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Gewaltenteilung: Macht wird verteilt, um Macht willkürfrei zu begrenzen – Teil 2

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Gewaltenteilung: Macht wird verteilt, um Macht willkürfrei zu begrenzen – Teil 2

Deutsches Recht

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Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft im Lichte der Gewaltenteilung

Die Weisungsgebundenheit der deutschen Staatsanwaltschaft – das heißt ihre Verpflichtung, den Anweisungen vorgesetzter Stellen und letztlich der Justizministerien Folge zu leisten – wirft im Kontext der Gewaltenteilung besondere Fragen auf. Als „objektivste Behörde der Welt“ soll die Staatsanwaltschaft zwar unparteiisch der Rechtspflege dienen, doch steht sie strukturell zwischen Exekutive und Judikative. Nachfolgend wird kritisch analysiert, welche rechtlichen Grundlagen dieses System hat, wie es die Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden beeinflusst – insbesondere in politisch sensiblen Verfahren – und welche Spannungen zur Gewaltenteilung und richterlichen Unabhängigkeit bestehen. Darüber hinaus werden rechtsstaatliche Maßstäbe und internationale Vorgaben (EuGH, EGMR) beleuchtet, ein Vergleich mit den Systemen in den USA, Frankreich und Italien gezogen sowie Reformansätze und deren rechtspolitische Tragweite diskutiert.

1. Verfassungsrechtliche und gesetzliche Grundlagen der Weisungsgebundenheit

Die deutsche Staatsanwaltschaft ist traditionell weisungsgebunden und in eine hierarchische Behördenstruktur eingegliedert[1]. Dies unterscheidet sie fundamental vom Richteramt, da Richter gemäß Art. 97 Abs. 1 GG unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind[1]. Das Grundgesetz selbst erwähnt die Staatsanwaltschaft zwar nicht ausdrücklich, doch ordnet die Rechtsprechung – allen voran das Bundesverfassungsgericht – die Staatsanwaltschaft klar der Exekutive zu[2]. Nach Auffassung des BVerfG ist die Weisungsgebundenheit ein nahezu notwendiges Element einer hierarchisch organisierten Verwaltung[2]. Damit unterliegt die Staatsanwaltschaft dem allgemeinen Grundsatz, dass die vollziehende Gewalt weisungs- und verantwortungsgebunden organisiert sein soll (Art. 20 Abs. 3 GG: Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht).

Die gesetzliche Hauptgrundlage findet sich in den §§ 146, 147 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). § 146 GVG bestimmt unmissverständlich: „Die Beamten der Staatsanwaltschaft haben den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen.“[3]. § 147 GVG konkretisiert dieses Weisungsrecht und regelt den hierarchischen Aufbau (das Recht der Aufsicht und Leitung). Danach erstreckt sich das Weisungsrecht auf die Behördenleitung (internes Weisungsrecht) und auf die Justizminister von Bund und Ländern (externes Weisungsrecht)[3][4]. Externe Weisungen sind Anordnungen der Landesjustizverwaltung bzw. des Bundesjustizministeriums an die ihnen unterstellten Staatsanwälte[4]. Gesetzlich wird nicht zwischen inhaltlichen Arten von Weisungen unterschieden – das heißt, es gibt keine ausdrückliche Beschränkung, auf welche Gegenstände oder zu welchem Zeitpunkt Weisungen ergehen dürfen[5]. Theoretisch kann sich eine Weisung somit auf jedes Ermittlungsverfahren und jeden Verfahrensschritt beziehen[5]. In der Praxis wird zwischen allgemeinen Weisungen (z. B. Richtlinien zur Strafverfolgung, allgemeine Erlasse zur Strafrechtspflege) und Einzelfallweisungen unterschieden[6]. Allgemeine Weisungen dienen der Vereinheitlichung des Vorgehens (etwa die Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren – RiStBV) und sind offen kommuniziert. Demgegenüber sind Einzelfallweisungen – also Weisungen in konkreten Verfahren – äußerlich kaum erkennbar; sie werden als interne Vorgänge nur in internen Akten oder Vermerken festgehalten[7]. Überdies steht § 146 GVG im Kontext des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO), wonach Staatsanwälte grundsätzlich bei Vorliegen eines Anfangsverdachts zur Verfolgung von Straftaten verpflichtet sind. Dieses Prinzip soll politische Willkür bei der Verfolgungsentscheidung gerade verhindern. Allerdings kennt die StPO auch Ausnahmen (Opportunitätsprinzip in den §§ 153 ff. StPO), die der Staatsanwaltschaft Ermessensspielräume einräumen (z. B. Einstellungen aus Opportunität). In solchen Bereichen eröffnet sich faktisch Weisungsraum, da hier die vorgesetzte Dienstbehörde oder das Ministerium durch Anordnungen die Ermessensausübung beeinflussen kann[8].

Zusammenfassend ist die Stellung der Staatsanwaltschaft gesetzlich so ausgestaltet, dass sie trotz ihrer Mitwirkung an der Rechtspflege organisatorisch zur Exekutive zählt. Sie ist einer „Weisungspyramide“ unterworfen[4], an deren Spitze auf Landesebene der jeweilige Justizminister (bzw. auf Bundesebene der Bundesjustizminister für den Generalbundesanwalt) steht[4]. Der Staatsanwalt ist demnach nicht persönlich unabhängig, sondern Teil einer hierarchischen Verwaltung – ein fundamentaler Unterschied zur unabhängigen richterlichen Gewalt[1].

2. Auswirkungen auf die tatsächliche Unabhängigkeit der Ermittlungsbehörden

Die hier beschriebene Struktur hat direkte Auswirkungen auf die Unabhängigkeit der Strafverfolgung – insbesondere in politisch sensiblen Verfahren. Zwar sind direkte ministerielle Einzelfallweisungen an Staatsanwälte der Außendarstellung nach selten und gelten als Ausnahme[9]. Dennoch können sie vorkommen und entfalten allein durch ihre Möglichkeit eine erhebliche wirkungsgleiche Präsenz. In der Praxis wird immer wieder diskutiert, ob Staatsanwälte in Fällen mit brisantem politischem Hintergrund tatsächlich frei von politischem Einfluss agieren können, wenn im Hinterkopf stets die Weisungsbefugnis der vorgesetzten Politik steht. Die bloße Möglichkeit einer politischen Einflussnahme “kann sich in der Entscheidungsfindung niederschlagen” und schadet dem Vertrauen in die Strafrechtspflege[10]. Mit anderen Worten: Weisungsabhängigkeit schafft zumindest ein Klima der Vorbehaltlichkeit, in dem ein Staatsanwalt bei heiklen Ermittlungen antizipieren mag, welche Entscheidung politisch opportun ist.

Besonders kritisch wird dies gesehen, wenn Regierungsmitglieder oder politisch einflussreiche Personen selbst von Ermittlungen betroffen sind. In solchen Konstellationen entsteht ein latenter Konflikt zwischen Rechtspflege und politischer Loyalität. Auch wenn kein ausdrücklicher Befehl ergeht, besteht die Gefahr einer “vorauseilenden Gehorsams”-Mentalität oder zumindest des Drucks, Entscheidungen im Sinne der politischen Leitung zu fällen. So warnt Transparency International, das externe Weisungsrecht sei „anachronistisch“ und müsse abgeschafft werden, da es das Vertrauen in den Rechtsstaat untergrabe[11]. Der Deutschen Richterbund formuliert es noch deutlicher: In den falschen Händen wäre ein solcher politischer Steuerungsmechanismus fatal, da er Missbrauch zu politischen Zwecken ermögliche[12].

Zwar gilt auch für Staatsanwälte der Legalitätsgrundsatz, flankiert von Strafnormen wie Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) oder Rechtsbeugung (§ 339 StGB) für den Fall, dass absichtlich gegen Recht und Gesetz gehandelt wird. Ein Staatsanwalt dürfte einer eindeutig rechtswidrigen Weisung (etwa eine klare Straftat nicht zu verfolgen) nicht folgen – er müsste remonstrieren und könnte notfalls den Dienst verweigern. In der Realität bewegen sich Weisungen allerdings meist im Graubereich zulässiger Ermessensentscheidungen. Ein Minister könnte z. B. anweisen, ein Verfahren wegen geringer Schuld nach § 153 StPO einzustellen, oder – umgekehrt – in einem politisch wichtigen Fall besonderen Verfolgungseifer einzuschalten, wo das Gesetz Spielräume lässt. Solche Eingriffe sind juristisch schwer angreifbar, können aber die Ermittlungsrichtung entscheidend prägen.

Letztlich führt die Weisungsgebundenheit zu einem Wahrnehmungsproblem: Selbst wenn die meisten Verfahren ohne jedwede politische Einmischung geführt werden, bleibt der Makel, die Staatsanwaltschaft könnte eben doch nicht vollkommen unabhängig agieren. Dies beeinträchtigt nicht nur das Vertrauen der Bevölkerung, sondern auch das internationale Ansehen der deutschen Strafjustiz[10]. Als 2019 der EuGH den deutschen Staatsanwaltschaften die notwendige Unabhängigkeit absprach, bezeichnete Transparency Deutschland dies als Bestätigung dafür, dass das deutsche Modell nicht dem “Leitbild einer europäischen Staatsanwaltschaft” entspricht[13]. Insgesamt kann also festgehalten werden, dass die Weisungsgebundenheit – obschon formal ein Instrument demokratischer Verantwortungssteuerung – de facto die objektive und subjektive Unabhängigkeit der Strafverfolger beeinträchtigen kann, vor allem wenn politisches Interesse im Spiel ist.

3. Mögliche Spannungen mit Gewaltenteilung und richterlicher Unabhängigkeit

Die Gewaltenteilung verlangt eine klare Trennung der Funktionen von Legislative, Exekutive und Judikative. Die Staatsanwaltschaft nimmt in diesem Gefüge eine Zwischenstellung ein: Funktional gehört sie zur Rechtspflege (Judikative), organisatorisch aber zur Exekutive. Dieser „Januscharakter“ birgt Spannungen. Auf der einen Seite betonen Vertreter des Status quo die Brückenfunktion der Staatsanwaltschaft: Als Bindeglied zwischen Polizei (Exekutive) und Gerichten (Judikative) müsse sie beiden Welten gerecht werden. Daraus wird traditionell abgeleitet, dass das externe Weisungsrecht gerechtfertigt sei, um die Staatsanwaltschaft in das Gefüge der Exekutive einzupassen und der Regierung parlamentarische Verantwortung für Strafverfolgungsentscheidungen zu ermöglichen[14]. Da Justizminister einem Parlament rechenschaftspflichtig sind, soll über diesen Weg auch die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden demokratisch legitimiert und kontrolliert werden[14]. Aus dieser Perspektive steht die Weisungsabhängigkeit nicht im Widerspruch zur Gewaltenteilung, sondern wird als deren Ausfluss verstanden: Die Staatsanwaltschaft ist eben Teil der Exekutive und damit der demokratischen Kontrolle unterworfen[2].

Auf der anderen Seite steht jedoch der Gedanke, dass in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren Unparteilichkeit und Neutralität gewährleistet sein müssen. Die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 GG) garantiert, dass Gerichte frei von externer Einflussnahme urteilen. Wenn jedoch die Staatsanwaltschaft – als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ und Anklagebehörde – politisch beeinflusst werden kann, gerät die Balance ins Wanken. Separation of Powers bedeutet auch, dass die Exekutive nicht in individuelle Justizverfahren hineinregieren soll. Ein weisungsgebundener Anklagevertreter könnte faktisch zum verlängerten Arm der Regierung im Gerichtssaal werden, was die Waffengleichheit im Prozess beeinträchtigen würde. Zwar entscheidet am Ende der unabhängige Richter; doch welche Fälle überhaupt zur Anklage kommen und mit welchem Nachdruck sie verfolgt werden, liegt weitgehend in den Händen der Staatsanwaltschaft – und damit indirekt des Justizministeriums. Gewaltenteilungs-theoretisch erscheint es problematisch, wenn die Exekutive selektiv Einfluss darauf nehmen könnte, wer vor Gericht gestellt wird und wer nicht.

Ein Beispiel für diese Spannung zeigt sich, wenn ein Regierungsmitglied Beschuldigter in einem Strafverfahren ist: Die Justiz (Gericht) müsste unabhängig über Schuld oder Unschuld befinden, während die Staatsanwaltschaft als Exekutivorgan unter Umständen von der politischen Führung (der das beschuldigte Regierungsmitglied angehört) gesteuert werden könnte. Hier prallen der Grundsatz der unabhängigen Justiz und die Möglichkeit exekutiver Einflussnahme frontal aufeinander. Selbst wenn formell alles korrekt abläuft, könnte bereits der Anschein einer politischen „Inhaltssteuerung“ der Strafverfolgung das verfassungsrechtliche Gebot der funktionellen Gewalteneinteilung verletzen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in früheren Entscheidungen keine grundsätzliche Verfassungswidrigkeit der Weisungsgebundenheit gesehen – im Gegenteil wurde sie als konsequente Ausprägung einer hierarchischen Verwaltung betrachtet[2]. Allerdings ist das BVerfG ebenso der Auffassung, dass die Justizgewährung allein den Gerichten obliegt und die Staatsanwaltschaft insoweit als „eigenständiges Organ der Rechtspflege“ agiert[15]. Dieser Spagat führt zu einem viel diskutierten Spannungsfeld. Kritiker monieren, ein exekutives Weisungsrecht unterminiere letztlich die Gewaltenteilung, da es der Regierung einen Fuß in der Tür der Strafjustiz erlaube. Befürworter halten entgegen, die Staatsanwaltschaft sei keine vierte Gewalt und müsse ins Regierungsgefüge integriert bleiben, um Wildwuchs und Verantwortungsvakuum zu verhindern.

Im Ergebnis besteht eine systemische Inkonsistenz: Die Staatsanwaltschaft ist zwar Teil der Rechtspflege, aber nicht unabhängig wie ein Gericht. Sie trägt die Gewaltenteilungs-DNA der Exekutive in sich, was potentiell mit dem Ideal einer von politischer Einflussnahme freien Justiz kollidiert. Diesbezüglich spricht der DRB von einem „ungeregelten Spannungsfeld“ zwischen Gesetzesbindung und politischer Weisungsbefugnis[16]. Man kann also von einer potentiellen Spannung zur Gewaltenteilung sprechen, die umso relevanter wird, je stärker das Ministerium in Einzelfälle hineinregiert. Langfristig stellt sich die Frage, ob das deutsche Modell der “Brückenstellung” der Staatsanwaltschaft mit der fortschreitenden Emanzipation der Rechtspflege von der Politik noch vereinbar ist, oder ob hier ein Anpassungsbedarf an moderne rechtsstaatliche Standards besteht.

4. Rechtsstaatliche Würdigung und internationale Standards (EuGH, EGMR)

Rechtsstaatliche Prinzipien fordern, dass Strafverfolgung neutral, unparteiisch und ohne unsachlichen Einfluss erfolgt. Auf europäischer Ebene haben sowohl der Europäische Gerichtshof (EuGH) als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Signale gesendet, dass die Unabhängigkeit der Justiz sich nicht auf Richter beschränken darf, sondern auch die Strafverfolgungsbehörden einschließen sollte.

Ein deutlicher Fingerzeig kam vom EuGH im Jahr 2019: In verbundenen Verfahren (u. a. C-508/18 und C-82/19 OG/PI) entschied der Gerichtshof, dass deutsche Staatsanwaltschaften nicht hinreichend unabhängig von der Exekutive sind, um als „justitielle Behörden“ einen Europäischen Haftbefehl (EuHB) ausstellen zu dürfen[16][17]. Ausschlaggebend war dabei die Existenz des ministeriellen Weisungsrechts in Einzelfällen[17]. Die Luxemburger Richter sahen durch die Möglichkeit politischer Weisungen die Gefahr, dass ein EuHB – der grenzüberschreitend die Freiheitsrechte Betroffener massiv tangiert – nicht mit der erforderlichen objektiven Unabhängigkeit erlassen wird[18][19]. In der Tat beruht das Europäische Haftbefehlssystem auf gegenseitigem Vertrauen in die justizielle Qualität der Entscheidungen der ausstellenden Behörde. Deutschland musste folglich umsteuern: Seither lässt man jeden EuHB vorsorglich von einem Richter unterzeichnen, um den EuGH-Anforderungen zu genügen[20]. Weitere EuGH-Entscheidungen bestätigten diesen Kurs: 2020 wurde auch festgestellt, dass deutsche Staatsanwaltschaften mangels Unabhängigkeit nicht als vollstreckende Justizbehörde in EuHB-Verfahren agieren dürfen[21]. Diese Rechtsprechung führte zu Initiativen des Bundesjustizministeriums, das Weisungsrecht zumindest für die EU-Strafzusammenarbeit einzuschränken (dazu unten unter Reformvorschläge)[22].

Auch der EGMR hat indirekt Stellung zur Rolle weisungsabhängiger Staatsanwälte genommen, insbesondere im Lichte von Art. 5 EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit). Bereits 1979 urteilte der EGMR im Fall Schiesser ./. Schweiz, dass ein Staatsanwalt – eben weil weisungsgebunden und Teil der Exekutive – kein unabhängiger „Richter oder anderer zur Ausübung judikativer Funktionen berufener Amtsinhaber“ im Sinne des Art. 5 Abs. 3 EMRK ist[23]. Konkret ging es um die Frage, ob ein Verhafteter einem Staatsanwalt vorgeführt werden kann oder einem Richter: Der EGMR verneinte die Gleichstellung des Staatsanwalts mit einem Richter, da ersterer nicht die erforderliche Unabhängigkeit von der Exekutive und der Parteien aufweist. Dieses und nachfolgende Urteile (etwa im Kontext von Untersuchungshaft) haben europaweit dazu geführt, dass Haftentscheidungen einem Richter vorbehalten sein müssen – ein klares Signal, dass Staatsanwälte nicht als hinreichend unabhängige Instanzen betrachtet werden, wenn sie der Regierungsweisung unterliegen. Zwar beziehen sich diese Entscheidungen auf spezielle Verfahrenssituationen, doch der dahinterstehende Gedanke ist allgemeiner Natur: Kernentscheidungen, die Rechte Beschuldigter beschränken, dürfen nicht von einer potentiell weisungsabhängigen Behörde alleine getroffen werden.

Darüber hinaus formulieren internationale Gremien Standards für die Unabhängigkeit der Strafverfolgung. Die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) des Europarats hat wiederholt die Mitgliedstaaten aufgefordert, für strukturelle Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften zu sorgen, um politische Einflussnahme zu vermeiden[24]. Auch die EU-Kommission prüft in ihren regelmäßigen Rechtsstaatsberichten die Organisation der Justiz und gibt länderspezifische Empfehlungen, die u. a. die Stellung der Staatsanwaltschaft betreffen[24]. In diesem Zusammenhang steht Deutschland aufgrund seines klassischen Modells unter Beobachtung: Während die Bundesrepublik insgesamt als gefestigter Rechtsstaat gilt, wurde die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft im europäischen Vergleich zunehmend als Anachronismus wahrgenommen[11]. Das europäische Leitbild tendiert klar zu mehr institutioneller Autonomie der Strafverfolger. Der Deutsche Richterbund weist ausdrücklich darauf hin, dass ein fortbestehendes exekutives Einzelweisungsrecht „in keiner Weise europarechtlichen Vorgaben entspricht“[12]. Es sei weder vom Grundgesetz gefordert, noch vereinbar mit den Anforderungen an eine „wetterfeste“ (d. h. auch gegen politischen Sturm gefestigte) Justiz[12]. Rechtsstaatlich gesehen ist die Ideallinie also eindeutig: Staatsanwälte sollen unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet handeln, um Gleichheit vor dem Gesetz und unparteiische Strafverfolgung zu gewährleisten. Jede Form von politischer Weisungsbefugnis steht dem grundsätzlich entgegen und muss – so der Tenor internationaler Bewertungen – zumindest engsten Grenzen unterworfen sein, wenn nicht gar abgeschafft werden.

5. Vergleich mit anderen Staaten

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass verschiedene Rechtsordnungen sehr unterschiedlich mit der Stellung der Staatsanwaltschaft verfahren. Historisch gibt es kein einheitliches Modell – die Systeme reichen von voller Einbindung in die Exekutive bis hin zur nahezu richterlichen Unabhängigkeit. Im Folgenden werden exemplarisch die Modelle der USA, Frankreich und Italien betrachtet, um das deutsche System in der rechtsvergleichenden Perspektive einzuordnen.

USA

In den Vereinigten Staaten sind Staatsanwälte klar Teil der Exekutive und oftmals politisch engagiert. Auf Bundesebene gehören alle U.S. Attorneys (Bundesstaatsanwälte) zum Justizministerium (Department of Justice)[25]. Sie werden vom Präsidenten ernannt und vom Senat bestätigt, in der Regel zeitgleich mit dem Präsidentenwechsel ausgetauscht[26]. An der Spitze steht der Attorney General, der zugleich Justizminister ist – ein politischer Beamter, der vom Präsidenten jederzeit entlassen werden kann[27]. Diese personelle Identität von oberstem Bundesstaatsanwalt und Regierungsmitglied führt regelmäßig zu Debatten, ob der Attorney General primär dem Gesetz oder doch dem Präsidenten „dient“[27]. Faktisch besitzt der Präsident (über den Justizminister) die Weisungsbefugnis über die Bundesstaatsanwälte, was theoretisch eine starke politische Steuerung zulässt. Allerdings wird in den USA traditionell Wert auf die politische Verantwortlichkeit gelegt: Missbraucht ein Präsident oder Justizminister die Strafverfolgung zu offensichtlich politischen Zwecken, erfolgt meist öffentliche Kritik, Kongressanhörungen oder – im Extremfall – die Abberufung verantwortlicher Akteure. Auf Bundesstaaten-Ebene sind viele Staatsanwälte (District Attorneys) sogar direkt gewählt und unterliegen keiner Weisung des U.S. Attorney General[28]. Dadurch sind sie zwar dem politischen Wahlprozess und lokalen politisch-gesellschaftlichen Erwartungen ausgesetzt, aber nicht hierarchisch einem Minister untergeordnet[28]. Das US-System betont somit die demokratische Kontrolle: Staatsanwälte sind der Exekutive zugeordnet, jedoch durch Wahlen oder politische Ernennungen dem Wählerwillen bzw. der politischen Führung verantwortlich. Eine feste Unabhängigkeit wie bei Richtern besteht nicht – im Gegenteil, man erkennt offen an, dass Strafverfolgung Teil der Politik ist (z. B. setzen gewählte District Attorneys eigene Schwerpunkte nach Wählerauftrag). Allerdings existieren starke informelle Normen, die eine unzulässige Einflussnahme begrenzen sollen (Stichwort: prosecutorial ethics). Insgesamt zeigt das Beispiel USA ein Modell, in dem die politische Verantwortlichkeit der Strafverfolgung höher gewichtet wird als eine strukturelle Unabhängigkeit. Anders als in Deutschland wird die Durchsetzung des Rechts hier also eher durch checks and balances sowie öffentliche und mediale Kontrolle sichergestellt, denn durch institutionelle Weisungsfreiheit.

Frankreich

Die französische Staatsanwaltschaft (Parquet) hat traditionell – ähnlich wie die deutsche – eine hierarchische Struktur mit Anbindung an die Exekutive. Der französische Justizminister war lange Zeit befugt, sowohl allgemeine Weisungen als auch Einzelweisungen an die Staatsanwälte zu erteilen. Allerdings gab es in den letzten Jahrzehnten bedeutende Reformen zur Stärkung der Unabhängigkeit. Insbesondere seit 2014 gilt, dass der Justizminister keine Einzelweisungen in konkreten Verfahren mehr erteilen darf[29]. Er kann lediglich noch allgemeine Vorgaben zur Strafrechtspolitik machen (politique pénale), etwa durch Rundschreiben, um eine einheitliche Verfolgungspraxis zu fördern[29]. Die interne Hierarchie (Weisungen von vorgesetzten Staatsanwälten, etwa vom Generalstaatsanwalt an nachgeordnete Staatsanwälte) besteht fort, aber dies wird als weniger problematisch angesehen, solange die Regierung selbst nicht in Einzelfälle eingreift[30]. Die Reform von 2014 war eine Reaktion auf anhaltende Kritik, auch aus der Justiz selbst – so protestierten zuvor zahlreiche französische Staatsanwälte gegen politische Einflussnahmen[31]. Die Änderungen haben bewirkt, dass der EuGH die französischen Staatsanwaltschaften trotz fortbestehender administrativer Anbindung als hinreichend unabhängig einstuft, um Europäische Haftbefehle auszustellen[30]. Aus europäischer Sicht war entscheidend, dass keine Einzelfallsteuerung durch die Exekutive mehr droht[30]. Gleichwohl gehören die Staatsanwälte in Frankreich weiterhin zum corps judiciaire (Justizkörper), aber mit Statusunterschieden zu Richtern: Ihre Karriere untersteht teilweise dem Conseil Supérieur de la Magistrature (Justizrat), und sie teilen gewisse Garantien mit Richtern, doch sind sie nicht völlig unversetzbar und unabhängig im gleichen Ausmaß. Frankreich verkörpert damit ein Hybridmodell: Die Staatsanwaltschaft ist zwar institutionell eigenständig(er) geworden und weniger politisch beeinflussbar, bleibt aber strukturell-hierarchisch organisiert und dem Garde des Sceaux (Justizminister) unterstellt, was etwa Verwaltung und Ressourcen betrifft. Dieser Kompromiss soll einerseits die Einheitlichkeit der Strafverfolgung im Sinne der Regierungspolitik gewährleisten, andererseits die Unparteilichkeit in der einzelnen Sache schützen. In der Praxis genießen französische Staatsanwälte heute erheblich mehr De-facto-Autonomie als früher, und offene Ministerweisungen in Fällen gehören der Vergangenheit an – ein klarer Unterschied zum bislang gültigen deutschen Modell.

Italien

Die italienische Staatsanwaltschaft bildet einen starken Kontrast zum deutschen System. Sie ist verfassungsrechtlich unabhängig und wird als integraler Teil der gerichtlichen Gewalt betrachtet[32]. Die italienische Verfassung stellt Staatsanwälte und Richter auf eine Stufe: Beide gehören zur sogenannten ordentlichen Gerichtsbarkeit, und Staatsanwälte sind „unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“[32]. Das Justizministerium in Rom hat keinerlei Weisungs- oder Direktionsrecht gegenüber den Staatsanwälten[33]. Personalfragen (Ernennungen, Beförderungen, Versetzungen) werden vom Consiglio Superiore della Magistratura (Oberster Justizrat) entschieden, einem unabhängigen Gremium, das mehrheitlich von Richtern und Staatsanwälten selbst gewählt wird. Damit ist institutionell sichergestellt, dass die Strafverfolger völlig frei von Regierungseinflüssen arbeiten können. Auch das Parlament hat keine Möglichkeit, der Staatsanwaltschaft in bestimmte Fälle hineinzureden – es kann allenfalls allgemeine Informationen erfragen[34]. Grundlage dieser strikten Trennung ist das italienische Verständnis von Gewaltenteilung: Weil die Staatsanwaltschaft Teil der Judikative ist, wäre jede Einmischung der Exekutive ein Verstoß gegen die Verfassungsordnung[35]. Das italienische System fußt zudem auf dem Legalitätsprinzip ohne politische Opportunität – theoretisch muss jede Straftat verfolgt werden, was den Ermessensspielraum (und damit potenzielle politische Einflussmöglichkeiten) einschränkt. In der Praxis haben italienische Staatsanwälte in der Vergangenheit auch hochrangige Politiker (bis hin zu Regierungschefs) angeklagt, was wiederholt politische Spannungen auslöste. Kritiker monieren gelegentlich, die italienische Staatsanwaltschaft sei zu unabhängig und entziehe sich einer demokratischen Kontrolle; Stichwort ist hier die Gefahr einer „Selbstherrlichkeit“ oder Politisierung innerhalb der Justiz. Dennoch gilt das italienische Modell international als Vorbild für die Absicherung staatsanwaltschaftlicher Unabhängigkeit. Kein Regierungsmitglied kann – legal – Einfluss darauf nehmen, ob ein Verfahren eröffnet, geführt oder eingestellt wird. Gewaltenteilig ist diese strikte Unabhängigkeit dadurch legitimiert, dass die Legitimation der Staatsanwälte wie die der Richter allein aus dem Gesetz und letztlich aus der richterlichen Ernennungskontrolle durch den CSM fließt. Italien zeigt somit eine extreme Gegenposition zum deutschen Ansatz: völlige Trennung der Strafverfolgung von der Regierung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Deutschland bislang eher am französischen Vormodell (Exekutivanbindung) orientiert war, während Länder wie Italien die Strafverfolgung als genuine Aufgabe einer unabhängigen Justiz begreifen. Die USA wiederum betonen die politische Verantwortlichkeit und haben keine Bedenken, Staatsanwälte als Teil der Exekutive anzusehen – dort wird Unabhängigkeit eher durch dezentrale Strukturen und öffentlichen Diskurs als durch rechtliche Vorgaben erreicht.

6. Reformvorschläge und rechtspolitische Tragweite

Angesichts der dargelegten Probleme und internationalen Entwicklungen stehen in Deutschland seit langem Reformvorschläge zur Diskussion, um die Stellung der Staatsanwaltschaft neu auszutarieren. In jüngerer Zeit hat diese Debatte an Dringlichkeit gewonnen – nicht zuletzt durch den Druck europäischer Rechtsprechung und Empfehlungen. Im Wesentlichen bewegen sich die Reformideen auf folgendem Spektrum:

  • Transparenz und Dokumentation: Ein Mindestkonsens ist, dass wenn Weisungen erfolgen, diese schriftlich begründet und aktenkundig sein müssen. Ein Gesetzentwurf des BMJV aus 2021 sah vor, alle ministeriellen Weisungen künftig schriftlich zu erteilen und zu begründen[36][37]. Ziel ist, Geheimweisungen zu erschweren und parlamentarische Nachprüfbarkeit zu erhöhen. Einige Bundesländer haben bereits freiwillig Transparenzregeln umgesetzt. Dies verbessert die Kontrolle, beseitigt aber nicht die Weisungsbefugnis an sich.
  • Inhaltliche Eingrenzung des Weisungsrechts: Ein häufig diskutierter Vorschlag ist, das Weisungsrecht gesetzlich auf rechtliche Fehlerkorrektur zu beschränken. So hat etwa Nordrhein-Westfalen in der Justizministerkonferenz angeregt, Weisungen nur noch bei offenbar fehlerhafter Rechtsanwendung zuzulassen[38]. Das hieße: Der Minister könnte eingreifen, wenn ein Staatsanwalt z. B. einen Rechtsbegriff falsch auslegt, nicht aber aus politischen oder opportunistischen Erwägungen. Ein aktueller Referentenentwurf schlägt in § 147 GVG n.F. vor, dass Weisungen nur zulässig sind, „soweit in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ein Entscheidungs- oder Beurteilungsspielraum besteht“ und „frei von sachfremden Erwägungen“ erfolgen dürfen[39]. Dies soll sicherstellen, dass es keine Weisung gegen eindeutige Gesetzespflichten gibt und politische Motive unzulässig sind – eine Art „Weisungsfilter“ im Gesetz. Kritiker bezweifeln jedoch, dass sich sachfremde Motive so kontrollieren lassen; de facto belässt auch dieser Ansatz weite Spielräume für ministerielle Einflussnahme[40].
  • Komplette Abschaffung des externen Weisungsrechts: Viele Stimmen aus Wissenschaft, Anwaltschaft und der Richterschaft fordern seit langem die völlige Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft. Dies würde bedeuten, § 146 GVG abzuschaffen oder zu ändern, so dass Justizministerien keine Befugnis mehr haben, einzelne Verfahren anzuordnen oder zu stoppen. Die Staatsanwaltschaft wäre dann ähnlich wie in Italien nur dem Gesetz verpflichtet und stünde insofern auf gleicher Stufe wie ein Gericht. Transparency International etwa verlangt ausdrücklich die „Beseitigung der Eingriffsbefugnis der Politik auf die Justiz“[11]. Der Deutsche Richterbund argumentiert, es sei „höchste Zeit“, die deutsche Justizstruktur an dieser Stelle gegen politischen Missbrauch zu „ertüchtigen“[12]. Durch eine Abschaffung des Weisungsrechts würde das Vertrauen in die Strafverfolgung gestärkt und den europäischen Standards entsprochen, so die Befürworter. Gegner einer vollständigen Loslösung warnen hingegen, dies könne zu einem Verlust demokratischer Steuerung führen: Staatsanwälte wären dann eine weitgehend unkontrollierte Macht. Als Gegenargument wird jedoch angeführt, dass auch unabhängige Staatsanwälte weiterhin einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen (etwa durch Klageerzwingungsverfahren, Dienstaufsicht in fachlicher Hinsicht oder Kontrolle durch einrichterliche Entscheidungen im Ermittlungsverfahren).
  • Institutionelle Neugestaltung: Eine Variante, die insbesondere in Österreich aktuell debattiert wird, ist die Schaffung eines von der Regierung losgelösten Leitungsorgans für die Staatsanwaltschaften. In Österreich empfiehlt eine Expertenkommission die Einrichtung einer Bundes- bzw. Generalstaatsanwaltschaft als oberste Weisungsbehörde, die aus mehreren hochrangigen Staatsanwälten besteht und anstelle des Justizministers Weisungen erteilen könnte[41]. Damit läge die fachliche Leitung innerhalb der Justiz selbst, und die unmittelbare Ministerverantwortung würde entfallen[41]. Ein ähnliches Modell wäre denkbar, indem man etwa einen vom Parlament gewählten unabhängigen Bundesanwalt einführt oder Kollegialgremien bildet. Dies stellt einen Kompromiss dar: völlige Unabhängigkeit nach außen, aber interne Hierarchie bleibt. Der Justizminister hätte dann keine fachliche Weisungsbefugnis mehr, behielte aber ggf. Aufsicht in Verwaltungsfragen. Ein solches Modell versucht, Unabhängigkeit und Verantwortlichkeit auszubalancieren – Verantwortlichkeit würde hier nicht mehr über die Regierung laufen, sondern über neue Gremien bzw. das Parlament (z. B. durch Wahl der Leitungsfiguren und Berichtspflichten).

Die rechtspolitische Tragweite jeder Reform ist erheblich. Eine völlige Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft wäre ein Paradigmenwechsel, der die deutsche Strafjustiz landschaftlich verändern würde. Es würde Deutschland in Einklang mit den strengsten rechtsstaatlichen Standards bringen und den europäischen Forderungen Genüge tun. Allerdings müsste ein neues Gleichgewicht in der demokratischen Legitimation gefunden werden. Möglicherweise käme vermehrt der parlamentarischen Kontrolle ex post (z. B. Untersuchungsausschüsse bei Fehlentwicklungen, regelmäßige Berichte der Generalstaatsanwaltschaft ans Parlament) größere Bedeutung zu, um das Fehlen ministerieller Eingriffsmöglichkeiten auszugleichen.

Teillösungen wie mehr Transparenz oder begrenzte Weisungsbefugnisse wären leichter umzusetzen (benötigen nur einfache Gesetzesänderung, keine Verfassungsänderung) und könnten kurzfristig Vertrauen schaffen. Allerdings kritisiert der DRB, der aktuelle RefE zur Transparenz von Weisungen sei nur „kosmetisch“ und belasse es im Kern beim Alten[42]. Ohne eine substanzielle inhaltliche Beschränkung bleibe praktisch „das gesamte staatsanwaltschaftliche Handeln weiterhin einer exekutiven Kontrolle unterworfen“[43]. Mit anderen Worten: Halbherzige Reformen laufen Gefahr, Scheinunabhängigkeit zu schaffen, ohne das Spannungsverhältnis wirklich zu lösen[44].

Aus rechtsstaatlicher Sicht wäre die Stärkung der Unabhängigkeit ein Gewinn an Neutralität und Glaubwürdigkeit der Strafverfolgung. Internationale Beispiele zeigen, dass unabhängige Modelle funktionieren, aber auch ihrer eigenen Kontrolle bedürfen (z. B. in Italien Debatten um interne Politisierung der Justiz). Es geht letztlich um die Frage, welchem Wert man den Vorrang gibt: demokratische Steuerung vs. richterliche Unabhängigkeit in der Strafverfolgung.

Die aktuelle Tendenz – auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2021–2025 – weist darauf hin, dass Deutschland sich zumindest schrittweise in Richtung mehr Unabhängigkeit bewegen will. Dort ist festgehalten, man wolle “das Weisungsrecht in seiner bisherigen Form überdenken und Transparenz herstellen”. Konkrete Schritte bleiben abzuwarten. Jedenfalls hat der Europäische Druck den Reformwillen befördert. Es scheint absehbar, dass das „anachronistische“ Bild der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft in der deutschen Rechtsordnung nicht unverändert bestehen bleiben wird. Die Herausforderung wird darin liegen, Reformen so zu gestalten, dass sie sowohl den rechtsstaatlichen Ansprüchen an Unabhängigkeit genügen als auch die Legitimation und Effizienz der Strafverfolgung sichern.

Fazit

Die Weisungsabhängigkeit der Staatsanwaltschaft stellt einen historischen Sonderweg dar, der im Lichte der Gewaltenteilung immer schwerer zu rechtfertigen ist. Verfassungsrechtlich erlaubt, aber nicht vorgeschrieben, gerät sie zunehmend unter Rechtfertigungsdruck, weil sie potentiell politische Einflussnahme auf die Strafjustiz zulässt. Die kritische Analyse zeigt, dass dieses System Spannungen mit dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit birgt und den Anschein der Unparteilichkeit der Strafverfolgung beeinträchtigen kann. Internationale Vergleiche und Urteile untermauern die Forderung, die Strafverfolgung von politischer Weisung freizuhalten, um den Rechtsstaat zu stärken. Ob Deutschland den Schritt zu einer unabhängigen Staatsanwaltschaft vollzieht, ist letztlich eine rechtspolitische Weichenstellung – sie betrifft den Kernbereich, wie viel Einfluss die Regierung auf die Dritte Gewalt (bzw. das der Dritten Gewalt zugeordnete Ermittlungsverfahren) ausüben darf. Die Diskussion darüber ist im vollen Gange und wird die Justizreformen der kommenden Jahre maßgeblich prägen.

Quellen: Die Analyse basiert auf den genannten gesetzlichen Bestimmungen sowie auf aktueller Literatur und Rechtsprechung, u. a. Bundestags-Dokumentationen zur Weisungsbefugnis[1][3][5][7], Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes[16][12][38], Veröffentlichungen von Transparency International[10][11], Berichten von Legal Tribune Online[9], rechtsvergleichenden Darstellungen (Österreichisches Parlament)[32][27] sowie maßgeblichen Urteilen des EuGH und EGMR[17][23], die alle die wachsende Bedeutung einer unabhängigen Strafverfolgung im modernen Rechtsstaat hervorheben.

 

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