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Der VW-Dieselskandal – Urteile

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Der VW-Dieselskandal – Urteile

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Am 26. Mai 2025 fällte das Landgericht Braunschweig ein Urteil im langjährigen Strafprozess gegen vier ehemalige Führungskräfte der Volkswagen AG im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal. Die Angeklagten wurden wegen Betrugs im Zusammenhang mit der Manipulation von Abgaswerten bei Dieselfahrzeugen verurteilt. Zwei der Angeklagten erhielten mehrjährige Haftstrafen, während zwei weitere zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden.


Hintergrund:

Im September 2015 deckte die US-Umweltbehörde EPA auf, dass Volkswagen in zahlreichen Dieselmodellen eine Software installiert hatte, die Abgastests manipulierte. Diese sogenannte „Defeat Device“-Software erkannte, wenn ein Fahrzeug auf einem Prüfstand getestet wurde, und reduzierte die Emissionen entsprechend. Im normalen Fahrbetrieb stießen die Fahrzeuge jedoch deutlich mehr Schadstoffe aus als erlaubt. Insgesamt waren weltweit etwa elf Millionen Fahrzeuge betroffen.


Die Verurteilungen im Detail

Nach fast vier Jahren Verhandlungsdauer verurteilte die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Braunschweig vier ehemalige VW-Manager wegen Betrugs:(ZDF)

  • Der frühere Leiter der Dieselmotoren-Entwicklung wurde zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.(Manager Magazin)

  • Der ehemalige Leiter der Hauptabteilung Antriebselektronik erhielt eine Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.

  • Ein ehemaliger Entwicklungsvorstand der Marke Volkswagen wurde zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.(Focus)

  • Ein weiterer früherer Abteilungsleiter erhielt eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten maßgeblich an der Entwicklung und Implementierung der manipulativen Software beteiligt waren und somit bewusst die Behörden und Kunden täuschten.


Der Fall Martin Winterkorn

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende von Volkswagen, Martin Winterkorn, war ursprünglich ebenfalls angeklagt. Ihm werden gewerbsmäßiger Betrug, Marktmanipulation und uneidliche Falschaussage vorgeworfen. Der Prozess gegen ihn wurde jedoch mehrfach verschoben und schließlich im Oktober 2024 aufgrund gesundheitlicher Probleme ausgesetzt. Ein medizinisches Gutachten bescheinigte ihm eine vorübergehende Verhandlungsunfähigkeit. Eine Fortsetzung des Verfahrens wird frühestens für das erste Quartal 2025 geprüft.(DIE WELT)

Die Verurteilungen markieren sind eine juristische Aufarbeitung des VW-Dieselskandals. die Fragen zur Verantwortlichkeit auf höchster Unternehmensebene bleiben scheinbar offen.



„Dieselgate“ steht für die vielfach kritisierte selektive strafrechtliche Aufarbeitung von Wirtschaftsskandalen in Deutschland?

Das Problem der Hierarchie im Wirtschaftsstrafrecht

Im Fall VW wurde das Augenmerk der Ermittlungen zwar offiziell auf alle verantwortlichen Führungsebenen gerichtet, doch tatsächlich kam es – wie in vielen vergleichbaren Fällen – zu Verurteilungen auf der mittleren Managementebene. Es ist juristisch und kriminalpolitisch bemerkenswert, dass Personen mit nachgewiesenem operativen Handeln, aber ohne letzte Richtlinienkompetenz oder strategische Entscheidungsgewalt, am Ende zu Freiheitsstrafen verurteilt wurden, während diejenigen, die das Unternehmen steuerten oder mit direkter Verantwortung für Produktstrategie und Compliance betraut waren, nicht belangt wurden oder Verfahren (wie bei Winterkorn oder auch anderen Top-Funktionären) ausgesetzt wurden.

Wer ist Heinz-Jakob Neußer – und wer ist Jens Hadler oder Frank Tuch?

Die verurteilten Personen – darunter z.B. der frühere Leiter der Dieselmotorenentwicklung Heinz-Jakob Neußer – hatten technisch-organisatorisch erheblichen Einfluss. Doch ihre Funktion war typischerweise ausführend innerhalb vorgegebener Zielvorgaben – insbesondere der sog. „US-Strategie 2018“, die VW-Diesel in den USA durchsetzen sollte. Diese Vorgabe war politisch-strategisch vom damaligen Markenvorstand und unternehmenspolitisch vom Gesamtvorstand abgesegnet worden. Dazu zählten neben Martin Winterkorn auch Markenvorstände wie Christian Klingler, Ulrich Hackenberg und Michael Horn – letzterer war von 2014 bis 2016 CEO von Volkswagen USA.

Warum wurde Michael Horn nicht belangt?

Michael Horn, als damaliger US-Chef von Volkswagen, war sowohl für den operativen Marktauftritt als auch für die Kommunikation mit der US-Umweltbehörde EPA verantwortlich. In einem später bekannt gewordenen Statement sagte er im US-Kongress:

„This was not a corporate decision. We had a couple of software engineers who put this in for whatever reasons.“
(Aussage vor dem US-Repräsentantenhaus im Oktober 2015)

Diese Äußerung wurde vielfach als bewusste Irreführung bewertet. Dennoch wurde Horn weder in den USA noch in Deutschland strafrechtlich belangt. Gründe dafür:

  • Kooperationsbereitschaft mit US-Behörden: Horn zeigte sich öffentlich kooperativ und trat 2016 zurück. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde offenbar – jedenfalls öffentlich – nicht weiter verfolgt.

  • Beweisprobleme und Hierarchiestrukturen: In Wirtschaftsstrafverfahren ist es oft schwer, den „Vorsatz“ auf Top-Level-Ebene konkret nachzuweisen, insbesondere wenn keine schriftlichen Anweisungen vorliegen. Juristisch fehlt häufig der sichere Beweis, dass jemand persönlich von der konkreten Manipulation wusste oder sie anordnete.

  • Strafrechtliche Verjährung und politischer Druck: In Deutschland wurde gegen zahlreiche weitere Führungspersonen ursprünglich ermittelt, aber die Verfahren wurden aus Mangel an Beweisen oder wegen Verjährung eingestellt oder gar nicht zur Anklage gebracht. In den USA gab es Vergleiche (z. B. mit dem DOJ), bei denen individuelle Haftungsverfolgung teils ausgeschlossen wurde.

Strafrechtliches Dilemma: „Compliance by scapegoat“

Die juristische und politische Lehre daraus: Das deutsche Wirtschaftsstrafrecht läuft strukturell Gefahr, sich auf die „durchführende“ Ebene zu konzentrieren – d. h. Personen, die zwar objektiv rechtswidrig gehandelt haben, aber in einem organisatorischen Kontext unter Druck standen oder Weisungen folgten. Das führt zu einem Problem:

  • Die „organisatorischen Täter“, die systematisch Kontrolle und Anreizsysteme so gestalten, dass Rechtsbrüche gefördert werden, bleiben oftmals unbehelligt.

  • Unternehmen zahlen Milliardenbußen (wie VW in den USA), aber das individuelle Unrecht bleibt diffus verteilt.

 

Die fehlende Anklage oder Verurteilung von Personen wie Michael Horn oder anderen Vorstandsmitgliedern nährt Zweifel an der gleichmäßigen Durchsetzung von Strafrecht im Wirtschaftsbereich. Das Prinzip der Verantwortung nach § 14 StGB („Handeln für ein Unternehmen“) verlangt eindeutige und belastbare Nachweise für vorsätzliches Fehlverhalten – doch gerade in Konzernstrukturen bleiben diese oft schwer greifbar.

Die Frage, ob hier „die Falschen verurteilt“ wurden, ist nicht trivial. Vielmehr zeigt sich ein strukturelles Vollzugsdefizit des Wirtschaftsstrafrechts: Rechtlich tragfähige Verantwortungszurechnung auf Top-Ebene gelingt selten – selbst bei eklatantem Fehlverhalten mit globalem Schaden.


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