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GO-SH: Abwahl eines Bürgermeisters – Teil 2

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GO-SH: Abwahl eines Bürgermeisters – Teil 2

SH Fahne

Demokratisch gewählter Bürgermeister steht demokratisch gewählter Gemeindevertretung gegenüber.

Kompetenzabgrenzung – Anspruch – Praxis


 

Kompetenzabgrenzung in der Gemeindeordnung

In § 27 Abs. 1 Go-SH sind die Aufgaben der Gemeindevertretung ( dies gilt analog für Städte) festgehalten:

  • Die Gemeindevertretung legt die Ziele und Grundsätze für die Verwaltung der Gemeinde fest. Sie trifft alle für die Gemeinde wichtigen Entscheidungen in Selbstverwaltungsangelegenheiten und überwacht ihre Durchführung, soweit dieses Gesetz keine anderen Zuständigkeiten vorsieht. Sie kann Entscheidungen, auch für bestimmte Aufgabenbereiche, allgemein. durch die Hauptsatzung oder im Einzelfall durch Beschluss auf den Hauptausschuss, einen anderen Ausschuss oder die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister übertragen, soweit nicht § 28 entgegensteht.

In § 55 bzw. § 65 GO-SH sind die Aufgaben hauptamtlicher Bürgermeister geregelt:

  • (1) Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister leitet die Verwaltung der Gemeinde in eigener Zuständigkeit nach den Zielen und Grundsätzen der Gemeindevertretung und im Rahmen der von ihr bereitgestellten Mittel. Sie oder er ist für die sachliche und wirtschaftliche Erledigung der Aufgaben, die Organisation und den Geschäftsgang der Verwaltung sowie für die Geschäfte der laufenden Verwaltung verantwortlich. Sie oder er ist oberste Dienstbehörde und Dienstvorgesetzte oder Dienstvorgesetzter der Beschäftigten der Gemeinde…………..
  • (2) Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister gliedert die Verwaltung in Sachgebiete und weist diese den ihr oder ihm unterstellten Beschäftigten zu; sie oder er kann auch selbst ein Sachgebiet übernehmen.
  • (3) Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister legt ihren oder seinen Vorschlag zur Verwaltungsgliederung und Vorschläge zur Änderung der Verwaltungsgliederung der Gemeindevertretung vor. Diese kann dem Vorschlag widersprechen. Der Beschluss bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreterinnen und -vertreter. Widerspricht die Gemeindevertretung dem Vorschlag der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters, so hat diese oder dieser der Gemeindevertretung einen neuen Vorschlag vorzulegen.
  • (4) Dringende Maßnahmen, die sofort ausgeführt werden müssen, ordnet die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister für die Gemeindevertretung und für die Ausschüsse an. Sie oder er darf diese Befugnis nicht übertragen. Die Gründe für die Eilentscheidung und die Art der Erledigung sind der Gemeindevertretung oder dem Ausschuss unverzüglich mitzuteilen. Die Gemeindevertretung oder der Ausschuss kann die Eilentscheidung aufheben, soweit nicht bereits Rechte Dritter entstanden sind.
  • (5) Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister führt die Aufgaben durch, die der Gemeinde zur Erfüllung nach Weisung übertragen sind, und ist dafür der Aufsichtsbehörde verantwortlich. Soweit die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister bei der Durchführung dieser Aufgaben nach Ermessen handeln kann, kann sie oder er sich von den Ausschüssen der Gemeindevertretung beraten lassen.

Damit sollte die wechselseitige Zusammenarbeit zwischen Selbstverwaltung und Verwaltung eigentlich ausreichend definiert sein, allein der Anspruch schafft noch keine Zusammenarbeit zum Wohle der Bürger.

 

Anspruch an Bürgermeister und Politik

Der Bürger wählt in die Gemeindevertretung politische Vertreter, die seine Vorstellungen von Zielen in der Kommunalpolitik umsetzen sollen.

  • § 31 Abs. 1 GO-SH; Die Gemeindevertretung besteht aus gewählten Vertreterinnen und Vertretern (Gemeindevertreterinnen und -vertretern). Sie heißen in Städten Stadtvertreterinnen und -vertreter; die Hauptsatzung kann eine andere Bezeichnung vorsehen.

Der Bürger wählt einen Bürgermeister, der aus Sicht des Bürgers die dienende Funktion der Verwaltung optimiert.

  • § 57 Abs. 1 GO-SH: Die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister wird von den Bürgerinnen und Bürgern in allgemeiner, unmittelbarer, freier; gleicher und geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl gewählt.

Wie verträgt sich aber der zu Recht erhobene Anspruch der Bürger an Politik und Bürgermeister, wenn unterschiedliche Interessenlagen aus der Wahrnehmung der zugewiesenen Aufgaben entstehen?

Dazu eine Geschichte in einer fiktiven Gemeinde in SH:

Die Geschichte von Hohenwald

Hohenwald ist eine malerische Gemeinde in Schleswig-Holstein, bekannt für ihre idyllische Landschaft und das enge Gemeinschaftsgefühl ihrer Einwohner. Mit einer Bevölkerung von etwa 7.500 Menschen ist die Gemeinde traditionell landwirtschaftlich geprägt, hat aber auch eine wachsende lokale Wirtschaft.

Der neue Bürgermeister

In den letzten Kommunalwahlen wurde Klaus Fischer zum Bürgermeister gewählt. Klaus trat mit dem Versprechen an, die Verwaltung zu straffen und die Finanzen der Gemeinde zu sanieren. Besonders die finanzielle Lage der Gemeinde war ein großes Thema, da sich in den letzten Jahren ein erhebliches Defizit angesammelt hatte. Klaus, ein erfahrener Verwaltungsfachmann, plante umfassende Reformen.

Der Konflikt

Ein zentrales Element von Klaus‘ Reformplan war die Abschaffung des „Hohenwald Vereins für Wirtschaft und Kultur“ (HVWK). Der Verein, in dem fast alle Gemeindevertreter und ein Großteil der lokalen Wirtschaft engagiert waren, wurde von Klaus als ineffektiv und kostspielig angesehen. Er argumentierte, dass die Mittel, die in den Verein flossen, besser für die direkte Verbesserung der Gemeinde genutzt werden könnten.

Die Gemeindevertreter und Mitglieder des Vereins sahen dies jedoch anders. Sie betrachteten den HVWK als Herzstück des sozialen und wirtschaftlichen Lebens in Hohenwald. Der Konflikt spitzte sich zu, als Klaus offiziell die Auflösung des Vereins vorschlug.

Die Abwahl

Auf Grundlage der Gemeindeordnung Schleswig-Holstein (GO-SH) beschlossen die Gemeindevertreter, ein Abwahlverfahren gegen Klaus einzuleiten. Die GO-SH ermöglicht es der Selbstverwaltung einen Bürgermeister abwählen zu lassen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind und ohne Anwendung der Wahlgrundsätze, weil das Verfahren entsprechend der Grundsätze für den Bürgerentscheid durchzuführen ist.

Klaus wurde beschuldigt, unredlich gehandelt zu haben. Zwei Strafanzeigen und zahlreiche Vorwürfe im Rahmen eines Disziplinarverfahrens wurden gegen ihn erhoben. Trotz seiner Bitte, den Abwahltermin bis zur Klärung der Vorwürfe zu verschieben, wurde die Abwahl durchgeführt. Die Gemeindevertretung begründete dies mit dem dringenden Bedürfnis, das Vertrauen in die Gemeindeverwaltung wiederherzustellen.

Die Wahrheit kommt ans Licht

Nach der Abwahl von Klaus wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durchgeführt. Es stellte sich heraus, dass alle Anschuldigungen gegen ihn haltlos waren. Die Ermittlungen ergaben, dass die Vorwürfe von einer Gruppe von Gemeindevertretern inszeniert worden waren, die ihren Einfluss im HVWK und die bisherigen Strukturen der Gemeindeverwaltung nicht verlieren wollten.

Reflexion

Diese fiktive Geschichte basiert auf den rechtlichen Rahmenbedingungen und den typischen Abläufen in der Kommunalpolitik, wie sie durch die Gemeindeordnung Schleswig-Holstein (GO-SH) vorgegeben werden. Sie illustriert die Komplexität von Verwaltungsreformen und die potenziellen Machtkämpfe, die daraus entstehen können.

 

Das Abwahlverfahren ist in §57d der GO-SH geregelt und dort steht in Absatz 2:

Für die Durchführung des Abwahlverfahrens sind die Vorschriften über den Bürgerentscheid sinngemäß anzuwenden. Nach Einleitung eines Abwahlverfahrens kann die Gemeindevertretung beschließen, dass die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister ihre oder seine Dienstgeschäfte bis zur Veröffentlichung des Abstimmungsergebnisses durch die Abstimmungsleiterin oder den Abstimmungsleiter nicht führen darf. Der Beschluss bedarf der Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Gemeindevertreterinnen und -vertreter.

Das Verwaltungsgericht Schleswig stellt dazu in einem Beschluß vom 28.5.2024 – Az.: 6 B 9/24 fest:

„Im Rahmen des eingeleiteten Abwahlverfahrens ist jedoch zu beachten, dass § 57d Abs. 2 Satz 2 GO auf die Vorschriften des Bürgerentscheids verweist. Bei der Durchführung eines Bürgerentscheids muss zwar – nicht anders als beim Grundsatz der Wahlfreiheit – der am Bürgerbegehren und Bürgerentscheid teilnehmende Bürger sein Unterschrifts- und Abstim­ mungsrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen ausüben können. Er soll sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen können. Allerdings unterliegen die gemeindlichen Organe im Zusammenhang mit der Durchführung eines Bürgerentscheids im Grundsatz keiner Neutralitätspflicht wie bei Wah­len, weil die Gemeindevertretung auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen das Abwahlverfahren initiieren.“

Weiter heißt es: „ Bei der Vorbereitung und Durchführung des Abwahlverfahrens sind die kommunalen Organe daher lediglich an das Sachlichkeitsgebot gebunden.“

Bedeutung in der Praxis

§ 16g Abs. 6 GO-SH: Wird ein Bürgerentscheid durchgeführt, muss die Gemeinde den Bürgerinnen und Bürgern die Standpunkte und Begründungen der Gemeindevertretung oder des zuständigen Ausschusses und der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens in gleichem Umfange schriftlich darlegen. Mit der Abstimmungsbenachrichtigung wird den Stimmberechtigten eine Information zugestellt, in der der Abstimmungsgegenstand sowie die Standpunkte und Begründungen der Gemeindevertretung und der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens in gleichem Umfang dargelegt sind.

Dies bedeutet:

Anwendung von § 16g GO-SH

§ 16g GO-SH fordert, dass bei einem Bürgerentscheid die Standpunkte und Begründungen sowohl der Gemeindevertretung als auch der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens den Bürgern in gleichem Umfang schriftlich dargelegt werden müssen. Diese Informationen werden mit der Abstimmungsbenachrichtigung versandt.

Aber auf welcher Seite ist in diesem Fall der Bürgermeister im Rahmen eines Abwahlverfahrens? Er kommt schlicht nicht vor! Da die Neutralitätspflicht laut VG Schleswig – siehe oben – nicht anzuweden ist. kann dem abzuwählenden Bürgermeister jeder Zugangn zu amtlichen Bekanntmachungen und Darstellungen verwehrt werden. Er muß das Handeln der Gemeindevertretung hinnehmen und kann sich nicht auf der selben Ebene wehren und Bürger informieren. Die „Waffengleichheit“ ist aufgehoben.

Die Begründung für das Abwahlverfahren selbst muß keinen bestimmten inhaltlichen Anforderungen genügen, sie muß nur sachlich bleiben. Allein die Darstellung eines scheinbaren Vertrauensverlustes seitens der Gemeindevertretung ist ausreichend.

Vereinbarkeit mit den freien Wahlgrundsätzen

  1. Allgemeinheit und Unmittelbarkeit:

    • Die Regelungen im § 16g GO-SH beeinflussen diese Grundsätze nicht direkt. Jeder wahlberechtigte Bürger hat weiterhin das Recht, am Bürgerentscheid teilzunehmen.
  2. Freiheit der Wahl:

    • Die Informationspflicht soll sicherstellen, dass die Bürger umfassend informiert sind, was zur Freiheit der Wahl beiträgt. Nur durch die Bereitstellung objektiver Informationen zu beiden Seiten des Anliegens wäre sichergestellt, dass die Bürger ihre Entscheidung ohne unzulässigen Druck treffen können.
  3. Gleichheit:

    • Nur durch eine gleichwertige Darstellung der Standpunkte und Begründungen beider Seiten wird der Gleichheitsgrundsatz gewahrt. Jede Seite müßte die gleiche Möglichkeit erhalten, ihre Position darzulegen, sodass keine Partei bevorzugt wird.
  4. Geheimheit:

    • Die Informationspflicht berührt die Geheimhaltung der Wahl nicht. Die Wahl selbst bleibt geheim und wird durch die Bereitstellung von Informationen nicht beeinträchtigt.

Fazit

Das Abwahlverfahren für Bürgermeister in der GO-SH führt nicht zu einer Gleichwertigkeit der frei gewählten Organe einer Gemeinde – dem Bürgermeister und der Gemeindevertretung.

Das Abwahlverfahren begünstigt die Macht der Gemeindevertretung im Verhältnis zum Bürgermeister und begrenzt damit die Möglichkeiten der Bürger, über einen frei gewählten Bürgermeister Veränderungen in einer Gemeinde herbeiführen zu können.

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