Verbreiten Faktenchecker die Unwahrheit?

Die NZZ titelt am 18.1.2025: Wie Faktenchecker die Unwahrheit verbreiten und die Debatte vergiften
Ausgelöst wird die Debatte in Deutschland durch die Ankündigung vom Mark Zuckerberg, den Faktencheck auf Facebook in den USA einzustellen. Faktenchecks bieten mittlerweile alle Medien in Deutschland in Beiträgen oder besonderen Redaktionen an, und der Normalbürger fragt sich, was der Unterschied zwischen Faktenchecker und Journalisten ist, wer Meinung und wer Tatsachen verbreitet und ob Faktenchecks tatsächlich das Vertrauen in mediale Berichterstattung steigert?
Die öffentliche Aufgabe von Journalisten im Sinne von Art. 5 GG
Journalismus ist nicht nur ein Beruf, sondern eine zentrale Säule der demokratischen Gesellschaft. Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit und legt damit den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Arbeit der Medien. Aus diesem Grundrecht erwächst eine besondere Verantwortung der Journalisten, ihre öffentliche Aufgabe mit höchster Sorgfalt und Integrität wahrzunehmen. Im Kern geht es um die Gewährleistung einer informierten Gesellschaft, die auf der Grundlage verlässlicher und wahrheitsgemäßer Informationen Entscheidungen treffen kann.
1. Der verfassungsrechtliche Auftrag
Die Pressefreiheit nach Art. 5 GG schützt Journalisten bei ihrer Arbeit vor staatlicher Einflussnahme. Doch diese Freiheit ist untrennbar mit einer Verpflichtung verbunden: Die Medien tragen eine Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit, die sie durch saubere Recherche und korrekte Berichterstattung erfüllen müssen. Die Aufgabe der Medien ist es, nicht nur Meinungen zu verbreiten, sondern auch Fakten zu prüfen, zu berichten und einzuordnen.
Eine demokratische Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass ihre Bürger Zugang zu geprüften und glaubwürdigen Informationen haben. Die Medien sind daher Mittler zwischen der Realität und der Gesellschaft. Sie müssen sicherstellen, dass Tatsachenbehauptungen fundiert und nachvollziehbar sind.
2. Die Pflicht zur Faktenprüfung
Faktenprüfung ist kein optionaler Bestandteil journalistischer Arbeit, sondern ein unverzichtbares Grundprinzip. Tatsachenbehauptungen, die unüberprüft verbreitet werden, gefährden nicht nur die Glaubwürdigkeit der Medien, sondern auch die demokratische Diskussionskultur. Journalisten können diese Aufgabe nicht an externe Faktenchecker delegieren, da sie selbst in der Verantwortung stehen, die Wahrheit ihrer Berichterstattung zu gewährleisten.
Die Verpflichtung zur Faktenprüfung umfasst:
- Quellenkritik: Jede Information muss auf ihre Herkunft, Plausibilität und Seriosität hin überprüft werden.
- Recherche: Journalisten sind verpflichtet, Informationen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zu validieren.
- Verantwortung: Die Verbreitung von Unwahrheiten, auch unbeabsichtigt, kann erhebliche gesellschaftliche Schäden verursachen.
3. Die Bedeutung für die Gesellschaft
Eine informierte Gesellschaft ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie. Journalisten tragen durch ihre Arbeit dazu bei, dass Bürger politische Entscheidungen fundiert treffen können, Missstände aufgedeckt werden und die öffentliche Meinungsbildung auf einer soliden Faktenbasis erfolgt.
Indem Journalisten ihrer Pflicht zur Faktenprüfung nachkommen, stärken sie das Vertrauen in die Medien. Dieses Vertrauen ist unerlässlich, um Manipulationen, Fake News und Desinformationen entgegenzuwirken.
4. Die Unabdingbarkeit journalistischer Verantwortung
Die zunehmende Verbreitung von Fehlinformationen, insbesondere in sozialen Medien, hat die öffentliche Rolle der Journalisten weiter hervorgehoben. Während Faktenchecker eine unterstützende Funktion übernehmen können, bleibt die Hauptverantwortung bei den Journalisten. Sie dürfen ihre Aufgabe, die Wahrheit zu suchen und zu berichten, nicht auslagern.
Ein verantwortungsvoller Journalismus im Sinne von Art. 5 GG bedeutet daher:
- Unabhängigkeit: Keine Einflussnahme von staatlicher oder wirtschaftlicher Seite.
- Integrität: Berichterstattung, die ausschließlich den Fakten verpflichtet ist.
- Nachvollziehbarkeit: Transparenz in der Recherche und Quellenangabe, um die Glaubwürdigkeit zu erhöhen.
Ist die Kritik der NZZ berechtigt und welche Belege werden angeführt?
Die NZZ zitiert aus zwei Gerichtentscheidungen zu Facebook. DPA als Faktenchecker:
Auch hier fällt das Fazit des Gerichts vernichtend für die Faktenprüfer aus. «Die Behauptungen des Faktenprüfers im verlinkten Artikel sind bereits unwahr», schreibt es. Der Beitrag der «Achse des Guten» beziehe sich nicht auf diese Grafik, sie werde «im Artikel nicht einmal erwähnt». Wenn der Faktenprüfer also behaupte, dass der Ausgangsartikel aufgrund einer Grafik bestimmte Schlüsse ziehe, dann sei das «bereits objektiv falsch». Auch diesen Warnhinweis untersagte das Gericht Facebook.
Das Oberlandesgericht verbot Facebook die Verbreitung dieses Faktenchecks. Der genaue Wortlaut ist für Facebook, insbesondere aber für Correctiv vernichtend. Der Begriff Faktenprüfung lege nahe, schrieb das Gericht, «dass Tatsachenangaben innerhalb des Beitrags» geprüft würden. Aber die beanstande Correctiv im Kern gar nicht. Es befasse sich stattdessen mit Werturteilen. Diese aber könnten «nicht Gegenstand einer Faktenprüfung» sein. Mit anderen Worten: Der Vorwurf von Correctiv, der Beitrag sei «irreführend», traf vor allem auf seinen eigenen Faktencheck zu.
factchecking von dpa und Faktenfinder der ARD – 2 Beispiele für Faktenchecker
dpa über sich selbst:
Der russische Krieg gegen die Ukraine, Corona-Pandemie und Migration: Verschwörungsmythen und gezielte Desinformations-Kampagnen stellen die Medien vor neue, große Herausforderungen. Lügen und Irrtümer sind weit verbreitet. Sie haben das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten und die Demokratie zu gefährden.
Als unabhängige Nachrichtenagentur und Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Medien sehen wir es als unsere Aufgabe, Standards im Bereich Factchecking zu etablieren und zu vermitteln. Unser Ziel ist es, das Format Faktencheck journalistisch voranzutreiben und damit den besorgniserregenden gesellschaftlichen Entwicklungen etwas entgegenzusetzen.
Wir haben eine eigenständige Faktencheck-Redaktion, die gezielt mögliche Falschbehauptungen überprüft und professionelle Faktenchecks erstellt. Die Redaktion entscheidet selbst über die Publikation – ohne redaktionelle Einflussnahme von außen.
Zum dpa-factchecking für Deutschland
Was passiert, wenn Faktenchecken oder scheinbar faktenbasierter Journalismus schief läuft?
Dazu die NZZ:
Wenn sie falschliegen, dann nimmt die Diskussion selbst Schaden. Schlimmstenfalls sogar die Wertschätzung von Fakten beim Publikum. Wer Schindluder mit Tatsachen betreibt, muss sich nicht wundern, wenn sie am Ende keiner mehr glauben will. Natürlich sind viele Faktenprüfungen korrekt. Aber schon einige wenige fehlerhafte entfalten eine verheerende Wirkung.
Die ARD – hier der rbb – publiziert seit 19.1.2025 folgenden Text:

Brandenburg Berlin In eigener Sache: Stellungnahme zu den Recherchen zur Person Gelbhaar
Zu den Recherchen rund um den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar nimmt der rbb wie folgt Stellung:
„Uns ist als rbb in der Recherche ein Fehler unterlaufen. Journalistische Standards sind nicht vollumfänglich eingehalten worden. Die hinter der eidesstattlichen Versicherung liegende Identität ist von der Redaktion nicht ausreichend überprüft worden. Betrügerische Absicht und die kriminelle Energie, mit der unter großem Aufwand eine falsche Identität vorgespiegelt worden ist, haben dazu beigetragen, dass dieser Fehler geschah. Wir haben dies in unserer Berichterstattung am Freitag öffentlich gemacht“, sagt rbb-Chefredakteur Dr. David Biesinger.
Die Journalisten des rbb haben in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass sie mit Fehlern des eigenen Hauses journalistisch und transparent umgehen. Das gilt selbstverständlich auch für den Fall, dass die Sorgfalt der Arbeit der Redaktion infrage steht:
- Der rbb hat transparent über die offenbar nichtexistierende Anne K. berichtet.
- Die verantwortliche Redaktion hat sich in einem journalistisch geführten, kritischen Interview gestellt, unter anderem in unserer Hauptnachrichtensendung.
- Wir haben alle auf den Aussagen von Frau K. beruhenden Berichte von der Website genommen.
- Wir haben Strafanzeige gegen die Person gestellt, die nach unseren Recherchen die falschen Erklärungen abgegeben hat.
Einige der Fragen, die nun im Raum stehen, stellen sich auch für den rbb selbst. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Derzeit analysiert der rbb den Ablauf detailliert und wird notwendige Ableitungen der Nichteinhaltung journalistischer Standards für die Zukunft daraus ziehen.
Hat die NZZ in ihrem Artkel also recht, wenn sie Faktencheckern einen Beitrag zur Vergiftung der öffentlichen Debatte zuschreibt?
Journalisten können sich nicht hinter Faktenchecks verstecken. Die öffentliche Aufgabe von Journalisten besteht darin, die Gesellschaft durch präzise und fundierte Berichterstattung zu informieren. Art. 5 GG verleiht ihnen die Freiheit, dies ohne äußeren Druck zu tun, und verpflichtet sie zugleich zur verantwortungsvollen Ausübung ihres Berufs. Faktenprüfung ist dabei kein separater Prozess, sondern Kernbestandteil journalistischer Arbeit. Nur durch eine konsequente Wahrung dieser Standards können Journalisten ihrer demokratischen Verantwortung gerecht werden und einen unverzichtbaren Beitrag zur Meinungsbildung und Stabilität unserer Gesellschaft leisten.