EU-Kommission und NGO-Finanzierung

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EU-Kommission zahlte Umweltverbänden für Kampagnen gegen Firmen
Ein aktueller Bericht von „Welt am Sonntag“ enthüllt, dass die Europäische Kommission über das LIFE-Programm offenbar heimlich Umwelt-NGOs gefördert hat, damit diese Klagen und Kampagnen gegen Unternehmen (insbesondere deutsche Firmen und im Agrarsektor) führen. Nach den Recherchen der Zeitung basieren die Vorwürfe auf „geheimen Verträgen“ aus 2022, in denen Kommissionsbeamte den NGOs explizit Ziele und Gegenleistungen festlegten (etwa Anzahl an Lobby-Briefen, Social-Media-Posts, Treffen mit EU-Parlamentariern). Die EU-Behörde soll nach diesem Bericht „Steuergelder in Millionenhöhe“ bereitgestellt haben – einzelne NGOs erhielten demnach bis zu 700.000 Euro pro Projekt.
Konkret heißt es etwa, die Umweltorganisation ClientEarth solle deutsche Kohlekraftwerke per Gerichtsverfahren unter Druck setzen („das finanzielle und rechtliche Risiko der Betreiber erhöhen“), um den Kohleausstieg zu beschleunigen (350.000 € Förderung). Friends of the Earth bekam laut Bericht den Auftrag, gegen das Freihandelsabkommen Mercosur vorzugehen, obwohl die EU-Kommission das Abkommen offiziell mitverhandelte. Weitere Gruppen wurden beauftragt, EU-Abgeordnete vor Abstimmungen über Pflanzenschutzmittel und Chemikalien zu beeinflussen. Diese Maßnahmen dienten offenbar dazu, die Öffentlichkeit für die EU-Klimapolitik zu gewinnen, indem „die eigenen Klimapläne … gegen politische Gegner“ verteidigt wurden.
Nach eigenen Angaben stimmten sich dafür die EU-Funktionäre – mutmaßlich vor allem aus der Generaldirektion Umwelt (GD ENV) – bis ins Detail mit den Aktivisten ab. Bei dieser Vorgehensweise sehen Kritiker einen Bruch des Gewaltenteilungsprinzips: Die Exekutive der EU versuchte demnach über NGOs verdeckt, die Legislative zu beeinflussen. Die Vorgänge erinnern an den Druck konservativer EU-Abgeordneter, die – teils via Parlamentarieranfragen und Ausschussdebatten – Transparenz über LIFE-Mittel an NGOs fordern. EU-Abgeordnete der EVP äußerten sich empört: CSU-MEP Monika Hohlmeier sprach etwa von Verstößen gegen Gewaltenteilung und förderte Nachfragen im Umweltausschuss. Der Ruf nach lückenloser Aufklärung wird lauter, auch vor dem Hintergrund des Europäischen Rechnungshofs, der kürzlich mangelhafte Transparenz bei NGO-Förderung moniert hatte.
Betroffene NGOs, Projekte und Sektoren
Aus den öffentlich zugänglichen Quellen lassen sich nur wenige NGO-Namen direkt rekonstruieren. Neben ClientEarth und Friends of the Earth ist konkret kein weiterer Verband namentlich bestätigt worden – allerdings wird von „anderen Gruppen“ berichtet, die für Lobby-Kampagnen zu Pflanzenschutz oder Chemikalien-Gesetzen Fördermittel erhielten. In früheren Fällen ist zudem bekannt, dass Verbände wie BUND oder NABU LIFE-Mittel beantragen, doch hier fehlen belastbare Belege. Klar ist, dass einzelne NGOs laut Bericht Hunderttausende Euro erhielten (bis 700.000 €/Jahr), insgesamt sollen mehrere Millionen geflossen sein.
Betroffen waren offenbar vor allem Energiestandorte und Landwirtschaft. Deutlich wird der Fokus auf deutsche Kohlekraftwerke (sprich: große Energieversorger). Auch die Stahl- und Chemieindustrie könnten überhorcht worden sein, wenn Pflanzenschutz- und Chemieabstimmungen gemeint sind. Zudem spielte das Thema Agrarhandel eine Rolle: Der Kampf gegen Mercosur (ein Freihandelsvertrag für Agrar- und Industrieprodukte) wendet sich erkennbar gegen südamerikanische Landwirtschaftsexporte, was Rückwirkungen auf die EU-Landwirtschaftspolitik haben kann.
Erschwerend kommt ein möglicher Interessenkonflikt hinzu: Nach Recherchen der NGO FollowTheMoney erhielt etwa auch die BayWa-Gruppe (Solar- und Agrarwirtschaft) Millionen Euro aus dem LIFE-Programm – auf deren Aufsichtsrat sitzt CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier. BayWa r.e., die Erneuerbar-Sparte, bekam 2023 demnach 6,5 Mio. € für ein Klimaprojekt. Dies diente einigen Kommentatoren als Hinweis, dass nicht nur Umwelt-NGOs, sondern auch Wirtschaftsakteure verdeckt gefördert wurden.
Verdeckte Verträge und Reaktionen der Kommission
Kernpunkt ist, dass es sich laut „Welt“ um Geheimverträge handelt, die der Presse durchgestochen wurden. Die EU-Kommission selbst hat mittlerweile diese Fälle eingeräumt: In einer offiziellen Stellungnahme im April 2025 erklärte sie, beim LIFE-Programm gebe es in Einzelfällen „gezielte Lobbyarbeit und unangemessene Lobbying-Aktivitäten“ in den eingereichten Projektprogrammen, dies werde nun korrigiert. Zugleich betont die Kommission, dass die LIFE-Verordnung ausdrücklich die Mitfinanzierung von NGOs vorsieht, um Umwelt- und Klimaschutzprojekte zu unterstützen und die Zivilgesellschaft einzubinden. Künftig solle allerdings „Lobbyarbeit, die sich gegen bestimmte politische Maßnahmen oder Europaabgeordnete richtet, vermieden werden“. In diesem Wortlaut räumt Brüssel Fehler ein und verspricht mehr Transparenz und Schutzmaßnahmen gegen künftige Verstöße.
Der Europäische Rechnungshof hatte bereits im April 2025 mangelnde Transparenz der NGO-Finanzierung kritisiert. Er empfahl u. a. klare Regelungen zur Offenlegung von LIFE-Zahlungen. Noch während der Diskussion im EU-Parlament forderte die EVP-Gruppe sogar eine neue EU-Richtlinie zur Offenlegung der NGO-Förderung. EVP-Haushaltskontrollsprecher Tomáš Zdechovský betonte: „Die Europäische Kommission darf NRO nicht heimlich finanzieren, damit diese das Europaparlament oder ihre Gesetzesinitiativen beeinflussen“. Mit dem Zuspruch: Transparenz sei kein „Bestrafung, sondern eine Vertrauensfrage“, macht die EU-Verordnungsfraktion klar, dass geheime Verträge inakzeptabel sind.
Rechtliche Implikationen
Die Enthüllungen werfen eine Reihe von Rechtsfragen auf. Nach EU-Haushaltsrecht (u. a. Art. 317 AEUV) muss die Kommission den EU-Haushalt „nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Effizienz“ verwalten. Verdeckte Ausgaben, die nicht öffentlich ausgeschrieben oder dokumentiert waren, könnten gegen diese Grundsätze verstoßen. Auch die EU-Transparenzregeln (z. B. Zugang zu Dokumenten nach Art. 41 EU-Grundrechtecharta) verlangen, dass Fördervereinbarungen prinzipiell einsehbar sind. Die Tatsache, dass geheime Vereinbarungen existierten, könnte einen Verstoß gegen die EU-Haushaltsordnung und die Ausgabenkontrolle bedeuten. Nach Art. 317 AEUV haftet die Kommission sogar persönlich dafür, dass der Haushalt ordnungsgemäß ausgeführt wird.
Ferner müssen EU-Beamte neutral und im Interesse der Union handeln. Das besagen die Beamtenstatuten: Nach Art. 11 St. Reg. dürfen EU-Beamte nur „im Interesse der Union“ tätig sein und „keiner Regierung, Behörde, Organisation oder Person Weisungen“ annehmen. Art. 11a St. Reg. verbietet zudem, in Angelegenheiten tätig zu werden, in denen ein persönliches Interesse die Unabhängigkeit beeinträchtigt. Wollten Kommissionsmitarbeiter NGOs gezielt zu Lobbyarbeit auffordern (gegen Firmen oder EU-Abgeordnete), könnte dies gegen diese Vorschriften verstoßen – insbesondere, wenn private Ziele (z. B. Wahlerfolge oder Interessen Dritter) die Handlungen leiteten.
Aus Wettbewerbs- und Beihilferechtssicht stellt sich die Lage schwieriger dar. Subventionen an NGOs sind grundsätzlich keine verbotene Staatsbeihilfe nach EU-Beihilferegeln (da NGOs als nicht gewinnorientierte Träger meist nicht als Marktteilnehmer gelten). Allerdings könnte man diskutieren, ob die gezielte Förderung von Maßnahmen gegen bestimmte Unternehmen indirekt zu Wettbewerbsverzerrungen führt. Rein rechtlich sind direkte Beihilfesanktionen aber nicht naheliegend. Auch Wettbewerbsrecht wird hier wohl kaum angewendet: NGOs sind keine „Unternehmen“ im kartellrechtlichen Sinne.
Schließlich stellt sich die Frage der Neutralität und Gewaltenteilung staatlicher Organe. Die EU-Kommission hat im EU-Vertrag grundsätzlich exekutive Kompetenz, soll aber neutral gegenüber den legislativen Organen sein. Sollten Beweise vorliegen, dass Kommissionsbeamte per Vertrag gezielt Parlamentsabgeordnete beeinflussen ließen, wäre dies ein Bruch dieses Prinzips. Gleichwohl sind diese Normen schwer konkret zu sanktionieren – sie würden höchstens politische, nicht direkt juristische Konsequenzen nach sich ziehen.
Mögliche Konsequenzen für Verantwortliche
Welche Folgen drohen den handelnden Personen? Zunächst: EU-Kommissare sind als College nur gemeinsam dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig; ein einzelner Kommissar kann nicht ohne Weiteres vom Posten entfernt werden (außer über ein Misstrauensvotum gegen die ganze Kommission). Ein Präsident darf aber Vorschläge zur Geschäftsordnung machen oder in Extremfällen (Prinzipal-Agent-Theorie) die Scheidung von Posten nahelegen. Praktisch ist es unwahrscheinlich, dass Ursula von der Leyen einen oder mehrere Kommissare wegen dieses Einzelfalls entfernt; in der Vergangenheit ist das allein aufgrund politischem Druck nur geschehen, wenn Abgeordnetenanhörungen intransparent oder kompromittierend waren.
Rechtlich greifbarer sind Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte. Nach den EU-Statuten können schwerwiegende Dienstverstöße mit Sanktionen von Verwarnung über Geldstrafen bis hin zur Entfernung aus dem Dienst geahndet werden (Art. 64 ff. St. Reg.). Ein richtiger Disziplinarprozess wäre möglich, wenn sich etwa ein klarer Verstoß gegen Art. 11 St. Reg. („Pflichtverletzung“, „Amtsmissbrauch“) feststellen ließe. Erfolgt eine Entlassung vor Renteneintrittsalter, verliert der Beamte in der Regel das volle Ruhegehalt (er erhält nur einen geringeren Invaliditätszuschuss). Eine solche Konsequenz ist in der EU-Pensionierungspraxis möglich, wenn der Dienstherr „das Vertrauen verloren“ hat. In jedem Fall wäre – falls ein Beamter für illegal befunden wird – der Pensionsanspruch gemäß den StaffReg-Bestimmungen einzustellen oder zu kürzen.
Auf strafrechtlicher Ebene könnten Ermittlungen greifen, falls es sich um Haushaltsbetrug oder Korruption handelt. OLAF (Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung) wäre zuständig, mutmaßliche Unregelmäßigkeiten im EU-Haushalt zu untersuchen. Bei hinreichendem Verdacht könnte OLAF den Fall an die europäische Staatsanwaltschaft (EPPO) oder an nationale Strafverfolgungsbehörden übergeben. Artikel 325 AEUV verpflichtet die Union zudem, Betrug zu bekämpfen. Im Extremfall könnten auch EU-Beamte nach nationalem Recht wegen Amtsmissbrauchs verfolgt werden.
Bewertung und politische Forderungen
Rechtlich betrachtet sind die konkreten Aktivitäten der NGOs (wie Gerichtsverfahren gegen Klimaziele) zunächst zulässige Handlungsformen der Zivilgesellschaft. Problematisch ist allein, dass die Kommission verdeckte Steuerung betrieben haben soll. Aus rechtlicher Sicht steht fest: Das LIFE-Programm erlaubt zwar NGO-Förderung zur Stakeholder-Beteiligung, verbietet aber ausdrücklich die Finanzierung gezielter Politik-Lobbyingmaßnahmen gegen bestimmte Parlamente oder Gesetze. Die Enthüllungen deuten darauf hin, dass Kommissionsbeamte diesen Auftrag verfehlt haben – zu Lasten des Prinzips der Transparenz und des neutralen Verwaltungshandelns.
Politisch muss deshalb jetzt klarer Rahmen geschaffen werden. Forderungen lauten etwa: (1) Volle Offenlegung aller LIFE-Verträge mit NGOs und evtl. Unternehmen, damit Parlament und Öffentlichkeit prüfen können, was genau vereinbart wurde. (2) Strengere Transparenzregeln: Künftig müssen Projektanträge, Aktionspläne und Finanzierungsbeschlüsse aus dem LIFE-Topf lückenlos dokumentiert und zugänglich sein. (3) Stärkung der Kontrolle durch Unabhängige: Die EU-Rechnungshofkritik fordert weitergehende Prüfungen (z.B. Ex-ante-Audits), die die Einhaltung der Finanzregeln sicherstellen müssen. (4) Klarstellung der Rechtslage: Im europäischen Finanzrecht sollte explizit verankert werden, dass EU-Gelder nicht zur parteipolitischen Beeinflussung genutzt werden dürfen (die EVP hat bereits ein Verbot in Gesetzesform angeregt).
Schließlich darf es keine Straffreiheit geben. Sollten sich strafbare Verstöße nachweisen lassen (etwa Betrug mit EU-Mitteln oder Veruntreuung), muss das auch strafrechtlich verfolgt werden – bis hin zu Disziplinarverfahren gegen Beamte und sogar Entlassung. Politisch aufschlussreich wäre zudem ein Untersuchungsausschuss im EU-Parlament, um Verantwortlichkeiten offenzulegen.
Zusammenfassung: Die nun bekannt gewordenen Absprachen erwecken den Eindruck verdeckter Lobbykoordination – eine Praxis, die gegen EU-Transparenzregeln und Beamtenpflichten verstößt. Juristisch disziplinar- oder strafrechtlich belangbare Verstöße müssen geahndet werden. Politisch besteht jetzt Handlungsbedarf für mehr Klarheit und Kontrolle: Schluss mit Geheimverträgen, Offenlegung aller Verträge und eine Verstärkung der EU-Finanzkontrollen sind gefordert. Nur so kann das Vertrauen wiederhergestellt werden, dass EU-Gelder sauber und im Sinne aller Bürger eingesetzt werden.
Quellen: Recherchen von Welt am Sonntag (zusammengefasst in Tagesschau, Tagesspiegel, DLF), Berichte von BR und der deutschen Medien sowie Stellungnahmen der EU-Kommission, des Europäischen Rechnungshofs und politischer Fraktionen. Rechtsgrundlagen: EU-Vertrag Art. 317 (ordentliche Haushaltsführung), EU-Charter Art. 41 (gute Verwaltung), EU-Finanzregelung, EU-Beamtenstatut Art. 11 f. (Neutralität).