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BGH zur Namensnennung im Demonstrationsaufruf

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

BGH zur Namensnennung im Demonstrationsaufruf

Demonstration

Pressemitteilung

Keine Geldentschädigung bei mehrdeutiger Aussage

Mit Urteil vom 29. Juli 2025 (VI ZR 426/24) hat der Bundesgerichtshof eine wichtige Grundsatzentscheidung zur Abgrenzung zwischen zulässiger Meinungsäußerung und Persönlichkeitsrechtsverletzung in der politischen Kommunikation getroffen. Der VI. Zivilsenat entschied, dass ein Bundestagsabgeordneter keinen Anspruch auf Geldentschädigung hat, wenn sein Name in einem Demonstrationsaufruf genannt wird – selbst dann, wenn der Aufruf von einer rechtsextremistisch eingestuften Kleinstpartei stammt.

Sachverhalt

Der Kläger, Bundestagsabgeordneter der Partei Die Linke, hatte eine Demonstration in Leipzig angemeldet. Die Partei Freie Sachsen kündigte daraufhin eine eigene Versammlung am selben Ort und zur selben Zeit an – unter dem Slogan: „Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen!“. In einem entsprechenden Telegram-Beitrag wurde der Kläger namentlich als Mitdemonstrant genannt. Der Kläger sah darin eine unzutreffende Verbindung zu extremistischen Akteuren und machte eine schwere Beeinträchtigung seines Rufs geltend. Eine einstweilige Unterlassungsverfügung führte zur Löschung des Beitrags – zusätzlich verlangte der Kläger 15.000 € immateriellen Schadensersatz.

Vorinstanzen

Während das Landgericht Leipzig zunächst eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung annahm und 10.000 € zusprach, hob das Oberlandesgericht Dresden dieses Urteil auf: Zwar liege eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor, doch fehle es an der für eine Geldentschädigung erforderlichen Erheblichkeit. Auch ein DSGVO-Schadensersatz nach Art. 82 scheide mangels Anwendbarkeit im Bereich journalistischer Telemedien aus.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der BGH bestätigte die Entscheidung des OLG Dresden und wies die Revision des Klägers zurück. Die Begründung:

  • Keine eindeutige Aussage über Kooperation: Der Beitrag der Freien Sachsen lässt mehrere Deutungsvarianten zu. Während einige Leser von einer gemeinsamen Aktion aller Genannten ausgehen könnten, ist nach Auffassung des BGH ebenso gut eine Deutung als getrennte, thematisch gleichgerichtete Proteste möglich – gerade im Lichte des Slogans „Getrennt marschieren, gemeinsam schlagen“. Solche mehrdeutigen Aussagen dürfen nicht zu zivilrechtlicher Sanktionierung führen, wenn eine nicht-persönlichkeitsverletzende Lesart plausibel ist. Eine Verurteilung zum Schadensersatz würde in einem solchen Fall die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) unverhältnismäßig beschränken.

  • Kein DSGVO-Schadensersatz: Auch ein Anspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO scheitert – die Verbreitung des Beitrags auf einem Telegram-Kanal fiel unter das sogenannte Medienprivileg nach Art. 85 DSGVO i.V.m. § 23 MStV. Maßgeblich war die journalistische Zielsetzung des Beitrags, nämlich die Beteiligung an öffentlicher und politischer Meinungsbildung. Der BGH stellte klar, dass dieses Privileg auch für parteipolitische Telemedien gilt, solange der Zweck die Information der Öffentlichkeit ist.

Bedeutung der Entscheidung

Der BGH stärkt mit seiner Entscheidung die Meinungsfreiheit in der politischen Auseinandersetzung – auch bei kontroversen Konstellationen. Die Schwelle für eine Geldentschädigung bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen bleibt hoch: Entscheidend ist, ob eine Äußerung eindeutig ehrenrührig ist. Bei mehrdeutigen Aussagen, wie sie in politischen Demonstrationsaufrufen häufig anzutreffen sind, genießt die Meinungsfreiheit Vorrang – selbst wenn der Kontext als provokant empfunden wird.

Zentrale Leitsätze:

  • Keine Geldentschädigung bei mehrdeutiger Aussage über eine politische Nähe.

  • Der Eindruck einer Zusammenarbeit muss eindeutig sein, um Persönlichkeitsrecht zu verletzen.

  • DSGVO-Schadensersatz ist bei journalistisch geprägten Veröffentlichungen nicht anwendbar.

Vorinstanzen:
LG Leipzig, Urteil v. 19.12.2023 – 8 O 852/23
OLG Dresden, Urteil v. 23.04.2024 – 4 U 3/24

 


§ 823 BGB

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Art. 82 DSGVO

(1) Jede Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, hat Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter.

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