Verfehlte Aufklärung – Wurden deutsche Leitmedien mit ihrer Biden-Berichterstattung 2024 dem öffentlichen Auftrag nicht gerecht?

Eine Analyse anläßlich eines neue Buches
Mehr als 200 Interviews mit Demokraten und Leuten aus Bidens Umfeld haben die beiden US-Journalisten Jake Tapper von CNN und Alex Thompson vom Nachrichtenportal Axios geführt. Es habe zwei Bidens gegeben, zieht Tapper auf CNN Fazit. „Einen, der alles total im Griff hatte. Und einen, der nicht mehr funktioniert hat, der die Namen von engen Mitarbeitern nicht mehr wusste, der alarmierend oft verwirrt wirkte. Und dieser zweite Biden kam immer mehr zum Vorschein.“
Im Sommer 2024 spielte sich in der US-amerikanischen Politik ein Vorgang ab, der global von Bedeutung war: Der amtierende Präsident Joe Biden verzichtete nach einem desaströsen Auftritt im TV-Duell mit Donald Trump auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt. Der Rückzug erfolgte offiziell aus „persönlichen Erwägungen“, de facto aber unter dem Druck wachsender Zweifel an seiner kognitiven Leistungsfähigkeit.
Während in den USA eine intensive Debatte über Bidens geistige Fitness entbrannte – sowohl in seriösen Medien als auch innerhalb der Demokratischen Partei –, fiel die Reaktion vieler deutscher Leitmedien in eine andere Richtung: Statt kritisch zu hinterfragen, übernahmen ARD, ZDF, SPIEGEL, Süddeutsche Zeitung und weitere meist unkommentiert die entlastenden Stellungnahmen aus dem Weißen Haus. Sie verneinten gesundheitliche Beeinträchtigungen, beschwichtigten Warnsignale und suggerierten, der Präsident sei voll amtsfähig – obwohl sein realer Zustand längst Anlass zu berechtigtem Zweifel gab.
Kein Beitrag zur informierten Öffentlichkeit
Dieser journalistische Reflex, sich auf offizielle Verlautbarungen zu stützen und kritische Stimmen als „Desinformation“ abzutun, hat nicht zur Aufklärung beigetragen. Vielmehr wurde eine Scheinsicherheit erzeugt, die das Publikum in trügerischer Ruhe wiegte. Die wiederholte Formulierung, Biden habe „nur eine Erkältung“ gehabt oder „einen schlechten Abend erwischt“, verharmloste die politischen und medizinischen Dimensionen des Vorgangs in unverantwortlicher Weise. Zweifel an seiner Eignung wurden nicht erörtert, sondern häufig als „republikanische Kampfrhetorik“ abqualifiziert.
Das Ergebnis: Die deutsche Öffentlichkeit wurde nicht informiert, sondern beruhigt. Was hier versäumt wurde, ist keine Nebensache, sondern ein systemischer Fehler.
Der öffentliche Auftrag nach Art. 5 GG
Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert nicht nur die Pressefreiheit, sondern umgekehrt auch das Recht der Bürger auf freie Meinungsbildung. Dieses setzt eine funktionierende Informationsgrundlage voraus. In den Worten des Bundesverfassungsgerichts: Die Presse erfüllt eine „dienende Funktion für die Demokratie“ (BVerfGE 20, 162 – Lüth). Daraus folgt eine besondere Verantwortung insbesondere für öffentlich-rechtliche Medien, die durch Gebühren finanziert und verfassungsrechtlich legitimiert sind.
Die öffentlich-rechtlichen Sender haben den Auftrag, „die Allgemeinheit in umfassender Weise zu informieren“ (§ 11 Abs. 1 RStV a.F.; heute MStV). Dabei sind sie zur „Ausgewogenheit“ und „Unparteilichkeit“ verpflichtet. Kritisches Hinterfragen, Darstellung konkurrierender Perspektiven und der Versuch, Sachverhalte nicht bloß zu reproduzieren, sondern journalistisch zu analysieren – all das ist Teil dieses Auftrags.
In der Biden-Berichterstattung 2024 jedoch versagten insbesondere ARD und ZDF in diesem Punkt. Sie übernahmen nahezu identisch die Formulierungen des Weißen Hauses, ließen Bidens Sprecherin Karine Jean-Pierre unwidersprochen Parkinson-Gerüchte verneinen und vermittelten durch ausgewählte Zitate, dass Biden „fit“ sei – obwohl objektive Zweifel, neurologische Anzeichen und politische Signale aus Bidens eigener Partei längst das Gegenteil nahelegten.
Die demokratische Funktion des Journalismus – ausgehebelt
Es liegt in der Natur des Journalismus, Unsicherheit auszuhalten, Komplexität nicht zu verkürzen und gegensätzliche Deutungen auszubalancieren. Wer aber Regierungsverlautbarungen übernimmt, ohne sie mit unabhängigen Expertenmeinungen, Kontexten oder alternativen Einschätzungen zu spiegeln, wird zum Transmissionsriemen der Macht – nicht zu deren Kontrolle.
Gerade im Kontext der transatlantischen Beziehungen, bei denen Personalentscheidungen in den USA unmittelbare Auswirkungen auf Deutschland und Europa haben, war die journalistische Pflicht zur kritischen Information besonders hoch. Dieser Pflicht sind viele Medien im Sommer 2024 nicht gerecht geworden. Sie haben – ob aus politischer Loyalität, Konformitätsdruck oder journalistischer Trägheit – versäumt, das Publikum sachgerecht zu informieren.
Die Medienfreiheit schützt nicht nur Journalisten – sie verpflichtet sie auch. Der Fall Biden 2024 zeigt exemplarisch, wie gefährlich es ist, wenn große Medienhäuser ihre kritische Distanz verlieren. Es bleibt zu hoffen, dass der Rückblick auf dieses journalistische Versagen ein Umdenken befördert. Denn die nächste Entscheidung mit globaler Tragweite kommt bestimmt – und mit ihr die Frage: Wird die Presse dann wieder berichten – oder wieder nur bestätigen?
Alle im Beitrag zitierten Aussagen und Bewertungen beruhen auf einer Auswertung öffentlich zugänglicher Beiträge aus ARD, ZDF, SPIEGEL, SZ und FAZ aus dem Zeitraum Juni–Juli 2024.
ARD – Tagesschau / Tagesthemen
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Tagesschau.de – “Nach Bidens Auftritt im TV-Duell: Krisenstimmung bei den US-Demokraten” (3. Juli 2024) – ohne gesonderten Autor. Zitat: „Er sei in der Debatte erkältet gewesen und habe einen ‚schlechten Abend‘ gehabt. Forderungen, der Präsident solle sich einem kognitiven Test unterziehen oder zusätzliche Informationen über seinen Gesundheitszustand herausgeben, wies Jean-Pierre zurück. Auf die Frage, ob Biden eine degenerative Krankheit oder Demenz habe, antwortete Jean-Pierre: ‚Nein‘“. Einordnung: Bidens Sprecherin Karine Jean-Pierre beschwichtigte hier die Sorge um Bidens geistige Fitness. Sie schob dessen schwachen Auftritt auf eine Erkältung und verneinte kategorisch jegliche ernsthafte neurologische Erkrankung, womit sie Spekulationen als unbegründet abtat.
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Tagesschau.de – “Gesundheit des US-Präsidenten: Weißes Haus dementiert Parkinson-Gerüchte” (9. Juli 2024) – ohne gesonderten Autor. Zitat: „Ist der Präsident wegen Parkinson behandelt worden? Nein. […] Nimmt er Medikamente gegen die Parkinson-Krankheit ein? Nein“, bekräftigte Sprecherin Jean-Pierre im Pressebriefing. Zudem veröffentlichte Bidens Leibarzt Kevin O’Connor einen Brief, „Ende Februar hieß es in dem veröffentlichten Gesundheitsbericht, dass es bei Biden keine Anzeichen für mögliche Schlaganfälle oder Parkinson gebe und der Präsident ‚keinen Tremor‘ aufweise“. Einordnung: In dieser Meldung der ARD wurde ausführlich über die offiziellen Dementis berichtet. Sowohl die Sprecherin als auch der Präsidentenarzt stellten klar, dass keine Hinweise auf Parkinson oder ähnliche Erkrankungen vorliegen – eine deutliche Relativierung der Gerüchte über Bidens Gesundheitszustand.
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Tagesschau.de – “Nach TV-Duell mit Trump: Biden räumt Patzer in Debatte ein und will kämpfen” (29. Juni 2024) – ohne gesonderten Autor. Zitat: „Ich weiß, ich bin kein junger Mann […]. Ich laufe, rede und debattiere zwar nicht mehr so gut wie früher, […] aber ich weiß, wie man die Wahrheit sagt.“ Biden versprach weiter, für eine weitere Amtszeit fit genug zu sein: „Ich gebe Ihnen mein Wort. Ich würde nicht noch einmal kandidieren, wenn ich nicht mit ganzem Herzen und ganzer Seele daran glauben würde, dass ich diesen Job machen kann“. Einordnung: Hier wird Biden selbst zitiert, wie er nach dem TV-Duell seine Eignung betont. Er räumte altersbedingte Schwächen ein, beschwichtigte aber, dass er körperlich und geistig fit genug für eine zweite Amtszeit sei – er würde sonst gar nicht antreten. Diese Aussage relativiert die Kritik an seinem Auftritt, indem Biden seine Leistungsfähigkeit persönlich verbürgt.
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Tagesschau (Faktenfinder) – Bericht “Bidens Gesundheitszustand als Zielscheibe” (Juli 2024) – Autorin: unbekannt*. Zitat: „Mit solchen Zusammenschnitten versuchten [Bidens Gegner], den mentalen Gesundheitszustand des 81-jährigen Biden in Zweifel zu ziehen und seine Eignung als US-Präsident infrage zu stellen“. Einordnung: Die ARD-Analyse ordnete hier Videoausschnitte ein, die Biden als verwirrt zeigen sollten. Implizit wird damit ausgesagt, dass diese Zweifel gezielt geschürt und überzeichnet wurden. Die Faktenfinder-Redaktion stellte die Angriffe als politisch motivierte Übertreibung dar – eine Form der Relativierung der tatsächlichen Bedenken an Bidens Zustand.
ZDF – Heute / ZDFheute
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ZDFheute – “US-Präsident unter Druck: Biden: Nur Gott kann mich stoppen” (6. Juli 2024) – von Anna Kleiser. Zitat: „Gleich zu Beginn betont der 81-Jährige, er habe bei der TV-Debatte einen ‚schlechten Abend‘ gehabt, leide nicht an einer ernsthaften Erkrankung. Schuld sei eine Erkältung gewesen, er habe sich schrecklich gefühlt.“ Auf die Frage, ob er körperlich in der Lage sei, noch vier weitere Jahre Präsident zu sein, antwortete Biden: „Ich würde nicht kandidieren, wenn ich nicht glauben würde, dass ich es kann.“. Einordnung: In diesem Interviewbericht wird deutlich, wie Biden selbst die Sorgen herunterspielt. Er stellte seinen schwachen Debate-Auftritt als einmaligen Ausrutscher dar („schlechter Abend“ wegen Erkältung) und verneinte explizit jegliche ernsthafte Krankheit. Zudem bejahte er implizit seine Eignung für eine weitere Amtszeit, was beruhigend auf Zweifel wirken sollte.
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ZDFheute – “Ist Biden senil – oder Opfer einer Schmutzkampagne Trumps?” (Faktencheck, 2024) – Autor: ZDFheuteCheck-Redaktion. Zitat: „Unterdessen scheinen die Ärzte Bidens keine gesundheitlichen Bedenken in Bezug auf ihn zu haben. […] Sein Leibarzt Kevin O’Connor veröffentlichte […] einen Bericht, in dem er dem 81-Jährigen bescheinigte, ‚weiterhin fit für den Dienst‘ zu sein.“. Einordnung: Dieser ZDF-Faktencheck betonte die Einschätzung von Bidens Ärzten, wonach es keine medizinischen Einwände gegen seine Amtsfähigkeit gebe. Durch die Hervorhebung der Formulierung „fit für den Dienst“ werden Zweifel an Bidens geistiger Gesundheit als unbegründet dargestellt und die Debatte deutlich entschärft.
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ZDFheute – “Parkinson-Gerüchte: Bidens Arzt meldet sich zu Wort” (8. Juli 2024) – ohne gesonderten Autor. Zitat: Auf Berichte über einen Neurologenbesuch reagierte das Weiße Haus mit der Klarstellung, Biden werde nicht wegen Parkinson behandelt. Karine Jean-Pierre antwortete mehrfach mit „Nein“ auf entsprechende Fragen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich unbesorgt: Auf die Frage, ob ihn sorge, dass der 81-jährige Biden die Belastung des NATO-Gipfels überfordern könnte, sagte Scholz: „Nein, diese Sorge habe ich nicht.“. Einordnung: Dieser ZDF-Bericht untermauerte die Dementis der US-Regierung mit zusätzlichen Stimmen. Die kategorischen “Nein”-Aussagen der Sprecherin und sogar der deutsche Kanzler Scholz’ ausdrückliche Verneinung von Bedenken vermittelten das Bild eines gesundheitlich gut aufgestellten Präsidenten. Damit wurden Spekulationen über Biden als überzogen oder unbegründet dargestellt.
DER SPIEGEL
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DER SPIEGEL – “US-Präsident im Kreuzfeuer: Parkinsonexperte regelmäßig im Weißen Haus – laut Sprecherin aber nicht für Behandlung” (9. Juli 2024) – Redaktion. Zitat: „Das Weiße Haus reagiert empört – und lässt nach einer hitzigen Pressekonferenz den Leibarzt des Präsidenten zu Wort kommen.“ Bei dem Briefing forderte Jean-Pierre „Respekt“ von den Reportern: „Ist der Präsident wegen Parkinson behandelt worden? Nein. […] Nimmt er Medikamente gegen Parkinson ein? Nein“, stellte sie klar. Laut dem veröffentlichten Ärztebrief wurde „Ende Februar […] festgestellt, dass es keine Anzeichen für eine neurologische Erkrankung wie Parkinson gebe. Biden weise ‚keinen Tremor‘ auf“. Einordnung: Das Nachrichtenmagazin berichtet hier ausführlich über die Zurückweisung der Parkinson-Gerüchte. Durch die wörtliche Wiedergabe der „Nein“-Zitate und die Betonung von O’Connors Befund (keinerlei Anzeichen einer solchen Krankheit) trägt DER SPIEGEL selbst zur Entwarnung bei: Bidens Gesundheitszustand wird als stabil dargestellt, offizielle Stimmen weisen die Spekulationen entschieden als haltlos zurück.
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DER SPIEGEL – “Tonaufnahmen von 2023 nähren Zweifel an Bidens Gesundheitszustand” (Spiegel Online, Ende 2024) – Redaktion/Agenturmeldung. Zitat: „Bevor er im vergangenen Sommer seine Kandidatur zurückzog, sah sich Biden mit weitverbreiteten Zweifeln an seinem Gesundheitszustand konfrontiert. Selbst innerhalb seiner eigenen Partei gab es Stimmen gegen ihn, auch wenn führende Vertreter der Demokraten Behauptungen der Republikaner über seine angeblich nachlassende Geistesschärfe zurückwiesen.“. Einordnung: Hier zeigt DER SPIEGEL retrospektiv auf, dass Bidens Lager die Vorwürfe über seinen mentalen Abbau stets als politisch motivierte Übertreibung behandelt hat. Indem führende Demokraten die Anschuldigungen der Republikaner als unbegründet abtaten, wurde Bidens geistiger Zustand öffentlich relativiert – man stellte ihn also als im Wesentlichen unproblematisch dar, trotz der kursierenden Zweifel.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
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FAZ.net – “Weißes Haus dementiert: ‚Keine Anzeichen für Parkinson-Erkrankung Bidens’” (10. Juli 2024) – Bericht von Sofia Dreisbach. Zitat: „In einem Brief vom Montagabend schrieb Bidens Leibarzt Kevin O’Connor, der Präsident sei außerhalb seiner jährlichen Gesundheitstests nicht von einem Neurologen behandelt worden. Im Februar sei […] nach einer ‚extrem detaillierten neurologischen Untersuchung‘ festgestellt worden, dass es ‚keine Anzeichen‘ für eine neurologische Erkrankung wie Parkinson gebe. Biden weise ‚exzellentes feinmotorisches Geschick‘ auf und habe keinen Tremor.“. Einordnung: Die FAZ greift hier die Worte der Präsidentenarztes auf. Durch die detaillierte Schilderung („extrem detaillierte Untersuchung“, „exzellentes Geschick, kein Tremor“) wird Bidens Gesundheitszustand beschwichtigend als einwandfrei charakterisiert. Der Artikel stellt damit die von einem Medienbericht geschürten Parkinson-Verdachtsmomente als gegenstandslos dar.
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FAZ (Kommentar) – “Joe Bidens TV-Desaster: Gesundheit im Amt” (Michael Hanfeld, 28. Juni 2024) – Medien-Kommentar. Zitat: „Vor dem TV-Duell zwischen Biden und Trump hieß es, die Medien beschäftigten sich nur mit dem Zustand des Präsidenten, nicht mit dem des Herausforderers. Das sei eine ‚rechte‘ Erzählung.“. Einordnung: Der FAZ-Kommentator erinnert daran, dass bis kurz vor der Debatte Bedenken über Bidens mentale und körperliche Verfassung in manchen Kreisen als bloße “rechte Erzählung” abgetan wurden. Diese Formulierung verdeutlicht, dass etliche Beobachter die Diskussion um Bidens Gesundheitszustand verharmlost und als parteipolitisch motiviertes Gerede eingestuft hatten. (Erst nach Bidens schwachem Auftritt kippte diese Wahrnehmung, wie der Kommentar andeutet.)
Süddeutsche Zeitung (SZ)
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Süddeutsche Zeitung – “Verschleiß, Atemmaske und steifer Gang: Bidens neuer Gesundheitscheck veröffentlicht” (29. Februar 2024) – Nachricht, Quelle: dpa/Reuters. Zitat: „Bidens Arzt bescheinigt dem ältesten US-Präsidenten aller Zeiten aber, er sei ‚gesund‘, ‚aktiv‘ und ohne Einschränkung in der Lage, die Aufgaben seines Amtes zu erfüllen.“. Einordnung: Dieser SZ-Artikel fasst den jährlichen ärztlichen Gesundheitsbericht zusammen, der Biden trotz diverser kleiner Gebrechen ein uneingeschränktes Leistungsvermögen attestiert. Indem ausdrücklich hervorgehoben wird, Biden sei gesund und aktiv und könne seine Amtspflichten erfüllen, werden etwaige Bedenken heruntergespielt. Die Botschaft: Abgesehen von normalem Altersverschleiß gebe es kein gesundheitliches Hindernis für eine erneute Kandidatur.
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Süddeutsche Zeitung – “Eine schrecklich stolze Familie” (Analyse von Boris Herrmann und Christian Zaschke, 3. Juli 2024) – Zitat: „Hinfallen, aufstehen, weiterkämpfen, das war immer das Credo der Familie Biden. […] Joe Biden soll den miserabelsten Auftritt in der Geschichte der amerikanischen Fernsehdebatten hingelegt haben? Welche Debatte? […] Zugegeben, er hatte da eine etwas heisere Stimme, und ja, manche seiner Antworten enthielten vielleicht zu viele Daten. Aber sonst? Ist absolut nichts passiert. Es gibt hier nichts zu sehen. Bitte gehen Sie weiter.“. Einordnung: Die SZ beschreibt hier mit sarkastischem Unterton, wie Bidens Umfeld den verpatzten TV-Duell-Auftritt zunächst verharmloste. Indem die Autoren die Perspektive der Bidens einnehmen – “nichts passiert, weitergehen” – wird deutlich, dass Joe und Jill Biden die Debatten-Panne zunächst als nicht der Rede wert darstellen wollten. Diese implizite Beschwichtigung sollte die Öffentlichkeit glauben lassen, Bidens schlechte Performance sei kein Anzeichen mangelnder Eignung, sondern eine Episode ohne tiefergehende Bedeutung.
Quellen: ARD-Tagesschau, ZDFheute, Der Spiegel, FAZ, Süddeutsche Zeitung – diverse Beiträge Juni/Juli 2024 (Auszüge im Text jeweils zitiert).
Basierend auf der Analyse ergibt sich folgende Übersicht der Relativierungen zum Gesundheitszustand Joe Bidens im Sommer 2024, gegliedert nach Medium und mit Bewertung nach dem Ausmaß der Relativierung:
1. ARD (Tagesschau / Tagesthemen / Faktenfinder) – Hoher Grad an Relativierung
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Hauptmuster: Betonung offizieller Dementis des Weißen Hauses, keinerlei eigene journalistische Zweifel, klare Wiederholung der Aussagen von Sprecherin Jean-Pierre und Bidens Leibarzt ohne kritische Einordnung.
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Beispiele:
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„Keine Anzeichen für Parkinson“ wurde mehrfach wiederholt.
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Faktenfinder stellte Videoausschnitte kritischer Beobachter als „Desinformationskampagne“ dar.
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Biden selbst wurde mit beruhigenden Aussagen ausführlich zitiert.
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Bewertung: Sehr hohe Relativierung, insbesondere durch kritiklose Wiedergabe von Regierungsquellen.
2. ZDF (ZDFheute / heute journal) – Hoher Grad an Relativierung
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Hauptmuster: Berichte über Biden enthielten meist seine eigene Einordnung („nur erkältet“, „schlechter Abend“) sowie Verweise auf „keine medizinischen Bedenken“ durch Ärzte.
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Beispiele:
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„Fit für den Dienst“ wurde in Faktenchecks hervorgehoben.
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Aussagen von Olaf Scholz („keine Sorge“) wurden zur Untermauerung herangezogen.
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Parkinson-Gerüchte wurden entschieden zurückgewiesen.
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Bewertung: Hohe Relativierung, etwas stärker differenziert als ARD, aber insgesamt ebenfalls staatstragend und beschwichtigend.
3. Süddeutsche Zeitung – Mittlerer Grad an Relativierung
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Hauptmuster: Teils sarkastische Tonlage, jedoch wird die Darstellung der Biden-Familie übernommen (z. B. „Nichts passiert – weitergehen“).
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Beispiele:
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Ärztlicher Bericht mit „gesund“, „aktiv“, „uneingeschränkt fähig“ zitiert.
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Kommentierende Stücke gaben das Narrativ „nur heisere Stimme“ wieder.
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Bewertung: Mittel bis hoch, da sowohl medizinische Berichte als auch Umfeldnarrative übernommen, aber teils journalistisch angedeutet wird, dass eine gewisse Inszenierung stattfindet.
4. DER SPIEGEL – Mittlerer Grad an Relativierung
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Hauptmuster: Frühzeitige und ausführliche Berichterstattung über Dementis des Weißen Hauses, Leibarztzitate, aber mit etwas stärkerem Fokus auf die medienpolitische Wirkung.
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Beispiele:
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Parkinson-Verdacht mit Originalzitat als „Nein“ abgeschwächt.
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Demokratische Partei stellte „nachlassende Geistesschärfe“ als republikanische Strategie dar.
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Einzelne Berichte zur schwelenden internen Kritik wurden aber abgebildet.
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Bewertung: Mittel, journalistisch nüchterner, aber ebenfalls keine tiefergehende medizinische oder investigative Einordnung.
5. FAZ – Differenzierter, eher geringer Grad an Relativierung
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Hauptmuster: Korrekte Wiedergabe medizinischer Daten, aber Kommentare (z. B. Michael Hanfeld) wiesen frühzeitig darauf hin, dass Medien bis zum TV-Duell eine kritische Debatte weitgehend vermieden.
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Beispiele:
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„Extrem detaillierte neurologische Untersuchung“ wurde korrekt zitiert, aber kritisch eingeordnet.
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Der Begriff „rechte Erzählung“ als Hinweis auf pauschale Abwehrdiskurse.
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Bewertung: Relativierende Elemente vorhanden, aber insgesamt journalistisch am differenziertesten und zurückhaltendsten in der Abmilderung.
Gesamtranking (nach Grad der Relativierung):
Rang | Medium | Bewertung Relativierung |
---|---|---|
1 | ARD (Tagesschau) | Sehr hoch |
2 | ZDF (ZDFheute) | Hoch |
3 | Süddeutsche Zeitung | Mittel bis hoch |
4 | DER SPIEGEL | Mittel |
5 | FAZ | Niedrig bis moderat, differenziert |