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Politisch gewollt, rechtlich fragwürdig? – Zur Verantwortung für das Northvolt-Gutachten und den Reformbedarf bei der haushaltsrechtlichen Kontrolle

Arbeitsrecht – Erbrecht - Kommunalrecht

Politisch gewollt, rechtlich fragwürdig? – Zur Verantwortung für das Northvolt-Gutachten und den Reformbedarf bei der haushaltsrechtlichen Kontrolle

Batterie

 

Die jüngst veröffentlichte Analyse des PwC-Gutachtens zur milliardenschweren Förderung des schwedischen Batterieherstellers Northvolt wirft grundlegende Fragen auf: nach der Rechtmäßigkeit und Angemessenheit haushaltsrelevanter Förderentscheidungen, nach der Rolle externer Gutachten, nach der politischen Verantwortung für Steuermittelverwendung und nicht zuletzt nach der institutionellen Wirksamkeit des Bundesrechnungshofs.

Dieser Beitrag untersucht die verfassungs- und haushaltsrechtlichen Grundlagen der Förderentscheidung, würdigt das PwC-Gutachten im Lichte geltender Prüfkriterien und skizziert konkrete Reformansätze zur Stärkung der externen Finanzkontrolle.


Sachverhalt: Northvolt-Förderung und PwC-Gutachten

Am 15. Juni 2023 legte PwC im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ein Gutachten vor, das die Vergabe einer Wandelanleihe über 600 Mio. € an Northvolt wirtschaftlich bewerten sollte. Auf dieser Grundlage beschlossen Bund und Land Schleswig-Holstein ein Förderpaket von ca. 1,3 Mrd. €.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, die Rückzahlung der Wandelanleihe sei unter bestimmten Marktbedingungen „plausibel“. Gleichzeitig benennt es deutliche Unsicherheiten, insbesondere:

  • fehlende vertragliche Zusagen externer Kapitalgeber;

  • noch nicht realisierte Produktionsstätten;

  • unerprobte Refinanzierungsmodelle.

Der Bundesrechnungshof kritisierte im Juni 2025, dass das BMWK die Förderung dennoch genehmigte – trotz wirtschaftlicher Unwägbarkeiten und ohne belastbare Rückzahlungsabsicherung.


Rechtliche Bewertung

1. Maßstab: Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit

Nach § 6 BHO, korrespondierend mit Art. 114 GG, müssen alle Haushaltsmittel wirtschaftlich und sparsam verwendet werden. Bei Großprojekten mit hohen Ausfallrisiken bedeutet das:

  • sorgfältige Prüfung der Zahlungsströme und Marktchancen;

  • Absicherung durch Verträge, Sicherheiten oder Rückforderungsklauseln;

  • dokumentierte Risikoabwägung durch die Verwaltung.

Die alleinige Berufung auf ein externes Gutachten genügt nicht, wenn darin die zentralen Risikofaktoren selbst benannt, aber nicht konsequent im Verwaltungshandeln berücksichtigt werden.

2. Funktion und Reichweite von Gutachten

Gutachten wie jenes von PwC sind kein Ersatztatbestand für behördliches Ermessen. Nach der Rspr. des BVerwG (vgl. etwa BVerwG, NVwZ 2014, 1442) sind externe Bewertungen in die behördliche Entscheidung einzuordnen, nicht aber entscheidungsersetzend. Werden die Schwächen des Gutachtens ignoriert oder politisch überdeckt, liegt ein Ermessensausfall oder gar ein Ermessensmissbrauch nahe.

3. Politische Verantwortung – rechtlich folgenlos?

Minister tragen politische Verantwortung, doch rechtlich ist diese nicht justiziabel. Ein Minister haftet nicht persönlich, solange kein vorsätzliches Haushaltsvergehen (§ 266 StGB) oder systematischer Betrug vorliegt. Dies führt zu einem strukturellen Defizit politischer Rechenschaft im Umgang mit Steuergeldern.


Rolle des Bundesrechnungshofs – ein stumpfes Schwert?

Die Prüfung durch den Bundesrechnungshof (§ 88 BHO) erfolgt ex post, ohne Interventionsbefugnis. Dies ist systematisch problematisch:

  • Der BRH hat kein aufschiebendes Prüfungsrecht.

  • Seine Prüfberichte sind rechtlich unverbindlich.

  • Reaktionen der Ministerien erfolgen oft politisch motiviert und selektiv.

Die Northvolt-Förderung zeigt exemplarisch, dass selbst massive Hinweise auf Risiko und Intransparenz keine materiellen Konsequenzen entfalten, wenn der Rechnungshof nur ex post tätig werden kann.


Reformvorschläge zur Stärkung der Finanzkontrolle

1. Verfassungsrechtliche Aufwertung

Der Rechnungshof sollte verfassungsrechtlich als unabhängiges Kontrollorgan sui generis mit haushaltswächterlicher Funktion normiert werden – mit klaren Eingriffsrechten.

2. Aufschiebendes Prüfungsrecht

Bei Projekten mit einem Fördervolumen >250 Mio. € sollte dem Rechnungshof ein aufschiebendes Prüfungsrecht eingeräumt werden. Ohne positive Rückmeldung darf keine Auszahlung erfolgen.

3. Verbindlichkeit und Transparenz

Stellungnahmen des Rechnungshofs müssen verpflichtend im Bundestag beraten und vollständig veröffentlicht werden (§ 96 GO-BT analog reformieren).

4. Eingriffsrecht bei systemischen Risiken

Bei wiederholter Missachtung von Empfehlungen sollte der BRH ein Interventionsrecht erhalten – vergleichbar einem Antragsrecht vor dem Bundesverfassungsgericht in Haushaltsfragen.


 

Verantwortung für den Einsatz von Steuermitteln

1. Verfassungsrechtlicher Maßstab: Art. 20 Abs. 3 GG und Haushaltsrecht

Die Verwaltung ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden, was auch für die Haushaltsführung gilt. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (vgl. § 6 BHO, § 7 HGrG) verpflichten jeden Entscheidungsträger dazu, Steuermittel zweckgerecht, verhältnismäßig und risikobewusst einzusetzen.

Anwendung auf Northvolt:

  • Die Zuweisung von 600 Mio. € in Form einer Wandelanleihe, bei ungesicherter Kapitalbasis des Empfängers, wirft haushaltsrechtliche Bedenken auf.

  • Ein wirtschaftlich orientiertes Risikomanagement scheint nicht hinreichend dokumentiert worden zu sein – das kritisiert der Bundesrechnungshof ausdrücklich.

Hier entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen industriepolitischem Gestaltungswillen und gesetzlicher Haushaltsdisziplin.


2. Haftung und Verantwortung von Politikern

In Deutschland besteht keine individuelle Amtshaftung von Ministern für politische Entscheidungen (anders als z. B. bei Beamten im Einzelfall gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG).

Politisch:

  • Ministerverantwortung ist ein Grundsatz parlamentarischer Demokratie – sie ist aber politisch und nicht rechtlich sanktioniert. Konsequenzen bestehen allenfalls in:

    • Rücktritt

    • Abwahl

    • parlamentarischer Untersuchungsausschuss

Rechtlich:

  • Nur bei vorsätzlicher Haushaltsuntreue (§ 266 StGB) oder Verstoß gegen EU-Beihilferecht könnten individuelle Sanktionen in Betracht kommen – beides ist im Fall Northvolt derzeit nicht belegt.

Politiker haften nicht zivilrechtlich oder strafrechtlich, solange keine Schwelle zur Korruption oder Haushaltsuntreue überschritten wird.


3. Konsequenzlosigkeit in der Praxis?

Ja – im politischen Alltag erweisen sich Fehlentscheidungen bei Milliardenprojekten in der Regel als folgenlos, sofern keine strafrechtlich relevanten Verstöße vorliegen.

Beispiele:

  • Die Fehlinvestition in TollCollect führte zu einem Schaden von über 5 Mrd. €, aber keine persönliche Haftung.

  • Die gescheiterte Maut von Andreas Scheuer: politische Kritik, aber keine rechtlichen Folgen.

  • Die Förderung des insolventen Unternehmens Solar Millennium oder Flughafen BER: enorme Steuermittelverluste ohne Konsequenzen für Minister.

Diese Struktur erzeugt einen moral hazard: Es besteht kaum ein persönlicher Anreiz, vorsichtig mit Steuermitteln umzugehen, wenn die politische Linie gewünscht ist.


Politische Verantwortung bleibt folgenlos – systemisch bedingt

Aspekt Bewertung
Verfassungsrechtliche Pflicht zur sparsamen Haushaltsführung Besteht klar – aber Kontrolle greift nur ex post, durch Rechnungshof oder Parlament.
Individuelle Haftung von Ministern Nicht vorgesehen – politische Entscheidungen gelten als „ministerielle Freiheit“.
Politische Verantwortung Besteht – wird aber selten durch Rücktritte oder Abwahl realisiert.
Systemproblem Die fehlende Sanktionierung führt zu struktureller Konsequenzlosigkeit bei teuren politischen Fehlentscheidungen.

Politisch-reformerischer Ausblick

Eine Reformdiskussion wäre sinnvoll:

  • Einführung eines Verantwortlichkeitsregisters für Großprojekte

  • Verpflichtende externe Risiko-Gutachten vor Förderentscheidungen

  • Möglichkeit der persönlichen Haftung bei grober Fahrlässigkeit (z. B. über § 839 BGB analog oder Sondergesetze)

  • Stärkung der Kontrollfunktion des Bundestags (z. B. durch verpflichtende Veröffentlichung der Gutachten vor Förderzusage)

  • Stärkung der Landesrechnungshöfe – Stärkung des Bundesrechnungshofes – siehe oben.

 


Rolle und Mandat von PwC (PricewaterhouseCoopers)  

PwC wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) beauftragt, die Förderwürdigkeit und Rückzahlungsfähigkeit der 600 Mio. € Wandelanleihe für Northvolt zu begutachten. Die Rolle war nicht die eines forensischen Prüfungsorgans, sondern die eines wirtschaftsprüferischen Bewertungspartners mit klar umrissenem Prüfauftrag.

Festzuhalten:

  • PwC hat kein Gutachten im Sinne eines unabhängigen wissenschaftlichen Prüfberichts erstellt, sondern eine wirtschaftliche Plausibilisierung nach vorgegebenen Annahmen vorgenommen.

  • In den bekannten Teilen des Gutachtens wird wiederholt auf unsichere Datenlagen, Marktrisiken und die fehlende Eigen- und Fremdkapitalabsicherung hingewiesen – also auf genau die Punkte, die jetzt politisch kritisiert werden.

Ein direkter Vorwurf an PwC ist schwer haltbar, solange PwC im Rahmen des erteilten Mandats gearbeitet und alle relevanten Risiken benannt hat.


Formale Unabhängigkeit vs. politische Erwartung

In der politischen Bewertung steht der Verdacht im Raum, das Gutachten sei „politisch passend formuliert“ worden, um eine bereits politisch gewollte Förderung zu rechtfertigen.

Argumente für diesen Verdacht:

  • Der Gutachtenauftrag kam von der förderwilligen Behörde selbst (BMWK).

  • Die Einschätzung, dass die Rückzahlung der 600 Mio. € „plausibel“ sei, steht in starkem Kontrast zu den internen Unsicherheiten, die PwC gleichzeitig benennt (fehlende Finanzierungszusagen, unerprobtes Geschäftsmodell).

  • Die politische Dringlichkeit, ein Prestigeprojekt wie Northvolt in Deutschland zu realisieren, war öffentlich bekannt und wurde auch von Minister Habeck explizit betont.

Das kann als politischer Erwartungsdruck auf die Gutachter verstanden werden – nicht zwingend in Form direkter Einflussnahme, aber als impliziter Erwartungshorizont.


Pflichtenkreis eines Wirtschaftsprüfers

Nach dem Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) und der Berufsordnung gilt:

  • Wirtschaftsprüfer müssen Unabhängigkeit, Objektivität und Sachkunde wahren (§ 43 WPO).

  • In wirtschaftlichen Plausibilitätsgutachten ist zulässig, mit Annahmen des Auftraggebers zu arbeiten – sofern diese explizit offengelegt und nicht evident falsch sind.

PwC hat offenbar auf Basis von von Northvolt bereitgestellten Daten und einem Förderszenario des BMWK gearbeitet. Wenn die Annahmen in den Bericht aufgenommen, aber nicht selbstständig validiert wurden (was üblich ist), liegt kein Berufsverstoß vor.


Politische Verantwortung und Bewertung

Die eigentliche Verantwortung liegt beim BMWK, das auf Basis des Gutachtens eine Förderentscheidung traf. Der Bundesrechnungshof kritisiert inzwischen, dass diese Entscheidung trotz erheblicher Unklarheiten über das Geschäftsmodell und die Finanzierungsbasis getroffen wurde.

Politische Verantwortung kann man nicht auf PwC abwälzen. Entscheidend ist:

  • Wer hat den Prüfauftrag konkret formuliert?

  • Wer hat die Förderentscheidung trotz der im Gutachten dokumentierten Risiken getroffen?


Fazit

Frage Bewertung
Hat PwC ein politisch gewünschtes Ergebnis geliefert? Möglich im Sinne von „förderfreundlicher Plausibilisierung“, aber ohne klare Hinweise auf direkte Manipulation.
Ist PwC ein Vorwurf zu machen? Nein, nicht primär – solange sie im Rahmen des Mandats auf Risiken hingewiesen haben und keine falschen Tatsachen behauptet wurden.
War das Gutachten politisch gewollt? Ja, es diente klar der Absicherung einer politischen Förderentscheidung, deren Grundannahmen vorgeprägt waren. Die Plausibilisierung hatte daher vorrangig eine legitimierende Funktion.
Wer trägt die Verantwortung? Das BMWK, nicht PwC – insbesondere wegen des politischen Willens zur Förderung und des bewussten Umgangs mit bekannten Risiken.

 


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