Mit Karlsruhe gegen die Länder

Mit Karlsruhe gegen die Länder – keine gute Idee
so betitelt die FAZ am 6.2.2025 ein Gespräch mit
Stefan Gruhner, Chef der Staatskanzlei der neuen Regierung in Thüringen
Dort führt Stefan Gruhner sinngemäß aus:
Die geplante Reform stellt keine vollständige Systemänderung dar, sondern eine Weiterentwicklung und Vereinfachung des bestehenden Systems zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags. Sie orientiert sich an Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und soll ein zukunftsfähiges Verfahren schaffen. Die Reform betrifft nur die dritte Stufe des KEF-Verfahrens, in der die Beitragsempfehlung rechtlich verbindlich wird, während die vorherigen Stufen unverändert bleiben. Beitragserhöhungen unter fünf Prozent sollen künftig ohne Staatsvertrag wirksam werden, wobei das Mitspracherecht der Länder durch gestaffelte Widerspruchsquoren erhalten bleibt. Der Autor appelliert an ARD und ZDF, ihre Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht zurückzuziehen, da Akzeptanz nur durch Kooperation mit der Medienpolitik erreicht werden kann.
Wörtlich heißt es – Zitat:
Es ist keine gute Idee, sich längerfristig mit dem Bundesverfassungsgericht gegen die Länder zu verbünden. Akzeptanz lässt sich nur durch ein Miteinander von Medien und Medienpolitik erreichen, nicht durch ein andauerndes, öffentlich ausgetragenes Gegeneinander in elementaren Fragen.
Bedrohung der Rundfunkfreiheit ?
Eine notwendige Klarstellung zu den Äußerungen von Stefan Gruhner
Stefan Gruhner, Chef der Staatskanzlei Thüringen, lässt mit seiner Aussage aufhorchen: Es sei „keine gute Idee, sich mit dem Bundesverfassungsgericht gegen die Länder zu verbünden“. Diese Worte sind nicht nur problematisch, sondern sie offenbaren ein tiefgehendes Missverständnis über die Rolle der Länder in der Medienordnung und die verfassungsrechtliche Funktion des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in Bezug auf Artikel 5 Grundgesetz (GG). Sie offenbaren zudem eine beunruhigende Haltung gegenüber der verfassungsrechtlich gebotenen Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
1. Die verfassungsrechtliche Rolle der Länder und die Missdeutung Gruhners
Die Länder haben nach dem Grundgesetz die Kompetenz zur Regelung des Rundfunks. Doch diese Regelungskompetenz ist durch das Gebot der Rundfunkfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) gebunden, das dem Rundfunk eine dienende Funktion für die demokratische Gesellschaft zuweist. Die Länder sind daher nicht freie Gestalter, sondern an die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Rundfunkfreiheit gebunden. Ihre Entscheidungen unterliegen der verfassungsrechtlichen Kontrolle – und zwar durch das Bundesverfassungsgericht.
Gruhners Aussage impliziert jedoch, dass es sich bei einer Verfassungsbeschwerde von ARD und ZDF um eine Art illoyale Aktion handeln würde – als ob es den Sendern nicht zustehe, ihre Grundrechte durch das BVerfG schützen zu lassen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Das BVerfG hat mehrfach betont, dass es Aufgabe der Rundfunkanstalten ist, sich gegen politische Einflussnahme zur Wehr zu setzen, wenn sie ihre Unabhängigkeit gefährdet sehen.
2. Die Verfassungsbeschwerde als Mittel zur Sicherung der Rundfunkfreiheit
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat eine verfassungsrechtlich garantierte Funktion, nämlich die „freie und umfassende Meinungsbildung der Bevölkerung zu gewährleisten“. Diese Funktion setzt voraus, dass der Rundfunk unabhängig von staatlichem Einfluss bleibt. Wenn die Länder versuchen, die Finanzierung der Sender in einer Weise zu regeln, die diesen verfassungsrechtlichen Auftrag gefährdet, bleibt den Sendern nur der Weg zum BVerfG.
Dass Gruhner genau diesen Weg als „keine gute Idee“ bezeichnet, bedeutet nichts anderes als eine implizite Drohung: Wer sich dem politischen Willen der Länder widersetzt, der wird mit Konsequenzen rechnen müssen. Das ist ein Angriff auf die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit des Rundfunks.
3. Die politische Einflussnahme als Gefahr für die Demokratie
Die Rundfunkfreiheit ist als dienende Freiheit ausgestaltet: Sie dient nicht den Rundfunkanstalten selbst, sondern der Gesellschaft als Ganzes. Nur ein unabhängiger Rundfunk kann gewährleisten, dass Bürgerinnen und Bürger sich ungehindert und umfassend informieren können. Die Politik hat keinen Platz in der inhaltlichen oder finanziellen Steuerung des Rundfunks – im Gegenteil: Der Staat hat sich von ihm fernzuhalten.
Es ist daher bezeichnend, dass Gruhner die Intendanten von ARD und ZDF zum „Miteinander“ mit der Medienpolitik auffordert. Die Unabhängigkeit des Rundfunks bedeutet gerade, dass es keine Absprachen oder politisch gewollten Kompromisse geben darf, wenn es um die verfassungsrechtliche Funktion des Rundfunks geht. Die Aufgabe der Politik ist es nicht, sich mit den Sendern auf eine „gemeinsame Linie“ zu verständigen, sondern deren Unabhängigkeit sicherzustellen.
4. Warum eine Drohung gegenüber ARD und ZDF ein gefährlicher Präzedenzfall ist
Die Verfassungsbeschwerde gegen einen potenziell verfassungswidrigen Eingriff in die Rundfunkfreiheit ist nicht nur das gute Recht der Sender, sondern eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Intendanten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oft nicht genug getan haben, um die Unabhängigkeit des Rundfunks vor politischer Einflussnahme zu schützen. Wenn sie nun wenigstens den Weg zum BVerfG wählen, ist das keine Provokation, sondern der einzig konsequente Schritt im Sinne der Verfassung.
Gruhners Äußerung offenbart ein grundlegend falsches Verständnis der Medienordnung und ist daher entschieden zurückzuweisen. Die Drohung, dass eine Verfassungsbeschwerde „keine gute Idee“ sei, ist nichts anderes als ein direkter Angriff auf die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland.
Es bleibt zu hoffen, dass die Intendanten von ARD und ZDF diesem Druck nicht nachgeben. Ein unabhängiger Rundfunk ist nicht verhandelbar – weder mit der Politik, noch mit den Ministerpräsidenten der Länder.
Der öffentlich-rechtliche Auftrag:
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland sind gemäß dem Medienstaatsvertrag zur Unabhängigkeit und Überparteilichkeit verpflichtet. Diese Verpflichtung impliziert eine ausgewogene und sachliche Berichterstattung, die eine klare Trennung zwischen Nachricht und Meinung sicherstellt. In den letzten Wochen wurde die Berichterstattung der genannten Sender zur deutschen Innenpolitik von verschiedenen Seiten analysiert und diskutiert.
Eine Studie der Universität Mainz aus dem Jahr 2024 untersuchte die Nachrichtenformate von ARD, ZDF und Deutschlandradio hinsichtlich ihrer Themen- und Akteursvielfalt. Die Ergebnisse zeigten, dass bestimmte Themen und Parteien, insbesondere die SPD und Bündnis 90/Die Grünen, in der Berichterstattung dominierten. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Berichterstattung insgesamt eher sozialstaatliche und liberal-progressive Perspektiven betonte. Allerdings entsprach diese Ausrichtung weitgehend derjenigen anderer reichweitenstarker Nachrichtenmedien, sodass der Vorwurf einer besonderen Einseitigkeit der öffentlich-rechtlichen Formate nicht bestätigt werden konnte. stiftung-mercator.de
Die Diskussion um die Neutralität der Berichterstattung wird auch in der Öffentlichkeit geführt. Eine Umfrage des Meinungsbarometers MDRfragt aus dem Jahr 2023 ergab, dass viele Nutzerinnen und Nutzer Wert auf eine neutrale und kritische Berichterstattung legen. Es wurde der Wunsch geäußert, dass Nachrichten sachlich und objektiv präsentiert werden und Bewertungen in den Nachrichten vermieden werden sollten. mdr.de
Es ist jedoch zu beachten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht zur vollständigen Neutralität verpflichtet ist, sondern zur Unabhängigkeit und Überparteilichkeit. Dies bedeutet, dass die Berichterstattung wahrheitsgetreu, sachlich und objektiv sein muss, ohne von staatlichen Stellen, Parteien oder anderen Interessengruppen beeinflusst zu werden. Die Darstellung unterschiedlicher Perspektiven ist dabei essenziell, um den Zuschauerinnen und Zuschauern eine umfassende Meinungsbildung zu ermöglichen. swr.de