Überblick über Recht – Wirtschaft – Politik

KW 19 – Themen:
Erbrecht
Das Europäische Nachlasszeugnis als Nachweis für Erbfolge
OLG Bremen Beschluss vom 18.04.2024 – 3 W 10/24
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer möchte als alleiniger Erbe nach dem Tod seiner Mutter, Frau X, in das Wohnungsgrundbuch eingetragen werden. Frau X, die in Spanien verstarb, hinterließ ein gemeinsames Testament mit ihrem verstorbenen Ehemann, das in Deutschland eröffnet wurde. Das Amtsgericht Bremen, zuständig für die Testamentseröffnung, forderte den Beschwerdeführer auf, das Grundbuch zu berichtigen und die nötigen Dokumente zu beschaffen. Allerdings erkannte das Grundbuchamt das vom Beschwerdeführer eingereichte Europäische Nachlasszeugnis nicht an, da es das deutsche Testament von 1992 nicht erwähnte. In einer weiteren Entscheidung wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, ein aktualisiertes Nachlasszeugnis vorzulegen, um seine Erbschaftsansprüche zu belegen, da das vorhandene Zeugnis aufgrund formeller Mängel und Unvollständigkeit abgelehnt wurde.
Entscheidung:
Das Gericht hat die Beschwerde des Beschwerdeführers als zulässig und begründet anerkannt und entschieden, dass das Grundbuchamt das vorgelegte Europäische Nachlasszeugnis vom 28. Oktober 2022 anerkennen muss. Es wurde festgestellt, dass das Grundbuchamt zu Unrecht die Vorlage eines neuen Europäischen Nachlasszeugnisses oder eines Erbscheins gefordert hat. Laut Entscheidung des Gerichts erbringt das vorhandene Nachlasszeugnis den vollen Beweis für die Erbenstellung des Beschwerdeführers gemäß der Europäischen Erbrechtsverordnung und der deutschen Grundbuchordnung. Darüber hinaus hat das Gericht klargestellt, dass die Eintragung des Beschwerdeführers als Erbe seiner Mutter im Grundbuch auf der Grundlage dieses Nachlasszeugnisses erfolgen muss, ohne dass es auf die von der Behörde geäußerten Bedenken ankommt, da die im Zeugnis und im deutschen Testament angegebene Erbfolge übereinstimmt.
Arbeitsrecht
Befristet und unbefristete Arbeitsverträge sind gleich zu behandeln
EuGH Urteil vom 20.2.2024 – C-715/20
Sachverhalt:
K. L. hatte einen befristeten Teilzeitarbeitsvertrag mit X vom 1. November 2019 bis zum 31. Juli 2022. Dieser Vertrag wurde jedoch von X am 15. Juli 2020 mit einer Kündigungsfrist von einem Monat gekündigt, ohne dass K. L. Gründe für die Kündigung genannt wurden. Daraufhin reichte K. L. beim polnischen Gericht in Krakau eine Klage ein, indem er geltend machte, die Kündigung sei formfehlerhaft und ungerechtfertigt.
Das Gericht in Krakau hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Es geht insbesondere darum, ob die Regelung des nationalen Rechts, die keine schriftliche Begründung einer Kündigung bei befristeten Verträgen vorschreibt, mit dem EU-Recht vereinbar ist. Zusätzlich wurde gefragt, ob die allgemeinen Grundsätze der Nichtdiskriminierung gemäß EU-Recht horizontale Wirkung haben und somit in Rechtsstreitigkeiten zwischen privaten Parteien angewendet werden können.
Entscheidung:
Der EuGH entschied am 20. Februar 2024, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung widerspricht, die es erlaubt, befristete Arbeitsverträge ohne Begründung zu kündigen, während bei unbefristeten Verträgen Kündigungsgründe angegeben werden müssen. Diese Praxis verletzt das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, da sie befristet Beschäftigten wichtige Informationen vorenthält, die für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung und für eine mögliche rechtliche Auseinandersetzung entscheidend sind. Das nationale Gericht muss daher die entsprechende nationale Regelung unangewendet lassen, wenn sie nicht in Einklang mit dem Unionsrecht gebracht werden kann.
Beamtenrecht
COVID-Impfung als Dienstunfall
VG Bremen, Urteil vom 5.02.2024 – 7 K 1464/22
Sachverhalt:
Eine Polizeibeamtin aus Bremen, die während ihrer Elternzeit im Mai 2021 eine COVID-19-Impfung erhielt, strebt die Anerkennung der daraus resultierenden gesundheitlichen Schäden als Dienstunfall an. Sie argumentiert, dass die Impfung im Rahmen einer von der Polizei Bremen organisierten und empfohlenen Kampagne stattfand und die Impfungen als dienstliche Veranstaltung galten. Die Polizei Bremen hatte zuvor in einem Mitteilungsblatt erklärt, dass Impfschäden grundsätzlich als Dienstunfall betrachtet werden könnten, sofern es sich um schwerere und langfristige Schäden handele.
Die zuständige Behörde, Performa Nord, lehnte jedoch die Anerkennung ab, da die Impfung nicht vollständig in der Verantwortung des Dienstherrn gelegen habe und nicht als dienstliche Veranstaltung angesehen werde. Auch während der Elternzeit der Klägerin sehe man keine dienstliche Verpflichtung oder Besoldungspflicht. Die Behörde argumentierte weiterhin, dass die Impfung, insbesondere während der Elternzeit, primär im Eigeninteresse der Klägerin gelegen habe und somit keine formelle Dienstbezogenheit bestehe.
Die Klägerin erhob Widerspruch gegen diesen Bescheid und führte aus, dass trotz der Elternzeit eine materielle Dienstbezogenheit der Impfung gegeben sei, da die Impfung der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Polizei Bremen diene. Trotz des Widerspruchs wurde der Bescheid von Performa Nord bestätigt, woraufhin die Klägerin Klage erhob und die Anerkennung ihres gesundheitlichen Schadens als Dienstunfall forderte.
Entscheidung:
Die Klage einer Polizeibeamtin aus Bremen, die die Anerkennung ihrer COVID-19-Impfung als Dienstunfall forderte, wurde als begründet angesehen. Die Impfung am 29. Mai 2021, die zu gesundheitlichen Schäden führte, wurde offiziell als Dienstunfall anerkannt. Der ursprüngliche Ablehnungsbescheid und der darauf folgende Widerspruchsbescheid wurden für rechtswidrig erklärt, da sie die Rechte der Klägerin verletzten.
Obwohl die Behörde formell korrekt handelte, indem sie den Widerspruchsbescheid ausstellte, entschied das Gericht, dass die Impfung eine dienstliche Veranstaltung darstellte. Dies begründete sich durch die aktive Förderung der Impfung durch die Polizei Bremen, die Aufforderung zur Impfbereitschaft, die Übermittlung von Impfcodes sowie durch dienstliche Informationen, die die Impfung als Teil der Dienstzeit deklarierten. Zudem betonte das Gericht, dass die Impfung im dienstlichen Interesse lag, insbesondere im Hinblick auf die Pandemiesituation und die Funktionstüchtigkeit der Polizei.
Die Tatsache, dass die Klägerin während der Impfung in Elternzeit war, beeinträchtigte nicht die Anerkennung als Dienstunfall, da besondere, dienstbezogene Umstände hinzutraten, die die Impfung als dienstliche Veranstaltung qualifizierten. Die Impfung wurde als notwendig angesehen, um einen vollständigen Impfschutz vor dem Dienstantritt zu gewährleisten und das Risiko eines dienstbedingten Ausfalls zu minimieren.
Somit hat die Klägerin einen rechtlichen Anspruch darauf, dass ihre gesundheitlichen Schäden, die infolge der Impfung auftraten, als Dienstunfall anerkannt werden.
Schulrecht
Ausschluss von Schüler aufgrund von Verkauf von E-Zigaretten
VG Kassel, Urteil vom 2.2.2024 – 7 k 911/23.KS
Sachverhalt:
In diesem Fall handelt es sich um eine Achtklässlerin, die von ihrer Lehrerin dabei ertappt wurde, wie sie ihren Mitschülern E-Zigaretten verkaufte. Daraufhin entschied die Klassenkonferenz, eine Überweisung der Schülerin zu einem gleichen Bildungsgang an einer anderen Schule zu beantragen, was von der Schulleitung genehmigt wurde. Die Schülerin legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein. Sie argumentierte, dass es sich um einen einmaligen Vorfall gehandelt habe und sie nicht habe erkennen können, welche Konsequenzen ihr Handeln nach sich ziehen würde. Sie sei sich nicht bewusst gewesen, damit eine Regel überschritten zu haben. Ihrer Meinung nach hätte die Schule zunächst pädagogische Maßnahmen ergreifen müssen, wie Gespräche oder schriftliche Verwarnungen, bevor eine Überweisung in Erwägung gezogen wird. Die Schülerin sah darin einen Mangel an angemessener Ermessensausübung durch die Schule. Der Widerspruch wurde jedoch von der Schule abgelehnt, woraufhin der Fall vor das Verwaltungsgericht gebracht wurde.
Entscheidung:
Das Verwaltungsgericht (VG) entschied gegen die Schülerin, die gegen ihre Überweisung an eine andere Schule geklagt hatte. Das Gericht zweifelte daran, dass der Vorfall, bei dem die Schülerin E-Zigaretten an Mitschüler verkaufte, ein einmaliges Ereignis war. Dies begründete es damit, dass sie beim Erwischtwerden einen Zettel bei sich hatte, der auf mehrfache Verkäufe hinwies. Zudem glaubte das Gericht nicht, dass die Schülerin sich der Übertretung nicht bewusst war, insbesondere weil sie gegenüber ihrer Lehrerin falsche Angaben über den Kauf der E-Zigaretten durch ihre Mutter gemacht hatte.
Das VG sah auch keine mildernden Alternativen zur Überweisung, da frühere schriftliche Androhungen von Ordnungsmaßnahmen die Schülerin nicht von weiteren Regelverstößen abgehalten hatten. Eine schriftliche Androhung hätte laut Gericht auch keine abschreckende Wirkung auf andere Schüler gehabt, was jedoch nötig sei, um Nachahmungen zu verhindern.
Trotz der erkannten Belastungen, die ein Schulwechsel für die Schülerin mit sich bringt, sah das Gericht die Maßnahme als verhältnismäßig an, da die Schülerin die Situation selbst verursacht hatte. Das Gericht urteilte, dass die Entscheidung der Schulbehörde weder von Ermessensfehlern noch von Unangemessenheit geprägt war, und wies die Klage der Schülerin ab. Sie muss sich nun an die neue Schulumgebung anpassen.
News
Flug vorverlegt: BGH entscheidet
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Airlines Passagiere selbst und rechtzeitig über Annullierungen oder wesentliche Änderungen ihrer Flüge informieren müssen. Ein Passagier, der für eine Pauschalreise von Burgas nach Köln/Bonn eine Vorverlegung des Fluges von Mitternacht auf 04:30 Uhr erst bei der Sitzplatzreservierung erfuhr und dann die anderen Reiseteilnehmer informierte, führte zu einer Klage der betroffenen Passagiere. Sie forderten eine Ausgleichszahlung von jeweils 400 Euro, wovon das Landgericht Köln ihnen jeweils 329 Euro zusprach.
Der BGH bestätigte, dass die Vorverlegung eines Fluges um mehr als eine Stunde als Annullierung gilt und die Passagiere Anspruch auf Ausgleich gemäß der europäischen Fluggastrechteverordnung haben, wenn der Flug in einem EU-Mitgliedsstaat startet. Die Airline muss direkt informieren, und Informationen durch Dritte, wie Pauschalreiseveranstalter, reichen nicht aus, wenn nicht eindeutig ist, dass sie von der Airline stammen. Der BGH lehnte die Revision der Airline ab, sodass diese zur Zahlung verpflichtet wurde.