Überblick über Recht – Wirtschaft – Politik
Themenübersicht
Erbrecht
Steuerprivileg für Familienstiftungen im Ausland: EuGH prüft Grenzen der Kapitalverkehrsfreiheit
EuGH, Urteil vom 13.11.2025 – C – 142/24
Sachverhalt:
Eine in Liechtenstein gegründete Familienstiftung wurde 2014 von einer in Deutschland ansässigen Stifterin mit Vermögen ausgestattet, was nach deutschem Recht als Schenkung unter Lebenden gilt. Das Finanzamt Köln-West besteuerte diesen Vorgang nach Steuerklasse III, da die Stiftung nicht im Inland errichtet wurde und deshalb nicht in den Genuss des Steuerklassenprivilegs für inländische Familienstiftungen gelangte. Die Stiftung argumentierte, die Inlandsanforderung in § 15 Abs. 2 ErbStG verstoße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 40 EWR-Abkommen. Das Finanzgericht Köln sah eine mögliche Ungleichbehandlung und legte dem EuGH die Frage vor, ob die nationale Regelung ausländische Stiftungen unionsrechtswidrig benachteiligt. Hintergrund der Vorlage war insbesondere die gesetzgeberische Annahme eines Zusammenhangs zwischen dem Steuerklassenprivileg und der nur für inländische Stiftungen geltenden Ersatzerbschaftsteuer.
Entscheidung:
Der EuGH stellte zunächst fest, dass die steuerliche Behandlung einer Vermögensübertragung auf eine Stiftung – ebenso wie Schenkungen und Erbschaften – unter den freien Kapitalverkehr fällt. Eine nationale Regelung, die inländische Familienstiftungen steuerlich begünstigt, ausländischen Stiftungen diesen Vorteil jedoch vorenthält, bewirkt eine Wertminderung und stellt damit eine Beschränkung des Kapitalverkehrs dar. Die unterschiedliche Behandlung führt zu einer höheren Steuerbelastung und damit zu einem Liquiditätsnachteil für grenzüberschreitende Fälle. Der von Deutschland geltend gemachte Rechtfertigungsgrund der steuerlichen Kohärenz setzt einen unmittelbaren, persönlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen Vorteil und späterer Besteuerung voraus, der nach Auffassung des EuGH zweifelhaft ist. Insbesondere ist ungewiss, ob und in welchem Umfang die Ersatzerbschaftsteuer tatsächlich anfällt, sodass der notwendige unmittelbare Zusammenhang nicht hinreichend dargelegt wurde.
Arbeitsrecht
Mindestlohnrichtlinie vor dem EuGH: Grenzen der EU-Zuständigkeit im Sozialrecht neu vermessen
EuGH, Urteil vom 11.11.2025 – C 19/23
Sachverhalt:
Das Königreich Dänemark erhob Nichtigkeitsklage gegen die EU-Richtlinie 2022/2041 über angemessene Mindestlöhne, weil es darin einen unzulässigen Eingriff in die nationale Lohnfestsetzung und das Koalitionsrecht sah. Unterstützt von Schweden argumentierte Dänemark, die Richtlinie zwinge Mitgliedstaaten mittelbar zur Anhebung von Mindestlöhnen und zur Förderung tarifvertraglicher Abdeckung, was das dänische Modell autonomer Tarifverhandlungen gefährde. Parlament, Rat, Kommission und mehrere Mitgliedstaaten verteidigten die Richtlinie mit dem Hinweis, sie enthalte lediglich Verfahrensvorgaben zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Im Zentrum des Rechtsstreits stand insbesondere die Frage, ob Art. 153 Abs. 5 AEUV („Arbeitsentgelt“ und „Koalitionsrecht“) der EU jegliche Regelungskompetenz in diesem Bereich entzieht. Der Gerichtshof prüfte daher Ziel und Inhalt der Richtlinie, um festzustellen, ob sie in unzulässiger Weise in die Festsetzung von Löhnen oder in die Organisationsfreiheit der Sozialpartner eingreift.
Entscheidung:
Der EuGH stellte klar, dass die Richtlinie zwar Auswirkungen auf Lohnstrukturen haben kann, aber keinen „unmittelbaren Eingriff“ in die Festsetzung des Arbeitsentgelts vornimmt, der nach Art. 153 Abs. 5 AEUV verboten wäre. Die Vorgaben der Richtlinie beschränken sich nach Auffassung des Gerichtshofs auf verfahrensbezogene Mindeststandards und überlassen die konkrete Höhe der Mindestlöhne weiterhin ausschließlich den Mitgliedstaaten und ihren Sozialpartnern. Auch die Verpflichtung zur Förderung von Tarifverhandlungen greife nicht in das Koalitionsrecht ein, weil sie keine Anforderungen an Mitgliedschaft, Organisation oder interne Arbeitsweise von Gewerkschaften stellt. Der Gerichtshof betonte, dass die EU im Bereich der Arbeitsbedingungen tätig werden darf, solange sie die Autonomie der Sozialpartner respektiert und keine Harmonisierung der Lohnhöhe vornimmt. Insgesamt gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, dass Ziel und Inhalt der Richtlinie mit den unionsvertraglichen Kompetenzgrenzen vereinbar sind und der Ausschluss der Zuständigkeit nach Art. 153 Abs. 5 AEUV nicht verletzt wurde.
Beamtenrecht
Schleswig-Holsteinische Beamtenbesoldung 2022 vor dem Bundesverfassungsgericht: Zweifel an der Verfassungsgemäßheit erschüttern das gesamte System
VG Schleswig, Beschluss vom 11.11.2025 – 12 A 21/23
Sachverhalt:
Die Kläger – Beamte und Richter der Besoldungsgruppen A6 bis A16 sowie R1 bis R5 – machten geltend, dass ihre Alimentation im Jahr 2022 verfassungswidrig zu niedrig bemessen gewesen sei. Sie stellten hierzu jeweils Anträge auf amtsangemessene Besoldung, die der Dienstherr mit Verweis auf die geltenden schleswig-holsteinischen Besoldungsgesetze ablehnte. Gegen diese Bescheide erhoben die Betroffenen fristgerecht Widerspruch und anschließend Klage. Im Mittelpunkt stand insbesondere die Frage, ob das Mindestabstandsgebot von mindestens 15 Prozent zum Grundsicherungsniveau eingehalten worden war und ob die neu eingeführten Familienergänzungszuschläge den Anforderungen des Leistungs- und Abstandsgebots genügten. Das Verwaltungsgericht setzte die Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage vor, ob die maßgeblichen landesrechtlichen Besoldungsregelungen mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar sind.
Entscheidung:
Das Gericht sieht deutliche Anhaltspunkte dafür, dass die Besoldung in den betroffenen Besoldungsgruppen gegen das Alimentationsprinzip des Art. 33 Abs. 5 GG verstößt. Für die Besoldungsgruppen A6 bis A11 wird der Mindestabstand von 15 Prozent zum Grundsicherungsniveau klar unterschritten, insbesondere weil fehlerhafte Berechnungsgrundlagen zu Wohn- und Heizkosten herangezogen worden seien. In höheren Besoldungsgruppen sowie der Richterbesoldung führen die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Parameter 1, 2 und 4 (Vergleich zu Tariflöhnen, Nominallohnindex, Mindestabstandsgebot) zur Vermutung einer verfassungswidrigen Unteralimentation. Diese Vermutung konnte der Gesetzgeber weder durch Gesamtabwägung noch durch sachliche Rechtfertigung entkräften, insbesondere wegen der selektiven Ausgestaltung der Familienergänzungszuschläge und der Nivellierung von Besoldungsabständen. Da die entscheidungserheblichen Normen möglicherweise verfassungswidrig sind, wurde das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht im Wege der konkreten Normenkontrolle vorgelegt.
Kommunalrecht
OVG Niedersachsen bestätigt Grünflächenfestsetzung: Walderhalt schlägt Baulandinteresse
OVG Lüneburg, Urteil 13.11.2025 – 1 KN 150/23
Sachverhalt:
Die Antragstellerin wandte sich im Normenkontrollverfahren gegen einen Bebauungsplan, der ihr bislang unbebautes, aber baureifes Grundstück als private Grünfläche mit Gehölzerhalt festsetzte. Das Plangebiet liegt in einem weitgehend bebauten Straßengeviert, in dem sich auf mehreren Flächen – darunter dem Grundstück der Antragstellerin – über Jahrzehnte ein wertvoller Laubbaumbestand entwickelt hat. Die Gemeinde stellte den Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB auf und begründete ihr städtebauliches Konzept mit dem Ziel, Nachverdichtung zu steuern und ortsbildprägende Grünbereiche dauerhaft zu sichern. Die Antragstellerin rügte u. a. Verfahrensfehler, die angebliche Befangenheit eines mitwirkenden Stadtplaners, einen Entzug ihrer Bebaubarkeit sowie Verstöße gegen das Abwägungsgebot. Der Rat der Gemeinde hielt die Grünflächenfestsetzung jedoch für vorrangig und beschloss den Bebauungsplan als Satzung.
Entscheidung:
Das OVG Niedersachsen stellte fest, dass weder im Aufstellungsverfahren beachtliche formelle Fehler vorlagen noch ein Mitwirkungsverbot für den betroffenen Stadtplaner bestand, da Normsetzungsverfahren nicht den Mitwirkungsregeln des Verwaltungsverfahrensrechts unterliegen. Die Anwendung des beschleunigten Verfahrens nach § 13a BauGB war rechtmäßig, da es sich um Innenentwicklung handelte und die maßgeblichen Flächengrenzen eingehalten wurden. Die Festsetzung des Waldgrundstücks als private Grünfläche sei abwägungsfehlerfrei, weil die Gemeinde das private Nutzungsinteresse zutreffend ermittelt und den erheblichen ökologischen, ortsbildprägenden und kleinklimatischen Wert des Waldes zutreffend höher gewichtet habe. Das Gericht betonte, dass die Antragstellerin über Jahrzehnte keine Bebauung vorgenommen habe und die Planung lediglich den faktischen Zustand festschreibe, wodurch der Eingriff in das Eigentum geringer zu gewichten sei. Auch die weiteren Festsetzungen – insbesondere zu Lärm- und Immissionsschutz – seien hinreichend bestimmt und verfassungs- sowie bauplanungsrechtlich unbedenklich, sodass der Antrag insgesamt unbegründet sei.
News diese Woche:
Bundesverfassungsgericht: Durchsuchung bei Redakteur war verfassungswidrig
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ließ 2023 die Wohnung eines Redakteurs von Radio Dreyeckland durchsuchen, weil er in einem Artikel auf ein Archiv der verbotenen Seite linksunten.indymedia verlinkt hatte. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Durchsuchung nun für verfassungswidrig, da die Pressefreiheit besonders hohen Schutz genießt und die Ermittlungsbehörden diese Anforderungen missachtet hatten. Bereits der Anfangsverdacht einer Unterstützung einer verbotenen Vereinigung fehlte, weil es keinerlei Anhaltspunkte für ein Fortbestehen von linksunten.indymedia gab. Die bloße Existenz einer seit Jahren nicht aktualisierten Archivseite reichte für eine strafrechtliche Relevanz nicht aus. Die Entscheidung setzt laut Unterstützern des Redakteurs einen Schlusspunkt unter ein unverhältnismäßiges Verfahren, lässt aber offen, ob eine solche Verlinkung generell strafbar sein kann.
