BGH-Beschluß zu Kriegsdienstverweigerern aus der Ukraine in Deutschland

BGH-Beschlusses vom 16. Januar 2025 (4 ARs 11/24)
Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass die Auslieferung eines Kriegsdienstverweigerers an sein Heimatland nicht zwingend unzulässig ist, selbst wenn er befürchten muss, dort zum Wehrdienst eingezogen und im Fall der Verweigerung bestraft zu werden. Dies gilt insbesondere, wenn sein Heimatland völkerrechtswidrig mit Waffengewalt angegriffen wird und daher ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht gewährleistet ist.
Die Entscheidung wurde im Kontext eines ukrainischen Staatsbürgers getroffen, der in Deutschland wegen eines ukrainischen Haftbefehls zur Strafverfolgung festgenommen wurde. Er machte geltend, dass er den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigere und bei einer Rückkehr zur Armee eingezogen werde. Das Oberlandesgericht Dresden hatte dem BGH die Frage vorgelegt, ob dies ein unüberwindbares Auslieferungshindernis darstelle.
Der BGH stellte fest:
- Das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG) schützt grundsätzlich nur deutsche Staatsbürger oder Personen, die nach deutschem Recht wehrpflichtig sind.
- Auch das internationale Recht (Art. 9 EMRK, Art. 18 IPbpR) garantiert zwar ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, lässt aber Einschränkungen zu, insbesondere im Verteidigungsfall.
- Solange das Heimatland des Betroffenen völkerrechtswidrig angegriffen wird und deshalb das Kriegsdienstverweigerungsrecht dort nicht garantiert ist, kann dies kein Hindernis für eine Auslieferung sein.
Diese Entscheidung hat erhebliche Folgen für Kriegsdienstverweigerer, insbesondere aus der Ukraine, die in Deutschland Schutz suchen.
Auswirkungen des BGH-Beschlusses auf Kriegsdienstverweigerer aus der Ukraine in Deutschland
1. Hintergrund: Kriegsdienstverweigerung in Zeiten des Ukraine-Kriegs
Seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 hat die ukrainische Regierung die Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung stark eingeschränkt. Während der Kriegszustand andauert, gibt es faktisch keine Möglichkeit, sich legal der Einberufung zu entziehen. Männer im wehrfähigen Alter (18–60 Jahre) dürfen die Ukraine nicht verlassen. Viele versuchen dennoch, sich dem Militärdienst zu entziehen – sei es durch Flucht, Asylanträge oder das Untertauchen.
2. Rechtliche Lage für ukrainische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland
Deutschland steht vor der Frage: Müssen ukrainische Staatsbürger, die den Kriegsdienst verweigern, ausgeliefert werden? Oder genießen sie Schutz durch das Grundgesetz und internationale Konventionen?
- Asylrecht: Kriegsdienstverweigerung allein ist nach deutscher Rechtsprechung kein Asylgrund. Ein Schutz kann jedoch bestehen, wenn die Wehrpflicht als politischer Verfolgungsgrund gewertet wird, etwa wenn der Betroffene wegen seiner Überzeugungen besonders verfolgt wird.
- Europäisches Recht: Nach der EMRK (Art. 9) gibt es zwar ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung, aber keinen absoluten Schutz. Staaten können dieses Recht im Notfall einschränken.
- Grundgesetz: Art. 4 Abs. 3 GG schützt zwar die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, aber nur für Personen, die nach deutschem Recht wehrpflichtig wären.
3. Entscheidung des BGH: Keine generelle Ablehnung von Auslieferungen
Der Bundesgerichtshof entschied, dass eine Auslieferung nicht grundsätzlich unzulässig ist, selbst wenn dem Betroffenen eine Einberufung droht. Der entscheidende Punkt: Wenn das Heimatland des Betroffenen völkerrechtswidrig angegriffen wurde, kann ein Kriegsdienstverweigerungsrecht dort ausgesetzt sein – und Deutschland muss dies im Rahmen des internationalen Rechts akzeptieren.
Diese Sichtweise stellt eine Wende dar: Bisher galt, dass eine drohende Zwangseinberufung ein mögliches Hindernis für eine Auslieferung sein konnte (BGH 1977). Nun aber betont der BGH die staatliche Notwehr der Ukraine und stellt fest, dass selbst eine drohende Bestrafung wegen Verweigerung kein Auslieferungshindernis darstellt.
4. Folgen für ukrainische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland
- Höheres Risiko der Auslieferung: Männer, die in Deutschland Zuflucht suchen, können nicht automatisch darauf bauen, dass ihre Kriegsdienstverweigerung sie vor einer Auslieferung schützt.
- Asylverfahren erschwert: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird sich an dieser Rechtsprechung orientieren. Wer aus der Ukraine nach Deutschland flieht, weil er nicht kämpfen will, wird schwieriger Asyl erhalten.
- Politische und gesellschaftliche Debatte: Die Entscheidung könnte zu neuen Diskussionen über den Umgang mit ukrainischen Deserteuren führen. Deutschland unterstützt die Ukraine militärisch – kann es dann gleichzeitig deren Kriegsdienstverweigerer aufnehmen?
5. Das Europäische Auslieferungsübereinkommen von 1957
Das Europäische Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbK) vom 13. Dezember 1957 regelt die Auslieferung zwischen den Mitgliedsstaaten des Europarats. Es verpflichtet die Staaten, Personen, die in einem anderen Vertragsstaat wegen eines Delikts gesucht werden, auszuliefern, sofern keine Auslieferungshindernisse bestehen.
- Anwendbarkeit: Das Übereinkommen gilt für alle Mitgliedsstaaten des Europarats, einschließlich Deutschland und der Ukraine.
- Ausnahmegründe: Eine Auslieferung kann verweigert werden, wenn politische Straftaten vorliegen oder wenn die Person in ihrem Heimatland Gefahr für Leib und Leben fürchten muss.
- Praktische Bedeutung: Die Ukraine hat Deutschland um mehrere Auslieferungen gebeten – unter anderem wegen Wehrdienstverweigerung und Desertion.
4 Antworten
Wie sehen sie dieses Urteil für deutsche Staatsbürger? Schützt Art 4 GG genug oder droht auch deutschen im Kriegsfall eine aufweichung?
Es gibt einige Blogs, hauptsächlich aus dem rechten rand die das behaupten und mich würde interessieren wie realistisch das ist?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und Frage. Wir werden den Zusammenhang mit Artikel 4 GG in der kommenden Woche gerne gesondert aufgreifen.
Kriegsdienstverweigerung bleibt grundrechtlich geschützt.
https://grafkerssenbrock.com/kriegsdienstverweigerung-bleibt-grundrechtlich-geschuetzt-art-4-gg
Sofern die Gewissensgründe und Glaubensgründe vor einem Kriegerischen Konflikt bestanden und diese a) Glaubhaft gemacht werden können und b) nicht erst durch den Kriegerischen Konflikt situationsabhängig entstanden.