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Die USA als Hegemonialmacht?

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Die USA als Hegemonialmacht?

Satelliten

Von der Nachkriegsordnung bis zur Ära Trump

Die Rolle der USA als Hegemonialmacht wird nicht nur durch ihre militärische Präsenz, sondern auch durch ihren Einfluss auf internationale Institutionen und die Weltwirtschaft geprägt.

Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) spielen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine dominante Rolle in der internationalen Politik. Als Hegemonialmacht gestalten sie maßgeblich die globale Ordnung – politisch, wirtschaftlich, militärisch und ideologisch. Dieser Beitrag untersucht zunächst die Definition und Merkmale einer Hegemonialmacht. Anschließend werden die historischen Methoden und Strategien beleuchtet, mit denen die USA ihre Vormachtstellung ausgebaut haben – von Militärinterventionen und Allianzen wie der NATO bis zur Wirtschaftsmacht und Soft Power durch Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Wie haben sich diese hegemonialen Instrumente unter der Präsidentschaft von Donald Trump (Amtszeit 2017–2021) verändert oder fortgesetzt. Insbesondere wird auf Trumps Außenpolitik eingegangen – seine Haltung zur NATO, zu Handelsbeziehungen (etwa Zölle gegen China), zu multilateralen Institutionen sowie zum Sanktionsregime. Abschließend werden Kontinuitäten und Brüche im Vergleich zu früheren US-Regierungen herausgearbeitet: Welche klassischen Methoden blieben gleich, welche wurden aufgegeben oder neu interpretiert, und welche neuen Ansätze brachte Trump in die US-Hegemonialpolitik ein?

Was bedeutet Hegemonialmacht? – Definition und Merkmale

Eine Hegemonialmacht bezeichnet in der Politikwissenschaft einen Staat, der gegenüber anderen Staaten eine Vorherrschaft ausübt (Hegemonie – Staatslexikon). Diese Dominanz kann sich in verschiedenen Dimensionen manifestieren – häufig kombiniert:

  • Politisch: Hegemonialmächte übernehmen eine Führungsrolle im internationalen System. Sie setzen Standards und Regeln, dominieren diplomatische Prozesse und beeinflussen andere Regierungen direkt oder indirekt. Wichtig ist, dass formal alle Staaten souverän und gleich sind, die Hegemonialmacht aber de facto überproportionalen Einfluss und Autorität ausübt (). Oft prägt der Hegemon internationale Institutionen (z. B. Bündnisse oder Organisationen) und Regeln so, dass sie den eigenen Interessen entsprechen ().

  • Ökonomisch: Wirtschaftliche Überlegenheit ist ein Kernmerkmal. Ein Hegemon verfügt über eine immense Wirtschaftsleistung, technologische Führerschaft und Kontrolle wichtiger Ressourcen oder Handelswege (). Er kann Finanz- und Handelsregeln bestimmen und andere durch Marktmacht oder Sanktionen beeinflussen. So eine Machtstellung zeigt sich z. B. in einer Leitwährung (wie dem US-Dollar), der Kontrolle von Kreditinstitutionen und der Fähigkeit, global wirtschaftliche Krisen zu managen. Die untergeordneten Staaten sind in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung durch die Dominanz des Hegemons eingeschränkt (Hegemonie – Staatslexikon).

  • Militärisch: Hegemonialmächte besitzen überlegene militärische Kapazitäten. Dazu zählen ein großes Territorium und Bevölkerungsgröße (für Rekrutierungspotential), vor allem aber überragende Streitkräfte und Rüstungstechnologie (). Militärische Hegemonie zeigt sich in globaler Präsenz (Stützpunkte und Truppen in vielen Teilen der Welt) und der Fähigkeit, weltweit militärisch zu intervenieren. Wichtig ist, dass die Vormacht ihre militärische Stärke einsetzt, um ein internationales Machtgefälle aufrechtzuerhalten – oft ohne ernsthafte Gegenwehr anderer Großmächte. Idealerweise wird diese Überlegenheit von den anderen Staaten anerkannt, ohne dass es ständig zum Krieg kommen muss (Hegemonie | bpb.de).

  • Ideologisch/Kulturell: Neben „harter“ Macht (Militär und Ökonomie) spielt „Soft Power“ eine Rolle (). Darunter versteht man die Ausstrahlungskraft und Attraktivität der Werte, Kultur und Ideologie eines Hegemons (Beispiel: Hollywood-Filme, Musik, Lebensstil, politische Ideale) () (). Eine Hegemonialmacht prägt den politischen Diskurs und das „Normalverständnis“ von Ordnung. Antonio Gramsci sprach von kultureller Hegemonie – der Fähigkeit, konsensfähige Ideen und Narrative zu schaffen. Ein Hegemon wie die USA definiert z. B. maßgeblich, was als legitime Weltordnung gilt (etwa Demokratie, freie Marktwirtschaft) und versucht, dieses Modell weltweit zu verbreiten. Ideologische Führung kann Zustimmung erzeugen; so akzeptieren andere Staaten die Vormachtstellung eher freiwillig, wenn sie die Werte des Hegemons teilen oder von der von ihm geschaffenen Ordnung profitieren (Hegemonie | bpb.de). Allerdings kann Hegemonie auch gegen den Willen anderer durchgesetzt werden (Hegemonie – Staatslexikon) – dann stützt sie sich mehr auf Zwang als auf Zustimmung.

Zusammengefasst ist eine Hegemonialmacht ein „Primus inter Pares“ – der Erste unter Gleichen (). Formal sind alle Staaten gleich souverän, doch der Hegemon überragt die übrigen an Macht, Einfluss und Ressourcen. Wichtig ist, dass diese Vormachtstellung meist längerfristig besteht (). Kurzzeitige Überlegenheit (etwa ein temporärer militärischer Sieg) genügt nicht; Hegemonie manifestiert sich über Dekaden, in denen ein Staat fortwährend Führungsfunktionen im internationalen System ausübt.

Historische Strategien der USA zur Durchsetzung ihrer Vormachtstellung

Die USA haben ihre Rolle als globale Hegemonialmacht insbesondere seit 1945 aufgebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die USA unbestritten an der Spitze der westlichen Welt – ökonomisch unversehrt und mit großer militärischer Schlagkraft. Obwohl ab 1945 bis 1990 ein bipolares System mit der Sowjetunion bestand, dominierten die USA das westliche Bündnissystem und etablierten eine liberale Weltordnung nach ihren Vorstellungen (Hegemonie – Staatslexikon). Hier betrachten wir die wichtigsten Methoden und Strategien, mit denen die Vereinigten Staaten ihre hegemoniale Stellung gefestigt und ausgeweitet haben:

Militärische Machtprojektion und Sicherheitsallianzen

(Infographic: US military presence around the world | Infographic News | Al Jazeera) US-Militärpräsenz weltweit: Die USA unterhalten etwa 750 Militärstützpunkte in mindestens 80 Ländern (Stand 2021) und haben rund 173.000 Soldaten in 159 Staaten stationiert (Infographic: US military presence around the world | Infographic News | Al Jazeera). Kein anderes Land verfügt über ein derartig verzweigtes Netzwerk an Basen. Diese globale Präsenz ermöglicht es Washington, in nahezu jeder Weltregion schnell militärisch einzugreifen – ein zentrales Merkmal hegemonialer Macht.

Bereits kurz nach 1945 knüpften die USA ein dichtes Netz an Bündnissen. 1949 gründeten sie mit westlichen Partnern die NATO (North Atlantic Treaty Organization) als kollektives Verteidigungsbündnis (). Dieses Bündnis band die politischen und militärischen Schlüsselmächte Westeuropas an die USA und etablierte Amerika als Schutzmacht gegen die Sowjetunion. Auch in Asien schlossen die USA Sicherheitsverträge (z. B. mit Japan, Südkorea, Australien), um Einflusszonen abzusichern. Die NATO entwickelte sich mit der Zeit zu einem Instrument, mit dem die USA ihren globalen Anspruch untermauern: Trotz Wegfall der sowjetischen Bedrohung 1991 löste sich das Bündnis nicht auf, sondern expandierte nach Osten (). Heute ist die NATO eine von den USA geführte, global agierende Allianz, deren offizieller Auftrag über die Verteidigung Europas hinausgeht – etwa den Schutz weltweiter See- und Energieversorgungsrouten (). Über die NATO erhalten die USA ihren hegemonialen Status aufrecht (), indem sie Verbündete einbinden und im Ernstfall anleiten.

Neben formellen Allianzen setzten die USA auch auf militärische Interventionen und Machtprojektion: Während des Kalten Krieges intervenierten sie z. B. im Koreakrieg (1950–53) und Vietnamkrieg (1964–73), um die Ausbreitung des Kommunismus einzudämmen. In Lateinamerika und dem Nahen Osten unterstützten sie teils Regimewechsel (z. B. Iran 1953, Guatemala 1954, Chile 1973) oder griffen militärisch ein (Invasion in der Dominikanischen Republik 1965, Libanon 1958 und 1982–84, Grenada 1983, Panama 1989), um Regierungen an die eigene Linie anzupassen. Diese Interventionspolitik setzte sich nach 1990 fort: Golfkrieg 1991 zur Verteidigung der Ölversorgung in Kuwait, NATO-Intervention in Jugoslawien 1999 (auf Drängen der USA) (), Krieg in Afghanistan 2001 und der Irakkrieg 2003 sind Beispiele. Ob mit oder ohne UN-Mandat – die USA zeigten die Bereitschaft, notfalls auch unilateral militärische Gewalt einzusetzen, um ihre Interessen durchzusetzen. Dabei beriefen sie sich ideologisch oft auf die Rolle als „Hüter der Weltordnung“ (z. B. Verteidigung von Freiheit, Bekämpfung des Terrorismus), selbst wenn das Vorgehen völkerrechtlich umstritten war.

Zusätzlich zur reinen Gewaltprojektion bilden die USA durch ihre Militärpräsenz ein Abschreckungsdispositiv. Die Stationierung von Truppen etwa in Deutschland, Japan oder Südkorea dient nicht nur dem Schutz dieser Staaten, sondern signalisiert potenziellen Gegnern (wie Russland, China oder Nordkorea), dass ein Angriff auf US-Partner einem Angriff auf die USA gleichkäme. Dieses weltweite Abschreckungsnetz stabilisiert die Pax Americana – zugleich macht es Verbündete aber auch abhängig vom US-Schutz.

Wirtschaftliche Dominanz und internationale Institutionen

Eine weitere Säule der US-Hegemonie ist die wirtschaftliche und finanzielle Vormacht. Die Vereinigten Staaten waren 1945–1973 mit Abstand die größte Volkswirtschaft und Architektin des globalen Finanzsystems. Auf der Konferenz von Bretton Woods 1944 schufen sie das Rahmenwerk für die internationale Wirtschaftsordnung (). Hauptelemente des Bretton-Woods-Systems waren feste Wechselkurse, die Bindung des US-Dollar an Gold und die Gründung von Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (). Diese Institutionen sollten Währungsstabilität sichern und den Freihandel fördern – beides im Interesse der USA, die durch offene Märkte und einen stabilen Dollar ihre eigene Wirtschaftsmacht ausspielen konnten () (). Die GATT/WTO-Verträge (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen, ab 1995 Welthandelsorganisation) sind ebenfalls Teil dieser US-geprägten Freihandelsordnung.

Durch diese Institutionen übten die USA strukturellen Einfluss aus: Der US-Dollar wurde zur Leit- und Reservewährung der Welt, was den USA enorme Vorzüge brachte („exorbitant privilege“) – z. B. die Fähigkeit, Defizite über Dollar-Schulden zu finanzieren, die andere Länder halten müssen. Der IWF und die Weltbank fungierten über Jahrzehnte als Instrumente, um Entwicklungsländern wirtschaftspolitische Auflagen zu machen (Strukturanpassungsprogramme), die oft marktwirtschaftlich-liberale, also amerikanisch geprägte Rezepte enthielten (). Gerade in Schuldenkrisen (Lateinamerika 1980er, Asienkrise 1997) konnten die USA via IWF ihre Vorstellungen von Fiskal- und Handelspolitik durchsetzen. „Der IWF entwickelte sich zu einer wirtschaftlichen Entwicklungshilfeagentur, die einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf weniger entwickelte Staaten hatte“ (), wie der Politikwissenschaftler Robert Gilpin feststellte. Kurz: Die USA nutzten die ökonomischen Institutionen, um eine von ihnen getragene Weltwirtschaftsordnung aufzubauen und beizubehalten ().

Neben den Institutionen stützen sich die USA auf direkte wirtschaftliche Machtmittel. So war das amerikanische Bruttoinlandsprodukt jahrzehntelang das größte weltweit; US-Unternehmen und -Technologie dominierten viele Branchen (vom Automobilbau bis zur Digitalwirtschaft). Die USA nutzen Handelsbeziehungen als Hebel: durch Marktzugang (der US-Markt als attraktives Ziel für Exporte anderer Länder) und durch Sanktionen. Letztere sind ein bevorzugtes Werkzeug der US-Außenpolitik, um unliebsames Verhalten zu bestrafen – etwa Handelssanktionen oder Finanzsanktionen, die den Zugang zum US-Finanzsystem sperren. Prominente Beispiele waren das jahrzehntelange Handelsembargo gegen Kuba seit 1960, Sanktionen gegen Iran, Nordkorea oder Venezuela. Aufgrund der zentralen Rolle des Dollars wirken solche Sanktionen weit über die USA hinaus: Internationale Banken oder Firmen fügen sich oft US-Sanktionsvorgaben, um nicht vom Dollar-System ausgeschlossen zu werden.

Auch wirtschaftliche Hilfe diente hegemonialen Zwecken. Der Marshallplan (Europäisches Wiederaufbauprogramm nach 1948) band Westeuropa eng an die USA und förderte die Integration unter US-Führung. Im Kalten Krieg knüpften die USA Entwicklungshilfe und Kreditvergaben häufig an politische Bedingungen (Ausrichtung gegen die Sowjetunion, Marktreformen etc.). All dies festigte eine globale Wirtschaftsordnung, in der die USA als Zentrum fungierten und andere Länder sich in ein von den USA gestaltetes System einfügten.

Ideologische Vormacht und Soft Power

Neben Militär und Geld beherrschen Hegemonialmächte auch die „Herzen und Köpfe“. Die USA haben über Jahrzehnte eine enorme kulturelle und ideelle Anziehungskraft ausgeübt. Nach 1945 stilisierten sie sich zum „Führer der freien Welt“, der Demokratie, Menschenrechte und Wohlstand verspreche, im Gegensatz zur sowjetischen Diktatur. Dieser ideologische Antagonismus prägte das Selbstbild der USA und legitimierte ihr globales Engagement.

Die amerikanischen Werte – Freiheit, individuelle Selbstverwirklichung, Marktwirtschaft – wurden weltweit propagiert. Über Massenmedien, Filme, Musik, Mode und Technologie verbreitete sich ein positiv besetztes Bild der „American Way of Life“. Diese Soft Power verschaffte den USA einen Vorteil: Viele Menschen und Staaten orientierten sich freiwillig an den USA, weil sie diese als modern und bewundernswert empfanden. So trug z. B. die globale Verbreitung amerikanischer Popkultur und Konsumgüter (Coca-Cola, Jeans, Hollywood, Popmusik) dazu bei, pro-amerikanische Einstellungen zu fördern, ohne dass Zwang nötig war.

Ideologisch unterstützten die USA auch aktiv den Aufbau liberaler Institutionen – etwa der Vereinten Nationen (UNO) 1945 und der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948. Damit schufen sie normative Maßstäbe, die ihren eigenen Idealen entsprachen. In vielen Ländern förderte die US-Regierung demokratische Bewegungen (z. B. über Stiftungen wie National Endowment for Democracy) – allerdings immer dort, wo es den strategischen Interessen dienlich war. Während des Kalten Krieges bestand die Ideologie primär im Antikommunismus; nach 1990 traten Schlagworte wie „Globalisierung“ und „liberale Weltordnung“ in den Vordergrund, mit den USA als Garant von Sicherheit und Prosperität.

Eine Hegemonialmacht muss nicht nur mit Zwang regieren, sondern auch Zustimmung organisieren. Hier zeigte sich die Stärke der USA: Durch die Versprechung eines regelbasierten Systems (das sogenannte „Rule-based International Order“), von dem alle profitieren, gewannen die USA viele Verbündete. Staaten ordneten sich freiwillig der US-Führung unter in der Erwartung, dass kollektive Güter wie Sicherheit, Handelsfreiheit oder Stabilität am besten unter amerikanischer Leitung gewährleistet würden (Hegemonie – Staatslexikon). Diese Idee spiegelt die Hegemoniale Stabilitätstheorie wider, wonach ein dominanter Staat die internationalen Regeln durchsetzt und so allen nützt – etwa indem die USA die Weltmeere für den freien Handel sichern oder als „Lender of Last Resort“ in Finanzkrisen agieren.

Allerdings stießen und stoßen die USA ideologisch auch auf Widerstand, insbesondere wenn ihre Rhetorik im Widerspruch zur Realität steht. So kritisierten viele in der sogenannten Dritten Welt die Doppelmoral, Freiheit zu predigen aber autoritäre Regime zu unterstützen (etwa pro-westliche Diktaturen während des Kalten Krieges). Dennoch: Bis in die 2000er-Jahre galt die US-Hegemonie für viele als legitim oder zumindest als gegeben. 1990 sprach man sogar vom „unipolaren Moment“, da die USA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ohne ernstzunehmende Konkurrenz als einzige Supermacht übrig blieben.

Zwischenfazit: Die Vereinigten Staaten kombinierten all diese Hebel – überwältigende Militärmacht, ökonomische Stärke, institutionelle Kontrolle und ideologische Anziehung – um eine internationale Ordnung nach ihren Vorstellungen zu errichten. Diese Ordnung basierte auf westlichen Werten, kapitalistischer Wirtschaftsweise und militärischer Abschreckung. Andere Länder arrangierten sich damit, zum Teil aus Überzeugung, zum Teil aus Mangel an Alternativen. Bis etwa 2016 blieb das Fundament der US-Hegemonie weitgehend stabil, wenngleich Herausforderer wie China bereits an Einfluss gewonnen hatten.

Die Ära Trump: Wandel und Kontinuität in der US-Hegemonialpolitik (2017–2021)

Mit der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 schien ein Bruch in der Außenpolitik der USA bevorzustehen. Trump propagierte „America First“ – eine Doktrin, die US-Interessen rigoros in den Vordergrund stellt und die traditionelle Rolle der USA als Hüter der liberalen Weltordnung in Frage zu stellen schien. Im Folgenden untersuchen wir, ob und wie die klassischen hegemonialen Methoden der USA unter Trump weitergeführt, verändert oder aufgegeben wurden.

„America First“ – Trumps neue außenpolitische Ausrichtung

Donald Trump trat mit scharfer Kritik an der bisherigen Außenpolitik an. Er beklagte, die USA hätten sich durch Multilateralismus und globale Engagements übervorteilen lassen – Verbündete würden „auf Kosten Amerikas“ leben, internationale Abkommen würden die USA einengen. Sein Leitbild „America First“ bedeutete, dass alle Außenbeziehungen primär dem unmittelbaren Vorteil der USA dienen müssen. Darin spiegelt sich ein transaktionales Verständnis: Bündnisse und Vereinbarungen wurden von Trump wie Geschäftsdeals betrachtet – bringen sie den gewünschten „Profit“ für Amerika, oder nicht? Wertebasierte oder langfristig ordnungspolitische Überlegungen traten demgegenüber zurück.

In seiner ersten Rede vor der UNO-Vollversammlung 2017 betonte Trump das Recht souveräner Staaten, ihren eigenen Interessen zu folgen, und lobte Patriotismus über Globalismus. Er machte klar, dass die USA keine automatische Führungsverantwortung mehr für die Weltordnung übernehmen würden, wenn dies nicht klar ihren Nutzen mehre. Diese Haltung markierte rhetorisch einen deutlichen Wandel zur traditionellen Rolle der USA als Garant der internationalen Ordnung.

Dennoch blieb die tatsächliche Politik teilweise widersprüchlich: Trumps Regierung erhöhte zum Beispiel den Verteidigungshaushalt deutlich und setzte die Militärpräsenz im Ausland in vielen Bereichen fort. Auch viele Personalentscheidungen (z. B. sicherheitsorientierte Berater) signalisierten Kontinuität. Es lohnt sich daher, genauer auf einzelne Felder zu schauen.

Umgang mit Allianzen und Sicherheit: Belastungsprobe für die NATO

Eine der deutlichsten Veränderungen unter Trump war der Umgang mit Verbündeten, insbesondere mit der NATO und den traditionellen Partnern in Europa und Ostasien. Trump zweifelte öffentlich den Nutzen mancher Allianzen an und übte beispiellosen Druck auf Partner aus, mehr zu leisten.

Insbesondere forderte er vehement, dass NATO-Mitglieder ihre Verteidigungsausgaben auf mindestens 2 % des BIP erhöhen (ein Ziel, auf das man sich bereits 2014 geeinigt hatte). Auf NATO-Gipfeltreffen 2017 und 2018 stellte Trump die Bündniskollegen teils brüsk zur Rede. Er ging sogar so weit, mit einem Austritt der USA aus der NATO zu drohen, sollten die europäischen Verbündeten nicht mehr zahlen (NATO-Äußerung: Gegen wen könnte sich Trumps Drohung richten? | tagesschau.de). In einem Wahlkampfauftritt erklärte er sinngemäß, nur Länder, die „ihre Rechnungen bezahlen“, könnten im Ernstfall mit amerikanischem Beistand rechnen (NATO-Äußerung: Gegen wen könnte sich Trumps Drohung richten? | tagesschau.de). Damit stellte Trump die Beistandspflicht (Artikel 5) infrage, den Kern der NATO – eine bis dato undenkbare Provokation. NATO-Diplomaten sprachen davon, Trump habe die „Seele der Allianz“ getroffen (NATO-Äußerung: Gegen wen könnte sich Trumps Drohung richten? | tagesschau.de) (NATO-Äußerung: Gegen wen könnte sich Trumps Drohung richten? | tagesschau.de). Tatsächlich war die Glaubwürdigkeit des Abschreckungsversprechens erschüttert: Gegner wie Russland könnten annehmen, die USA könnten sich aus ihrer Schutzverantwortung stehlen, wenn ein Verbündeter angegriffen wird.

Zwar hat Trump die USA letztlich nicht aus der NATO geführt – amerikanische Truppen blieben in Europa stationiert und die NATO-üblichen Militärübungen wurden fortgeführt. Auch in Osteuropa verstärkte die US-Armee nach 2017 sogar ihre Präsenz (rotierende Bataillone in Polen und dem Baltikum) als Abschreckung gegen Russland, was auf eine institutionelle Trägheit und Einflüsse von Pentagon und Kongress zurückzuführen war. Analysten bemerkten daher, dass trotz Trumps Tiraden die sicherheitspolitische Solidarität mit den westlichen Bündnispartnern faktisch bestehen blieb (Viel Rhetorik, wenig Wandel – Auslandsinformationen – Konrad-Adenauer-Stiftung). Gleichwohl sorgte Trumps Rhetorik für Vertrauensverluste: Aus europäischer Sicht war die Verlässlichkeit der USA als Führungsmacht erstmals ernsthaft zweifelhaft (USA / Transatlantische Beziehungen / NATO – KFIBS). Deutschland etwa begann, mehr über „strategische Autonomie“ nachzudenken, da man sich nicht sicher war, ob die USA im Notfall zur Seite stehen würden.

Neben der NATO traf Trump auch andere Partner vor den Kopf. In Asien verlangte er von Südkorea und Japan höhere Kostenbeteiligungen für dort stationierte US-Truppen und stellte durch abfällige Äußerungen alte Freundschaften auf die Probe. Südkorea musste 2019 einer deutlichen Erhöhung seiner Zahlungen zustimmen, um einen Abzug von US-Truppen abzuwenden.

Trump reduzierte zudem die traditionelle Unterstützung der USA für internationale Einsatzmissionen: So kritisierte er die UNO-Friedenseinsätze als ineffizient und kürzte Beiträge. Auch innerhalb der NATO drängte er auf weniger Engagement in Krisen außerhalb des Bündnisgebiets. Gleichzeitig scheute Trump aber nicht davor zurück, militärische Gewalt unilateral einzusetzen, wenn er es für nötig hielt: 2017 und 2018 ließ er begrenzte Raketenangriffe in Syrien durchführen (als Reaktion auf Chemiewaffeneinsätze des Assad-Regimes), ohne breite Koalition. 2020 befahl er die gezielte Tötung des iranischen Generals Soleimani – ein hochriskanter Akt, der beinahe einen Krieg mit Iran auslöste. Hier zeigt sich ein zwiespältiges Bild: Trump vermied langwierige Truppeneinsätze zur Staatsbildung (Nation-Building) – im Gegensatz zu Vorgängern wie Bush oder Obama –, setzte aber durchaus robust Militär als Druckmittel ein.

Eine positive Folge aus Trumps NATO-Politik war, dass tatsächlich viele europäische Mitglieder ihre Verteidigungsausgaben erhöhten. Seine harsche Methode erzielte in Zahlen Wirkung: Die NATO-Statistiken 2019/2020 zeigten gesteigerte Militäretats etwa in Deutschland, Polen oder Frankreich. Allerdings geschah dies aus einer Mischung von Einsicht und Angst vor amerikanischer Unzuverlässigkeit.

Handelspolitik: Vom Freihandel zur Konfrontation

In der Wirtschafts- und Handelspolitik vollzog Trump einen besonders markanten Kurswechsel. Nach 1945 hatten die USA in der Regel Freihandel und offene Märkte propagiert – unter Trump traten Protektionismus und bilaterale Deals in den Vordergrund. Trump betrachtete Handelsbeziehungen oft als Nullsummenspiel, in dem die USA vermeintlich schlechte Abkommen korrigieren müssten.

Sein vorrangiges Feindbild war das große US-Handelsdefizit, insbesondere gegenüber China, Mexiko und der Europäischen Union. Gleich 2017 kündigte Trump das nahezu fertig verhandelte transpazifische Freihandelsabkommen TPP (Trans-Pacific Partnership), da es angeblich amerikanische Arbeitsplätze gefährde. Statt multilateraler Abkommen bevorzugte er bilaterale Verhandlungen, wo die USA ihre Marktmacht direkter ausspielen können.

Am gravierendsten war der von Trump entfachte Handelskrieg mit China. Er warf China unfaire Handelspraktiken vor – Diebstahl geistigen Eigentums, Währungsmanipulation und staatliche Subventionen – und begegnete dem ab 2018 mit Strafzöllen in nie dagewesenem Ausmaß. In mehreren Runden belegten die USA chinesische Importe im Wert von insgesamt hunderten Milliarden Dollar mit hohen Zöllen (zunächst 25 % auf $50 Mrd., dann ausweitend auf über $250 Mrd.). China reagierte spiegelbildlich mit Zöllen auf US-Waren. Bis Ende 2019 überzogen sich die beiden größten Volkswirtschaften mit wechselseitigen Importabgaben, was globale Lieferketten belastete. Dieser offene Handelskonflikt markierte einen Bruch mit der bisherigen US-Politik, die China trotz aller Differenzen in das Welthandelssystem integrieren wollte. Trump instrumentalisierte den Handelskonflikt politisch und verknüpfte ihn mit Fragen der Weltordnung (Strategische Rivalität zwischen USA und China – Stiftung Wissenschaft und Politik): Er stellte ihn als Kampf um die Vormacht dar – „Wir gegen sie“. Damit bekam der ökonomische Streit eine strategische Dimension.

Auch gegenüber Verbündeten schreckte Trump nicht vor protektionistischen Schritten zurück. 2018 verhängte er Zölle auf Stahl und Aluminiumimporte aus der EU, Kanada und anderen Ländern – offiziell aus Gründen der „nationalen Sicherheit“. Die getroffenen Partner (darunter enge Freunde der USA) reagierten mit Unverständnis und Gegenzöllen. Er drohte zudem zeitweilig mit Strafzöllen auf europäische Autos, ein Schritt, der vor allem Deutschland empfindlich getroffen hätte.

Trumps Vorgehen untergrub bewusst das multilaterale Handelssystem. Die Zölle verstießen vielfach gegen WTO-Regeln. Zudem blockierte die Trump-Administration die WTO im Kern, indem sie die Ernennung neuer Berufungsrichter verhinderte. Dadurch wurde das WTO-Streitbeilegungssystem ab Ende 2019 handlungsunfähig (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik). Trump beklagte, die WTO behandele die USA unfair – konkrete Reformvorschläge machte er aber nicht, stattdessen lähmte er die Institution. Dies war ein Novum: Erstmals trat die Führungsmacht des freien Handels faktisch als Saboteur der Welthandelsorganisation auf. Die internationale Handelsordnung geriet dadurch in eine Krise.

Dennoch gab es auch kontinuierliche Elemente: Trump kündigte nicht generell alle Freihandelsabkommen. Er beließ z. B. das Abkommen mit Südkorea weitgehend intakt (nach kleinen Nachverhandlungen) und schloss 2020 sogar mit China ein Teilabkommen („Phase-One-Deal“), das gewisse Zollreduzierungen und höhere chinesische Importe von US-Gütern vorsah – allerdings blieb der Großteil der Strafzölle bestehen. Außerdem renegotierte er das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA mit Kanada und Mexiko, ersetzte es durch das USMCA (United States-Mexico-Canada Agreement). Dieses neue Abkommen 2020 ähnelte NAFTA stark, enthielt aber zugunsten der USA strengere Regeln etwa für den Automobilsektor und geistiges Eigentum. Somit kann man sagen: Trump ersetzte multinationale Formate durch für ihn günstigere bilaterale oder regionale Deals, statt den Handel völlig abzuwürgen.

Verhältnis zu multilateralen Institutionen: Rückzug aus der Weltordnung

Am deutlichsten zeigte sich Trumps aversive Haltung in seinem Umgang mit der multilateralen Weltordnung und internationalen Abkommen. Er sah viele globale Vereinbarungen als für die USA nachteilig an und scheute nicht davor zurück, spektakuläre Ausstiege zu verkünden. Dies betraf insbesondere die Bereiche Klima, Rüstungskontrolle und internationale Kooperation:

  • Im Juni 2017 kündigte Trump an, die USA würden sich aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 zurückziehen. Dieses weltweit fast einstimmig unterstützte Abkommen zur Reduktion von Treibhausgasen wurde von Trump als Bürde für die US-Wirtschaft betrachtet. Formal wirksam wurde der Austritt im November 2020. Dies war ein Schlag gegen die globale Klimadiplomatie – erstmals zog sich die führende Wirtschaftsmacht aus einem rechtsverbindlichen Umweltvertrag zurück ().

  • Die USA unter Trump kündigten mehrere Rüstungskontroll-Abkommen: 2019 verließ Washington den INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces) von 1987, der landgestützte Mittelstreckenraketen verbot – mit der Begründung, Russland halte sich nicht daran. 2020 folgte der Ausstieg aus dem „Open Skies“-Vertrag, der wechselseitige Beobachtungsflüge zur Vertrauensbildung erlaubte. Beide Schritte verursachten Besorgnis in Europa, weil wichtige Rüstungskontrollpfeiler wegfielen. Auch die Verlängerung des New-START-Vertrags (zur Begrenzung strategischer Nuklearwaffen) ließ Trump zunächst offen, sodass er 2021 fast ausgelaufen wäre (Biden verlängerte in letzter Minute).

  • Trump distanzierte die USA von den Vereinten Nationen und ihren Unterorganisationen. 2018 traten die USA aus dem UN-Menschenrechtsrat in Genf aus, unter Verweis auf eine angebliche Voreingenommenheit gegen Israel (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik). Ebenfalls 2018 beendete Trump die Jahrzehnte lange US-Mitgliedschaft bei der UNESCO (UN-Kulturorganisation), die allerdings schon vorher auf Eis gelegen hatte. Während der COVID-19-Pandemie 2020 beschuldigte Trump die Weltgesundheitsorganisation (WHO), „chinahörig“ versagt zu haben, fror US-Beitragszahlungen ein und kündigte im Sommer 2020 den Austritt an () (der unter Biden wieder rückgängig gemacht wurde). Diese Schritte zeigten, dass Trump multilaterale Foren bewusst schwächte (Strategische Rivalität zwischen USA und China – Stiftung Wissenschaft und Politik). Er suchte stattdessen nach bilateralen Wegen oder verzichtete ganz auf die Plattformen, die traditionell von US-Präsidenten zur weltweiten Einflussnahme genutzt wurden.

  • Trump legte auch auf informelle Multilateralität wenig Wert: Bei G7-Gipfeln kam es zum Eklat (2018 in Kanada verweigerte er in letzter Minute die Unterschrift unter das Abschlusskommuniqué). Generell betrieb er teils eine Politik des leeren Stuhls, indem die USA bei wichtigen Verhandlungen fehlten oder destruktiv auftraten (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik). Dies ließ z. B. die G7 und G20 an Handlungsfähigkeit verlieren.

All dies bedeutete einen teilweisen Rückzug der USA aus der von ihnen selbst geschaffenen Nachkriegsordnung. Politikwissenschaftler beschrieben dies als „De-Institutionalisierung“ der Hegemonie () – die USA verzichteten auf Einflussmöglichkeiten, indem sie Institutionen verließen, und unterminierten damit letztlich auch ihre eigene Führungsrolle. Nutznießer war in mancher Hinsicht China, das freigewordenen Raum füllte: Während die USA sich aus einigen multilateralen Gremien zurückzogen, baute China dort seinen Einfluss aus (z. B. in diversen UN-Organisationen) (Strategische Rivalität zwischen USA und China – Stiftung Wissenschaft und Politik).

Eine Ausnahme von Trumps Multilateralismus-Skepsis war sein Engagement für eine diplomatische Öffnung Nordkoreas. Hier schien er zunächst den multilateralen Weg zu verlassen – indem er z. B. 2017 drohte, Nordkorea „völlig zu zerstören“, was mit dem üblichen US-Kurs der abgestimmten Abschreckung brach. Doch später initiierte Trump direkte Gipfeltreffen mit Kim Jong-un (2018 in Singapur, 2019 in Hanoi) – als erster amtierender US-Präsident überhaupt. Diese bilateralen Summits waren spektakulär, führten aber nicht zu einer substanziellen Denuklearisierung Nordkoreas. Immerhin war dies ein neuer Ansatz im Vergleich zur traditionellen Politik, die direkte Kontakte auf höchster Ebene vermieden hatte. Kritiker bemängelten jedoch, Trump habe damit Nordkorea eher aufgewertet, ohne Gegenleistungen einzufordern.

Ideologie und Soft Power unter Trump: beschädigte Glaubwürdigkeit

Trumps Präsidentschaft wirkte sich spürbar auf die ideologische Ausstrahlung und Soft Power der USA aus. Anders als seine Vorgänger betonte Trump kaum universelle Werte wie Demokratie und Menschenrechte in der Außenpolitik. Im Gegenteil pflegte er häufig einen überraschend wohlwollenden Ton gegenüber autoritären Führern: Wladimir Putin wurde von ihm selten kritisiert (Trump zweifelte eher die US-Geheimdienste an als Putin zu verurteilen), Chinas Xi Jinping lobte er Anfangs als „starken Führer“ (bis der Handelskrieg eskalierte), und Ägyptens Autokraten nannte er angeblich bewundernd „my favorite dictator“. Solche Äußerungen kontrastierten stark mit dem traditionellen Rollenbild des amerikanischen Präsidenten als „Anwalt der freien Welt“.

Zwar setzten Teile der Trump-Regierung weiterhin auf Demokratie-Förderung (etwa das Außenministerium auf niedriger Ebene) – doch Trump selbst vermittelte kaum Interesse daran. So verzichtete er weitgehend darauf, Menschenrechtsverletzungen bei Verbündeten anzusprechen (etwa den Mord am Journalisten Jamal Khashoggi durch saudische Agenten relativierte er aus Gründen der Waffenexporte). Auch im Umgang mit der NATO-Türkei nach deren innenpolitischen Repressionen oder mit China bezüglich der Uiguren hielt er sich persönlich zurück (erst gegen Ende 2020 verhängte seine Regierung Sanktionen wegen der Uiguren-Unterdrückung, vermutlich auf Druck des Kongresses).

Diese Haltung sowie die turbulente Innenpolitik (Trump regierte per Twitter, griff Medien und Institutionen an) untergruben die moralische Glaubwürdigkeit der USA stark. „In nur drei Jahren hat der Präsident der Glaubwürdigkeit und der moralischen Ausstrahlung seines Landes […] schweren Schaden zugefügt“, schrieb die Expertin Cathryn Clüver Ashbrook schon 2020 (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik). Zentralen Elementen der amerikanischen Soft Power – etwa dem Vertrauen in die Verlässlichkeit der USA und den Respekt vor ihrer Führungsfähigkeit – wurde unter Trump erheblich geschadet. Langjährige Verbündete wurden vor den Kopf gestoßen: Trump verprellte große Teile der internationalen Gemeinschaft, indem er sogar enge Partner wie die EU öffentlich als „Gegner“ oder „Feinde“ bezeichnete (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik). In Europa und anderswo nahm das Ansehen der USA dramatisch ab.

Meinungsumfragen bestätigten diesen Trend: 2018 hatten weltweit im Schnitt nur 27 % der Befragten Vertrauen in Trumps außenpolitisches Handeln, während 70 % ihm misstrauten (Pew Research Center : Donald Trump genießt weniger Vertrauen als Wladimir Putin | ZEIT ONLINE) (Pew Research Center : Donald Trump genießt weniger Vertrauen als Wladimir Putin | ZEIT ONLINE). Damit lag Trump international hinter dem chinesischen Präsidenten Xi und sogar hinter Russlands Putin in der Vertrauensfrage (Pew Research Center : Donald Trump genießt weniger Vertrauen als Wladimir Putin | ZEIT ONLINE). Besonders gering war das Vertrauen in traditionellen Partnerländern: In Deutschland vertrauten zeitweise nur 10 % der Bevölkerung Trump (zum Vergleich: Vorgänger Obama genoss am Ende seiner Amtszeit Zustimmungsraten um 86 % in Deutschland) (Pew Research Center : Donald Trump genießt weniger Vertrauen als Wladimir Putin | ZEIT ONLINE). Diese Umfragen illustrieren den Verlust an Soft Power: Viele Menschen weltweit sahen die USA nicht mehr als zuverlässigen, bewundernswerten Führer, sondern als unberechenbaren Akteur.

Die ideologische Position der USA in der Welt verschob sich folglich. Während früher US-Präsidenten – trotz aller realpolitischen Interessen – zumindest rhetorisch als Sprecher der demokratischen Welt auftraten, verzichtete Trump weitgehend auf diese Rolle. Er propagierte Nationalismus und Souveränität anstelle von internationaler Kooperation und universellen Werten. Für autoritäre Populisten in anderen Ländern mag dies ermutigend gewesen sein; für westliche Demokratien war es ein Bruch in der symbolischen Führungsfunktion der USA. Insofern kann man von einer Erosion der ideologischen Hegemonie sprechen: Die normative Vorbildrolle Amerikas nahm unter Trump ab, und es entstand ein Vakuum, das beispielsweise die EU oder Kanada teilweise zu füllen versuchten (etwa in der Klimapolitik oder Menschenrechtspolitik).

Zwischenfazit Trump: Unter Donald Trump haben die USA einige klassische Elemente ihrer Hegemonialmacht weiterhin genutzt (z. B. militärische Stärke und Sanktionen), andere jedoch mutwillig vernachlässigt oder neu interpretiert. Die Außenpolitik wurde unberechenbarer und stärker interessengeleitet im engen ökonomischen Sinne. Das führte zu Spannungen mit Verbündeten und zu einem Legitimationsverlust der US-Führung.

Vergleich: Kontinuität und Wandel der Hegemonialpolitik unter Trump

Abschließend fassen wir die Kontinuitäten und Brüche zusammen, um die Frage zu beantworten, was sich durch Trump geändert hat – und was nicht:

  • Fortgeführte hegemoniale Methoden: Trotz der „America First“-Rhetorik blieben die USA auch unter Trump faktisch die führende Militärmacht mit globaler Präsenz. Die Militärausgaben stiegen weiter, und die USA behielten ihre Netzwerke an Basen und Allianzen (NATO, Pazifikbündnisse) aufrecht. Auch das Instrument der Sanktionen wurde sogar intensiviert: Trumps Regierung setzte weiterhin auf wirtschaftlichen Druck (z. B. strikte Sanktionen gegen Iran im Rahmen der „Maximaldruck“-Kampagne, verstärkte Sanktionen gegen Venezuela, Nordkorea und Russland). Ebenso blieben die USA technologisch und wirtschaftlich einflussreich – Silicon-Valley-Konzerne, der Dollar und die Wall Street behielten ihre globale Schubkraft. Mit anderen Worten: Die materiellen Grundlagen der US-Hegemonie (Militär, Wirtschaftskraft) änderten sich unter Trump kaum, teils wurden sie noch ausgebaut.

  • Veränderte bzw. aufgegebene Ansätze: Deutlich verändert hat sich hingegen der Stil und die Bereitschaft zur Führungsverantwortung. Trump wandte sich von der traditionellen Multilateralität ab – viele internationale Abkommen und Institutionen, die früher als Hebel amerikanischen Einflusses dienten, wurden nun gemieden oder blockiert (Klimavertrag, UNO-Gremien, WTO-Mechanismen) (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik). Damit gaben die USA ein Stück ihrer Gestaltungsmacht aus der Hand, was langfristig paradoxerweise ihre Hegemonie schwächen könnte. Bündnisse wurden nicht mehr als Wertegemeinschaften gepflegt, sondern auf ihre kurzfristige Nützlichkeit abgeklopft – das Vertrauen der Alliierten litt massiv (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik). Amerika verzichtete weitgehend darauf, als ideologischer Anführer der liberalen Demokratien aufzutreten; stattdessen rückte nationale Eigeninteresse in den Vordergrund. Der Freihandel als bisheriges Dogma der US-Wirtschaftsordnung wurde aufgekündigt zugunsten von Protektionismus und Handelskonflikten. Kurzum: Die USA unter Trump lösten sich von der Rolle des wohlwollenden Hegemons, der öffentliche Güter bereitstellt (wie Sicherheit, stabile Regeln), hin zu einer Rolle als transaktionale Großmacht, die Bündnisse und Ordnungen infrage stellt, wenn sie keinen unmittelbaren Vorteil bieten.

  • Neue Ansätze unter Trump: Einige neuartige Methoden kennzeichneten Trumps Außenpolitik. Dazu zählt insbesondere der offene Einsatz von Handelshemmnissen (Zölle) als Druckmittel selbst gegenüber Freunden – ein Stilmittel, das so ausgeprägt zuvor kein US-Präsident seit der Nachkriegszeit genutzt hatte. Trump behandelte Handelsfragen wie Sicherheitsfragen, was neu war. Auch das Führen von Spitzendiplomatie via Social Media und spontanen Gipfeltreffen (Beispiel Nordkorea) war charakteristisch für Trump – hier setzte er auf persönliche Inszenierung und Unberechenbarkeit als Verhandlungsstrategie. Zudem versuchte er, bilaterale Deals in komplexen Konflikten zu erzielen (z. B. direkt mit Taliban in Afghanistan verhandeln, unter Ausschluss der afghanischen Regierung – das Doha-Abkommen 2020 zielte auf einen Truppenabzug). Dieser Hang zum Alleingang und zur Umgehung etablierter diplomatischer Kanäle war in der US-Politik ungewöhnlich. Schließlich trieb Trump die Konkurrenz mit China in neue Bereiche: Neben Handel rückte auch Technologie (Huawei-Bann, Beschränkung chinesischer Apps) und ideologische Systemrivalität („Kalter Krieg 2.0“) in den Vordergrund (USA und China auf Kollisionskurs – Stiftung Wissenschaft und Politik), was die Weichen für eine neue Ära der Großmachtrivalität stellte.

Zum Abschluss lässt sich festhalten, dass Trumps Präsidentschaft die Rolle der USA als Hegemonialmacht zwar nicht völlig auf den Kopf gestellt hat – die Übermacht an Ressourcen bestand fort –, aber doch einen substanziellen Bruch in der Ausübung dieser Macht darstellte. Die USA wirkten unter Trump weniger als ordnungsstiftende Kraft und mehr als konfrontativer Akteur. Dies hat Lücken hinterlassen, in denen andere Akteure (China, aber auch EU) an Einfluss gewannen (Strategische Rivalität zwischen USA und China – Stiftung Wissenschaft und Politik). Die transatlantischen Beziehungen erreichten einen historischen Tiefpunkt (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik), und das Vertrauen in die US-Führung sank weltweit auf ein Tief. Joe Bidens Amtsantritt 2021 bedeutete in vieler Hinsicht eine Rückkehr zu konventioneller Außenpolitik – die USA traten dem Pariser Abkommen und der WHO sofort wieder bei, beteuerten ihre NATO-Verbundenheit und suchten Kooperation. Doch das von Trump hinterlassene Erbe – ein erschüttertes Vertrauen und eine im Wandel begriffene Weltordnung – zeigt, dass Hegemonialmacht nicht allein auf Machtressourcen, sondern auch auf Legitimation und Berechenbarkeit beruht. Diese Lektion werden die USA und die Weltgemeinschaft in den kommenden Jahren im Umgang mit der amerikanischen Führungsrolle berücksichtigen müssen.

Tabelle: Vergleich der US-Hegemonialpolitik vor und unter Trump

Bereich Traditionelle US-Politik (bis ca. 2016) Unter Donald Trump (2017–2021)
Militär & Allianzen Führungsrolle in kollektiver Sicherheit: Fester Beistand für NATO & Partner; weltweite Truppenstationierung als Stabilitätsanker. Transaktionaler Umgang mit Allianzen: Druck auf Verbündete (2%-Ziel), Infragestellen von NATO-Garantien ([NATO-Äußerung: Gegen wen könnte sich Trumps Drohung richten?
Wirtschaft & Handel Freihandel und Globalisierung: Förderung offener Märkte (WTO), multilaterale Abkommen (z. B. NAFTA, TPP); wirtschaftl. Führung durch Integration der Partner in US-geprägte Ordnung. Protektionismus und bilaterale Deals: Kündigung internationaler Abkommen (TPP) zugunsten direkter Verhandlungen; Handelskriege (insb. gegen China) mit Strafzöllen in großem Umfang (Strategische Rivalität zwischen USA und China – Stiftung Wissenschaft und Politik); Neuverhandlung bestehender Verträge (USMCA statt NAFTA) mit Fokus auf US-Vorteile.
Multilaterale Institutionen Aktive Nutzung internationaler Organisationen zur Regelsetzung: UNO, NATO, Weltbank/IWF, WTO als Plattformen amerikanischer Führung; Eintreten für kollektive Lösungen (Klima, Rüstungskontrolle) zumindest rhetorisch. Rückzug und Blockade: Austritt aus Abkommen (Klima, UN-Menschenrechtsrat) ([Verheerendes Vermächtnis
Ideologie & Soft Power „Leader of the Free World“: Betonung von Demokratie, Menschenrechten, Verlässlichkeit; hohes Ansehen der USA bei Verbündeten; Soft Power durch kulturelle Attraktivität und moralisches Prestige. „America First“: Wenig Werterhetorik, Freundlichkeiten gegenüber Autokraten; Schwächung der moralischen Autorität der USA ([Verheerendes Vermächtnis

Fazit: Die Vereinigten Staaten blieben unter Trump zwar materiell die Hegemonialmacht, doch sie handelten nicht mehr immer wie der traditionelle „Systemmanager“ der Weltordnung. Viele klassische hegemoniale Praktiken – vom Militärschutz bis zur Institutionenführung – wurden in Frage gestellt. Damit offenbarte die Trump-Ära, wie schnell die Normen und Allianzen, die eine Hegemonie stützen, erodieren können, wenn die führende Macht ihre Rolle neu definiert. Ob dieser Wandel dauerhaft nachwirkt oder als Episode in die Geschichte eingeht, hängt davon ab, inwieweit nachfolgende US-Regierungen das Vertrauen der Welt zurückgewinnen und die Balance zwischen nationalem Interesse und globaler Verantwortung wiederfinden.

Quellen: Dieser Beitrag stützt sich auf eine Vielzahl von Analysen und Studien, darunter politikwissenschaftliche Fachliteratur zur Hegemonietheorie und aktuelle Kommentare zur Trump-Ära. Exemplarisch sei verwiesen auf die Definition des Hegemonie-Begriffs im Staatslexikon (Hegemonie – Staatslexikon), die historische Einordnung der US-Vormacht seit 1945 (Hegemonie – Staatslexikon), sowie detaillierte Untersuchungen der US-Außenpolitik unter Trump, etwa von Cathryn Clüver Ashbrook (2020) (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik) (Verheerendes Vermächtnis | Internationale Politik) und Studien der Stiftung Wissenschaft und Politik (Strategische Rivalität zwischen USA und China – Stiftung Wissenschaft und Politik). Zahlen und Fakten (z. B. zur Militärpräsenz oder Umfragewerte) entstammen u. a. Berichten von Al Jazeera (Infographic: US military presence around the world | Infographic News | Al Jazeera) und Erhebungen des Pew Research Center (Pew Research Center : Donald Trump genießt weniger Vertrauen als Wladimir Putin | ZEIT ONLINE). Diese Quellen belegen die hier dargestellten Entwicklungen und Einschätzungen der US-Rolle als Hegemonialmacht in Geschichte und Gegenwart.


China und Russland im hegemonialen Kontext – Herausforderer ohne Ordnungsmonopol

Im Anschluss an die Analyse der Vereinigten Staaten als Hegemonialmacht stellt sich die Frage, wie andere Großmächte – insbesondere China und Russland – hegemonietheoretisch einzuordnen sind. Während die USA über sämtliche hegemoniale Dimensionen (militärisch, wirtschaftlich, institutionell, ideologisch) in globalem Maßstab verfügen, treten China und Russland primär als Herausforderer bzw. revisionistische Mächte auf. Ein hegemonialer Ordnungsanspruch ist bei beiden Staaten bislang nicht umfassend realisiert.

China: Systemischer Herausforderer mit globalem Anspruch

Militärisch ist China regional hegemonialfähig und baut systematisch globale Interventionsfähigkeiten auf, etwa durch maritime Aufrüstung und neue Technologien (Hyperschallwaffen, Cyber-Fähigkeiten). Eine weltweite Truppenpräsenz analog zur US-Militärarchitektur fehlt jedoch bislang. Chinas Militärpolitik konzentriert sich auf den westpazifischen Raum und verfolgt dort eine strategische Verdrängung US-amerikanischer Präsenz.

Ökonomisch ist China global vernetzt und stellt durch Projekte wie die „Belt and Road Initiative“ (BRI) wirtschaftspolitische Alternativangebote bereit. Es ist größter Handelspartner zahlreicher Staaten, betreibt Parallelinstitutionen (z. B. AIIB) und übt damit strukturellen Einfluss aus. Jedoch fehlt eine umfassende Leitwährung und eine dominierende Rolle im globalen Finanzsystem – der US-Dollar bleibt unangefochtene Weltleitwährung.

Institutionell positioniert sich China als Gegengewicht zur westlich dominierten Ordnung. Es fordert eine multipolare Welt und nutzt Foren wie BRICS, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) oder die G77, um Gegenmacht zu bündeln. Gleichwohl ersetzt es die bestehenden westlichen Institutionen bislang nicht durch ein akzeptiertes Gegenmodell mit globaler Regelsetzungsautoritat.

Ideologisch verzichtet China auf einen universellen hegemonialen Geltungsanspruch. Stattdessen betont es Souveränität, Stabilität und Entwicklung ohne Demokratisierung. Das autoritär-technokratische Modell Chinas findet punktuell Nachahmung, verfügt jedoch nicht über die normative Reichweite liberaler Demokratien.

Zwischenfazit China: China ist ein global vernetzter Systemakteur mit hegemonialen Ambitionen, aber ohne vollständige hegemoniale Durchsetzungsmacht. Es nutzt US-amerikanische Schwächen aus, ersetzt jedoch die bestehende Ordnung (noch) nicht.

Russland: Revisionistische Regionalmacht mit begrenzter Projektion

Militärisch ist Russland in der Lage, regional hegemonial zu agieren – etwa durch Interventionen in Georgien, Syrien oder der Ukraine. Der strategische Rückgriff auf nukleare Abschreckung und hybride Kriegsführung ergänzt klassische militärische Mittel. Global strukturelle Militärpräsenz – etwa durch Basen oder Bündnissysteme – besteht nicht.

Ökonomisch ist Russland durch Rohstoffexporte in den Weltmarkt eingebunden, aber systemisch marginalisiert. Der Ukrainekrieg und westliche Sanktionen haben die wirtschaftliche Integration weiter reduziert. Russland kontrolliert keine globalen Finanzinstitutionen, seine Währung hat keine internationale Leitfunktion.

Institutionell agiert Russland destruktiv und blockierend, aber nicht institutionenstiftend. Foren wie BRICS oder CSTO dienen eher symbolischer Gegnerschaft zur westlichen Ordnung, nicht echter alternativer Ordnungsbildung. Die globale Isolierung Russlands seit 2022 hat den institutionellen Handlungsspielraum zusätzlich beschränkt.

Ideologisch vertritt Russland einen antiliberalen Nationalismus, gestützt auf Konservatismus, Orthodoxie und antiwestliche Rhetorik. Dieses Modell hat keine universalisierbare Strahlkraft, sondern richtet sich primär an ideologisch Gleichgesinnte oder Opportunisten.

Zwischenfazit Russland: Russland ist eine regional dominante Militärmacht mit revisionistischer Stoßrichtung, jedoch ohne hegemonialen Führungsanspruch im globalen Maßstab. Es destabilisiert, ohne strukturell zu ersetzen.

Vergleichende Einordnung

Kriterium USA (Hegemon) China (Herausforderer) Russland (Revisionist)
Militär Globale Präsenz, Allianzen Regionale Dominanz, Aufrüstung Regionale Macht, asymmetrische Kriegführung
Wirtschaft Leitwährung, Finanzmacht Welthandel, BRI, AIIB Rohstoffbasierte Ökonomie, Sanktionsdruck
Institutionen Ordnungsstifter (UNO, WTO) Institutioneller Gegenspieler Institutionelle Isolation
Ideologie Liberalismus, Demokratie Autoritärer Kapitalismus Antiliberaler Nationalismus

Schlussfolgerung: Während die Vereinigten Staaten weiterhin als einzige globale Hegemonialmacht gelten, agieren China und Russland als strukturell unterschiedliche Herausforderer. China verfolgt eine eigenständige Ordnungspolitik, ohne bisher hegemoniale Führungsfunktionen zu übernehmen. Russland destabilisiert die westliche Ordnung punktuell, bietet aber keine tragfähige Alternative. Beide Staaten illustrieren, dass Hegemonie mehr erfordert als Macht – nämlich Regelsetzung, Akzeptanz und Legitimität im globalen Maßstab.

 


Europa – fragmentierter Ordnungsakteur

Europa spielt im hegemonialen Gefüge eine ambivalente Rolle: Es ist weder Hegemon noch klassischer Herausforderer, sondern – je nach Perspektive – Juniorpartner, geopolitischer Puffer, Wertegemeinschaft und wirtschaftliche Ordnungsmacht. Seine Stellung ist maßgeblich davon geprägt, dass es politisch fragmentiert, aber wirtschaftlich hochentwickelt ist und historisch eng mit der US-geführten Weltordnung verbunden blieb.

Militärisch: Sicherheitsabhängigkeit von den USA – NATO als Transmissionsriemen

Europa, insbesondere die EU, verfügt nicht über eine eigenständige militärische Hegemonialfähigkeit. Die kollektive Verteidigung ist faktisch an die USA delegiert, insbesondere über die NATO, deren militärisches Rückgrat amerikanisch ist (z. B. Führungssysteme, Atomwaffen, schnelle Eingreifkräfte).

Auch große EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Italien verfügen einzeln nicht über globale Projektion. Frankreich als Atom- und Expeditionsmacht kann punktuell intervenieren (z. B. Sahel), jedoch nicht im Maßstab der USA.

Die Versuche einer gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik (Stichwort: „Strategische Autonomie“, PESCO) sind bislang unvollständig und weitgehend politisch-symbolisch. Solange die USA den atomaren Schutzschirm (nukleare Abschreckung) für Europa garantieren, bleibt die militärische Souveränität eingeschränkt.

Wirtschaftlich: Ordnungsmacht ohne Durchsetzungsmacht

Die Europäische Union ist ein ökonomisches Schwergewicht:

  • zweitgrößte Binnenwirtschaft der Welt (nach USA/China),

  • weltweit führend bei Exporten (insb. Maschinen, Pharma, Luxusgüter),

  • Regulierungsmacht („Brussels Effect“: EU-Standards prägen global Märkte, z. B. Datenschutz, Wettbewerb, Umweltrecht).

Gleichwohl fehlen strategische Machtmittel, um ökonomische Interessen geopolitisch durchzusetzen:

  • Der Euro ist keine echte Leitwährung – sein Anteil an globalen Reserven liegt bei ca. 20 %, der Dollar bleibt dominant.

  • Die EU hat kein Sanktionsmonopol, wie es die USA durch Kontrolle des Dollarraums ausüben.

  • In Krisen (z. B. Iran-Deal) wurde deutlich, wie abhängig Europa vom US-Finanzsystem ist: Unternehmen folgten US-Sanktionen, nicht der EU-Politik (z. B. Rückzug von Siemens und Total aus dem Iran-Geschäft).

Institutionell: Mitverwalter der liberalen Ordnung

Europa ist historisch Profiteur und Mitarchitekt der US-geführten Weltordnung. In Institutionen wie UN, WTO, IWF, G7, G20 sind europäische Staaten überrepräsentiert (z. B. Frankreich, Großbritannien mit ständigen Sitzen im UN-Sicherheitsrat; Deutschland als größter Beitragszahler zu vielen Organisationen).

In der Post-Trump-Ära profilierte sich die EU teilweise als Bewahrerin multilateraler Strukturen (Klimadiplomatie, WHO, Iran-Deal), oft in Abgrenzung zu den USA. Dennoch fehlen institutionelle Machtmittel, um globale Ordnungen autonom zu stabilisieren. Beispiel: In der Migrationspolitik oder beim Ukrainekrieg agiert Europa häufig koordiniert, aber nicht strategieführend.

Ideologisch: Wertegemeinschaft mit Soft Power, aber innerlich gespalten

Die EU versteht sich als zivile Macht, gegründet auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und multilaterale Kooperation. Diese normativen Grundlagen verleihen ihr erhebliche Soft Power – insbesondere in Nachbarregionen (Balkan, Osteuropa, Mittelmeerraum), wo EU-Beitrittsperspektiven politische Transformationen auslösen.

Allerdings hat Europa keine weltweit anerkannte Führungsrolle in der globalen Wertepolitik. Zudem wird die eigene Kohärenz zunehmend infrage gestellt:

  • Demokratiedefizite in Mitgliedstaaten (z. B. Polen, Ungarn),

  • Umgang mit Migration,

  • uneinheitliche Außenpolitik (z. B. China, Nahost).

 


Europa als geteilter Mitspieler – keine Hegemonialmacht, aber potenzieller Stabilitätsanker

Kriterium Europa (EU) – Einordnung
Militär Abhängig von US-Schutz, keine globale Projektionsmacht
Wirtschaft Normsetzende Marktordnung, aber keine Leitwährung oder geopolitische Durchsetzung
Institutionen Mitgestalter multilateraler Ordnung, aber nicht führend
Ideologie Zivile Wertegemeinschaft mit Soft Power, aber innerlich fragmentiert

Europa zwischen Hegemonialvakuum und strategischer Autonomie

Angesichts der relativen Schwächung der USA (Legitimitätsverluste), des aggressiven Auftretens Russlands und der asymmetrischen Expansion Chinas stellt sich die Frage nach einer aktiveren globalen Rolle Europas:

  • Konzepte wie „Strategische Autonomie“ (Macron), eine gemeinsame europäische Armee, eine eigene digitale Souveränität, oder eine Rolle als geopolitischer Akteur werden zunehmend diskutiert.

  • Zugleich bindet das institutionelle Design der EU (Einstimmigkeit, Kompetenzverteilung) die Handlungsfähigkeit – gerade außenpolitisch.

  • Ohne militärische Machtprojektion und strategische Kohärenz bleibt Europa de facto ein Juniorpartner in einer US-dominierten Ordnung, auch wenn es punktuell als „liberale Ersatzmacht“ auftreten kann (z. B. Klimapolitik, Handel, Normensetzung).


Europa ist keine Hegemonialmacht im klassischen Sinne, sondern ein fragmentierter Ordnungsakteur, der zwischen normativer Attraktivität, wirtschaftlicher Stärke und sicherheitspolitischer Abhängigkeit changiert. Es bleibt strukturell eingebunden in die von den USA dominierte Ordnung – mit der Option (aber noch nicht der Fähigkeit), mittelfristig ein eigenständiger Pol in einer multipolaren Welt zu werden.

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