt werden.

Auswirkungen des Ferienbeginns auf die Verhältnismäßigkeit des Streiks

Der Beginn der Schulferien ist ein wesentlicher Faktor bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Streiks, insbesondere wenn es um den Luftverkehr geht. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Rechtsprechung betont, dass die Auswirkungen eines Streiks auf unbeteiligte Dritte bei der Abwägung berücksichtigt werden müssen (BAG, Urteil vom 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06):

Leitsätze:

1. Gewerkschaftliche Streiks, die der Unterstützung eines in einem anderen Tarifgebiet geführten Hauptarbeitskampfs dienen, unterfallen der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften.

2. Die Zulässigkeit eines Unterstützungsstreiks richtet sich – wie bei anderen Arbeitskampfmaßnahmen – nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Er ist rechtswidrig, wenn er zur Unterstützung des Hauptarbeitskampfs offensichtlich ungeeignet, offensichtlich nicht erforderlich oder unangemessen ist.

1. Geänderte Bewertung der Angemessenheit

Ein Streik ist unangemessen, wenn der verursachte Schaden außer Verhältnis zum erzielten Nutzen steht. Im vorliegenden Fall sind die Auswirkungen durch den Ferienbeginn erheblich verstärkt:

  • Spontanstreik am Samstag in Hamburg:
    Der unerwartete Streik führte dazu, dass viele Reisende ohne Vorwarnung nicht fliegen konnten. Da keine Ersatzflüge bereitstanden, mussten Familien ihre Urlaubspläne teilweise komplett aufgeben.
  • Flächendeckender Streik am Montag:
    Die Streikmaßnahme an 13 Flughäfen verschärft die Lage weiter. Gerade in den Ferien gibt es nur begrenzte Kapazitäten für Ersatzflüge.

Das BAG betont in seiner Rechtsprechung, dass Streiks nicht unverhältnismäßig in Grundrechte Dritter eingreifen dürfen. Im konkreten Fall wird das Recht auf freie Mobilität erheblich beeinträchtigt.

2. Besondere Schutzpflicht des Staates für Reisende

Der Staat hat laut Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 1991 – 1 BvR 779/85 – siehe Leitsätze oben) eine Schutzpflicht gegenüber Bürgern, wenn Streikmaßnahmen in existenzieller Weise in ihre Rechte eingreifen. Zwar sind Reise- und Urlaubsrechte keine Grundrechte, jedoch fällt eine erhebliche wirtschaftliche Belastung (z. B. verlorene Reisebuchungen) ins Gewicht.

3. Verhältnismäßigkeit fraglich

Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Ferienbeginns ist der Streik problematisch:

Geeignetheit: Ja, der Streik übt Druck auf die Arbeitgeber aus.
Erforderlichkeit: Ja, da die Arbeitgeber bislang kein Angebot vorgelegt haben.
Angemessenheit: Fraglich, da die negative Wirkung auf Familien und unbeteiligte Reisende erheblich ist.

Da der Streik unangekündigt am Samstag begann und heute fortgesetzt wird, könnte er die Verhältnismäßigkeitsgrenze überschreiten. Wenn eine Gewerkschaft eine besonders sensible Zeit wählt, ohne Notfallmaßnahmen sicherzustellen, kann ein Streik als rechtswidrig eingestuft werden.

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