GO-SH: Abwahl eines Bürgermeisters – Teil 3
Amtliche Informationsrechte für die Selbstverwaltung
Keine amtlichen Informationsrechte für den abzuwählenden Bürgermeister
Ist ein Abwahlverfahren gegen einen hauptamtlichen Bürgermeister gemäß § 57d GO-SH einmal eingeleitet
- mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der Gemeindevertretung oder
- auf Antrag eines Wahlberechtigten, der von mindestens 20 % der Wahlberechtigten unterzeichnet sein muss,
dann sind die Informationsrechte gegenüber den Wählern sehr unterschiedlich zwischen Gemeindevertretung (Selbstverwaltung) und abzuwählendem Bürgermeister in der Gemeindeordnung geregelt.
Hintergrund: Für die Durchführung des Abwahlverfahrens sind die Vorschriften über den Bürgerentscheid sinngemäß anzuwenden.
Die Gemeindevertretung muß das Sachlichkeitsgebot beachten und darf unter dieser Bedingung in Verbindung mit der amtlichen Bekanntmachung die Gründe veröffentlichen und jedem Wähler übersenden, warum sie sich als Gemeindevertretung für die Abwahl der amtierenden Bürgermeister ausspricht. Diese Abwahlgründe müssen sachlich sein, nicht aber richtig!
Damit bekommt jeder Wähler mit seiner Wahlbenachtigung die Argumente für eine Abwahl übersandt (auch wenn sie völlig falsch sein können), nicht jedoch die Gegenargumente des abzuwählenden Bürgermeisters. Das schleswig-holsteinische Innenministerium als Kommunalaufsicht verweigert sogar dem abzuwählenden Bürgermeister eine freiwillige Übersendung der Argumente gegen seine Abwahl als Beilage zur amtlichen Mitteilung und Wahlbenachrichtigung.
Es entsteht zwingend eine Informationsschieflage, in der 100% der Wähler die Abwahlargumente amtlich übersandt werden, der Abzuwählende jedoch auf private Informationswege verwiesen wird, die nicht 100% der Wähler erreichen können.
Dies widerspricht dem verfassungsrechtlichen Demokratieprinzip ebenso, wie dem verfassungsrechtlichen Gedanken der Informationsfreiheit aus Art. 5 GG. Denn in einem Abwahlverfahren stehen sich zwei demokratisch gewählte Organe gegenüber, denen trotzdem nicht die gleichen Rechte in einem Abwahlverfahren zugestanden werden.
Die Kommunalaufsicht verweist zur Begründung ihrer Haltung auf einen Beschluß des Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein, 3. Senat, vom 2.8.2021, AktZ: 3 MB 24/21:
Zwar sieht § 57d Abs. 2 Satz 2 GO vor, dass für die Durchführung des Abwahlverfahrens die Vorschriften über den Bürgerentscheid im Rahmen des Abwahlverfahrens einer Bürgermeisterin oder eines Bürgermeisters sinngemäß anzuwenden sind. § 16g Abs. 1 Satz 1 und 2 GO bestimmt, dass, wenn ein Bürgerentscheid durchgeführt wird, die Gemeinde den Bürgerinnen und Bürgern die Standpunkte und Begründungen der Gemeindevertretung oder des zuständigen Ausschusses und der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens in gleichem Umfange schriftlich darlegen muss. Mit der Abstimmungsbenachrichtigung wird den Abstimmungsberechtigten ausweislich der Norm eine Information zugestellt, in welcher der Abstimmungsgegenstand sowie die Standpunkte und Begründungen der Gemeindevertretung und der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens in gleichem Umfang darzulegen sind.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen ergibt sich aus diesem Regelungsgefüge jedoch nicht, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wäre, ein von dem Antragsteller in seiner Eigenschaft als Bürgermeister oder Privatperson selbst verfasstes Schriftstück, in welchem dieser seinen Standpunkt und seine Begründung darlegt, zusammen mit der Abstimmungsbenachrichtigung zu versenden.
Der sinngemäß anzuwendende § 16g Abs. 6 Satz 1 und 2 GO verpflichtet eine Gemeinde nämlich nicht dazu, die Standpunkte und Begründungen sämtlicher Gemeindeorgane (vgl. § 7 GO) und damit auch der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters darzulegen (vgl. anders noch § 16g Abs. 6 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein < Gemeindeordnung – GO – > i. d. F. vom 23.07.1996, GVOBl, S. 529; geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25.06.2002, GVOBl, S. 126; vgl. zu § 16g Abs. 6 GO a.F. auch Arndt, Direktabwahl des hauptamtlichen Bürgermeisters, Die Gemeinde 2001, S. 299), sondern allein diejenigen der Gemeindevertretung oder des zuständigen Ausschusses und der Vertretungsberechtigten eines Bürgerbegehrens.
Eine Verpflichtung der Gemeinde, auch über den Standpunkt und die Begründungen der Vertretungsberechtigten eines Bürgerbegehrens (vgl. § 16g Abs. 3 Satz 3 GO) zu unterrichten, besteht dabei denknotwendig nur dann, wenn der Bürgerentscheid nicht im Sinne des § 16g Abs. 1 GO – wie vorliegend – auf Grundlage eines Beschlusses der Gemeindevertretung, sondern im Sinne des § 16g Abs. 3 Satz 1 GO auf Grundlage eines Bürgerbegehrens zustande kommt. Die mit der Abstimmungsbenachrichtigung zu übersendende Information über den Standpunkt und die Begründung der Vertretungsberechtigten hat dann gemäß § 16g Abs. 6 Satz 2 GO in Ausführlichkeit und Form der Darstellung gleichwertig zur Information über die Auffassung der Gemeindevertretung bzw. des entscheidungsbefugten Ausschusses zu erfolgen. Mit dieser Regelung soll vermieden werden, dass die Chancen eines durch ein Bürgerbegehren zustande gekommenen Bürgerentscheides durch eine ungleich intensive Unterrichtung über Ziele und Hintergründe beeinträchtigt werden (Dehn, PdK, Stand: September 2015, B 1 SH, § 16g GO Rn. 20).
Entsprechend argumentiert die Kommunalaufsicht des Landes Schleswig-Holstein:
Das OVG sieht das Argument der Waffengleichheit, schließt jedoch aus Wortlaut und historischer Entwicklung von § 16g Abs. 3 GO, dass der Bürgermeister seinen Standpunkt nicht darstellen darf/muss. Nach der OVG-Sachverhaltsdarstellung hat sich das Innenministerium sogar gegen eine freiwillige Übermittlung des Bürgermeister-Standpunkts ausgesprochen, das bestätigte eben auch die Kommunalaufsicht Kreis Herzogtum Lauenburg. Also auch keine freiwillige Weitergabe der ggf. vorhandenen Bürgermeister-Argumente durch eine ggf. gutwillige Gemeindevertretung.
Wortlaut und historische Entwicklung können aber nicht demokratische Wahlgrundsätze, die sie bedingende Informationsfreiheit des Wählers und die Gleichwertigkeit demokratisch gewägkter Organe einer Gemeine ( Selbstverwaltung und Bürgermeister) verdrängen.
An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob das OVG nicht einen Vorlagebschluß an das Bundesverfassungsgericht hätte machenmüssen, damit die GO-SH mit diesen besonderen Vorschriften zur Abwahl eines Bprgermeisters tatsächlich verfassungskonform ist.
Konkrete Normenkontrolle
Die konkrete Normenkontrolle ist ein verfassungsgerichtliches Verfahren, bei dem ein Gericht, das in einem Rechtsstreit über die Verfassungsmäßigkeit einer bestimmten Norm entscheiden muss, den Fall zur Entscheidung an das Bundesverfassungsgericht verweist. Im Gegensatz zur abstrakten Normenkontrolle, bei der die Verfassungsmäßigkeit einer Norm ohne konkreten Fall geprüft wird, erfolgt die konkrete Normenkontrolle aufgrund einer Vorlage durch ein Fachgericht. Hier sind die wichtigsten Punkte zum Verfahren:
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Zuständigkeit: Gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ist das Bundesverfassungsgericht für die konkrete Normenkontrolle zuständig, wenn ein Bundesgesetz als unvereinbar mit dem Grundgesetz oder ein Landesgesetz als unvereinbar mit dem Grundgesetz oder Bundesrecht angesehen wird. Für die Überprüfung von Landesrecht anhand der Landesverfassung sind hingegen die Landesverfassungsgerichte zuständig.
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Vorlageberechtigung: Gerichte können den Antrag auf konkrete Normenkontrolle stellen. Dies umfasst alle deutschen Gerichte, einschließlich Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit und Ehrengerichte.
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Vorlagegegenstand: Der Vorlagegegenstand ist ein Gesetz. Allerdings können nur formelle und nachkonstitutionelle Gesetze im Rahmen des konkreten Normenkontrollverfahrens überprüft werden. Falls ein vorkonstitutionelles Gesetz verändert oder neu verkündet wird, kann es ebenfalls zum Vorlagegegenstand werden.
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Antragsgrund: Das Gericht muss das vorzulegende Gesetz für verfassungswidrig halten. Die Anforderungen sind strenger als bei einem abstrakten Normenkontrollverfahren. Das Gericht muss die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung erwägen und die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes evaluieren.
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Entscheidungserheblichkeit: Die Norm, auf die sich die Vorlage bezieht, muss im konkreten Fall entscheidungserheblich sein